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vor mir kriegten. Sie dachten, ich sein ein Obernazi. Es war nicht Identifikation, sondern Verstellung.® Er sieht sich den Krieg in Europa nicht als Jude, sondern als Nicht-Jude an, mit den guten Papieren, die ihm zum Uberleben halfen. Fiir Jakov Lind war das Uberleben aber auch eine Sache des Widerstandes. ,, Uberleben hie®, die Nazis zu bekampfen. Widerstand gab’s nicht fiir jene, die sich einfach abholen lieBen.“? Der Krieg ging vorbei. Die Schuld blieb. Da keiner sich schuldig bekennt, tragen wir alle an der Schuld. Sie wird uns alle iiberleben. Der Krieg ist die Geschichte meines Jahrgangs. Nach dem Krieg geschah nichts mehr. Der Krieg war das ganze Leben.(...) Das Drama meines Lebens hieß: Judenausrottung. Das überlebt zu haben, gibt dem Geschehen einen Schleier der Unwahrscheinlichkeit. Als wäre es nie geschehen, als hätte es sich nur um ein Trauerspiel gehandelt. Am Ende würden die Toten auferstehen; die Mörder sind längst aus ihren Verstecken gekrochen, und wir könnten uns vormachen, daß es nie geschehen ist.!” I. Ansichten eines Schriftstellers Seine international beachtete Erstveröffentlichung, der Erzählband ‚Eine Seele aus Holz“ (1962), und die beiden nachfolgenden Romane ‚Landschaft in Beton“ (1963) und „Eine bessere Welt‘ (1966) sind durch das von seinen eigenen traumatischen Erfahrungen gespeiste Thema des Nationalsozialismus verknüpft. In seiner derb-realistischen und zugleich bildhaften Sprache entwirft er Szenarien voll Grausamkeit und schwarzem Humor, in denen durch die Verquickung der schockierenden Wirklichkeit mit surrealen, oder surreal anmutenden Welten, ihre Absurdität und dennoch bewiesene Realität erfaßt wird. „Die Welt, in der ich lebe, hat keine Wirklichkeit. Was mich anbelangt, ist dieser Jakov Lind meine eigene Erfindung. Die Hauptperson in einer Erzählung.“ Diese Dimensionen seiner Prosa werden in den Hörspielen ‚Anna Laub“ (1965), „Das Sterben der Silberfüchse“ (1965, zusammen mit dem Stück ‚Die Heiden“), „Angst und Hunger“ (1968) durch Identitätsproblematik, Sprachkritik und Grundmuster menschlicher Phobien und Besessenheiten erweitert. Die Milch der Literatur wurde mir von mehreren Seiten gereicht. Von Mitzi, die mich einfache Wörter lehrte, von meiner moralischen achtbaren Mutter und von Generationen kräftiger, halbverrückter österreichischer Bauern. Ich verabscheute das Deutsche, ich mochte es nicht sprechen hören. Ich brauchte eine andere Sprache, um Gedanken und Gefühle auszudrücken, die ich kaum zu formulieren wußte. Eine Sprache, die heraufholen konnte, was in Donau und Rhein und manch anderen Gemütszuständen versunken war. Ich brauchte eine Sprache und Zeit, sie zu finden.'? Die auf deutsch verfaßten Prosabände sind als Trilogie zu lesen. Das Holzbein Wohlbrechts, des Protagonisten der Titelerzählung, wird zum Symbol der menschlichen Selbstzerstörung, denn wer haßt, beschwört auch die eigene Vernichtung herauf. Basierend auf der wahnwitzigen Idee des ‚‚reinen Blutes“ beginnen die Nazis, und nicht nur sie, einen Teil ihrer Welt zu vernichten. Die seelische Versteinerung geht einher mit dem Versuch, alles Organische zu töten. Damit wird die prinzipielle Frage nach den Möglichkeiten des Überlebens in einer alptraumhaften Welt, die noch in der „Seele aus Holz‘ gestellt wird, in der „Landschaft in Beton“ um die Dimension des menschlichen Größenwahns erweitert. Wohin dies alles führt, zeigt die „‚bessere Welt“. Ob, wann und wie dieser Wahnsinn wiederkehren wird, bleibt in den ersten beiden Büchern offen: Das Holzbein Wohlbrechts ‚,...wartet an einem Baum gelehnt auf die Auferstehung seines Herrn, die jeden Tag eintreffen kann und eines Tages eintreffen wird.“ !3 Der Offizier Bachmann verläßt seine Landschaft in Beton und marschiert weiter, um neue Landschaften seines irren Geistes zu suchen. Wacholder jedoch, scheidet aus seiner besseren Welt, indem er sich selbst ein Grab gräbt. Er starb nur ,.... damit die anderen etwas zu lachen hatten, aber die anderen lachten nicht.“ '* Mir persönlich ging es in Englang darum, meinen deutsch-jüdischen Krieg (wie ich ihn gerne nenne) zu begraben, und dazu eignete sich merkwürdigerweise das Österreichische mit seinen bissigen, boshaften, verschnörkelten, gemeinen, scheinheiligen Redewendungen ganz ausgezeichnet. Auf Österreichisch ließ sich der deutsch-jüdische Krieg in seiner ganzen Wahnsinnigkeit fast „verstehen“. Denn der Schlüssel zum deutsch-jüdischen Verhältnis war Neid und Eifersucht, geschäftlicher und intellektueller Wettbewerb, bei dem die Juden, trotz ihrer geringen Zahl mehr als gut abschnitten. „Love in London“ Schon im Jahr 1948 hat Fritz Brainin Theodor Kramer das Projekt unterbreitet, Gedichte Kramers ins Englische zu übersetzen. Weitere 47 Jahre hat es nun gedauert, daß eine Sammlung dieser Übersetzungen, in der Hauptmasse vermutlich entstanden in den Jahren vor Brainins Tod am 28./29. April 1992 in New York, erschienen ist, und zwar in der Ariadne Press (Riverside, Kalifornien), herausgegeben von Jörg Thunecke, der mit Brainin bis zum Vorabend von dessen Tod an den Übersetzungen gearbeitet hat. Ohne Thuneckes Beistand und Beharren wäre das Buch nie erschienen. (Auch die Theodor Kramer Gesellschaft hat die Drucklegung des Buches unterstützt). Auf 161 Seiten stellt es den deutschen Text und die englische Übersetzung von 56 Gedichten einander gegenüber. Zeichnungen von Edith Kramer (der Nichte Theodor Kramers) und Willy Pechtl illustrieren die Gedichte. (Leider ist nirgends angegeben, von wem welche Zeichnungen herrühren). Die Auswahl der Gedichte - sie belegen Kramers Weg ins und durchs Exil in Großbritannien — und der Titel „‚Love in London“ entsprechen der Konzeption Brainins. Thuneckes Lektorierung der fertiggestellten Übersetzungen (zu denen er durch viele Gespräche mit Brainin beitrug) beschränkte sich, wie er selbst im Nachwort sagt, darauf ‚‚some of the extremes of Brainin’s urban New York diction“ zu glätten, in der Absicht, ‚‚to make the translations intelligible also to an English13