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Straße des Odysseus Ein Gedichtband, der in exemplarischer Weise den Weg eines Schreibenden durch die postfaschistische Epoche belegt. Die Götterdämmerung der NS-Zeit war auf Verteidigung des Abendlandes“ und auf das ,,unabwendbar Tragische“ im ,,Schicksalskampf des deutschen Volkes“ gestimmt. Ernst Kein (1928 — 1985), der als Bub politisch vergewaltigt wurde und nur zufällig dem ihm zugedachten Heldentod entging, erwarb sich ein waches Mißtrauen in die Zuverlässigkeit des abendländischen ‚‚Heimatbodens“ ; schwerer fiel es, aus dem allgemein Tragischen herauszufinden. In seinen frühen Gedichten scheint alles blauer, verzehrender Abend, man bewegt sich durch eine Welt auf Abruf, das Leben darin Provisorium. Dann aber, Jahre später, schreibt sich Kein in „Straße des Odysseus“ in Bildern von zerreißender Eindringlichkeit an ein ganzes Bündel schwer beantwortbarer Fragen heran, enthüllt er den blutigen Knoten, auf dem das wiedergeschenkte, provisorische Leben aufliegt. In diesem Anfang der 50er Jahre enststandenen Gedicht geht Kein an die Grenze des damals Möglichen, und sein bald danach folgendes Abschwenken zur konkreten Poesie zieht eine (vielleicht lebenserhaltende) Projektionsfläche zwischen das Wort und den es bedrängenden Gehalt ein. Doch in einer späten dritten Phase (ab etwa 1960) tastet sich Kein in tagebuchartigen, autobiographischen ,,Privatgedichten“ mit großer Ehrlichkeit an den vor einem Jahrzehnt liegengebliebenen Gehalt wieder heran. Ernst Kein hat im Nachkriegsösterreich nie seine dissidente Haltung aufgegeben; er war mit dem, was er tat, immer sehr allein. Beliebt wurde er durch Gedichte in der Wiener Umgangssprache und ‚Wiener Skizzen“: Mitihnen wurde er bekannt. Was ihn selbst bewegte und was er erkannt hatte, blieb verdeckt. Andreas Okopenko, Freund Keins aus den Tagen der Literarurzeitschrift ‚Neue Wege“, hat mit dem posthumen Gedichtband Keins eine neue Perpektive auf die innere Geschichte der österreichischen Nachkriegsliteratur und der Nachkriegszeit eröffnet. K.K. Ernst Kein: Straße des Odysseus. Gesammelte hochsprachige Lyrik. Aus dem Nachlaß hg. von Andreas Okopenko. Wien: Jugend & Volk 1994. 311 S. 10 Agnes Hoertler Mai 1955 Nachts sichtbarer Arcturus ist Jäger. Um den Pol treibt er den Groß, Bär, und sein Feuer ist gerichtet nur nach unten. Dort, als Mahnmal, eine Allee vieler Laubbäume. Die Kronen wie ein Blutschwamm, und die Stämme sind von Schwertern durchbohrt. Nördliches Grenzland hat das schwarze Gold. Wegen Feuer, wie ein Geysir, so das Erdgas. In dem Stahlwald viele Pfützen und Gelsen. Auch das Fahrzeug ohne Kette ist dort kraftlos. Und bei Neuschnee nur die Schlitten eingesetzt. Menschen aus Grenzorten, Entwurzelte, die Kumpel. Schwarzbraun wie das Erdöl auch die Oberen. Der Soldat ist ein Garant für den Ölfluß bis nach Rußland. Denn die Erde hier ist hart, tief, doch der Pumparm ohne Pause. Daher Volkszorn und ein brandheißer Oktober! Aufgeschreckt gründeten Herren eine Rechtspartei. Die Heimat ward kein Kampfplatz der ,, Vier-im-Jeep“. Auch das System mit den Strafen und den Geldprämien verändert. Statt der Baraken Gemauertes und Busse für den Transport. In der Feuchte vieler Nächte wurde Einigkeit geübt. Neue, unverbraucht, stärkten die Gruppe. Als das Mondlicht auch den Wald rötlich verfärbte, war das Runde voll und die Vögel lasen im Wasser. Auch die Hochschule war präsent, als ein Revisor eintraf. Schuß in der Erde ward im Südfeld eine Schlammblase. Die Tiefpumpen dort Erruption und Rauch. Abends bei Rotwein, jetzt erklang hell das Wienerlied. Daher Rotarmisten Kontrolle beim Volkstanz. Denn verhandelt wird in Moskau etwas Neues. In den Nebel war gezeichnet, keine Panik. Auch die Wachtürme kein Mittel gegen Logik, denn wir leben nicht, wir werden gelebt! An die Volksmassen ergeht Ruf: „Österreich ist frei!“ Mit uns 63 Völker! Regen, endloser Regen, darauf schönster Mai! Nur im Nordfeld keine Reform, eine Machtumkehr. Nun Berg lila, der See rosa, niemand fällt mehr in Ölschlamm. Auch die Pappeln an der Straße sind Veränderung. Die Technik hat den Spielraum ihrer Phantasie. Statt Einigkeit nun Wettbewerb der Politik. Es schwingt „lieben“, als Dorn bleibt der Kampf um Frieden. Wien, im Dezember 1994