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speaking audience outside the United States“. In Thuneckes instruktivem Nachwort finden sich leider einige Flüchtigkeitsfehler. Kramer starb nicht am 14. April 1958, sondern am 3. April. Er emigrierte nicht im Februar, sondern im Juli 1939 nach Großbritannien. Es ist auch nicht richtig, daß Eckart Früh die in Zeitungsdrucken der Periode vor 1938 verstreuten Gedichte Brainins veröffentlicht hat — es handelte sich bloß um Zusammenstellungen von zusammengehefteten Kopien, die Früh unter seinem Anagramm Kurt Faecher an verschiedene Personen weitergab, also um eine private und nicht öffentliche Angelegenheit. Mir persönlich hat Früh seinerzeit (als ich in intensivem Kontakt mit Brainin stand) die Einsichtnahme in eine solche Zusammenstellung unter Hinweis auf ihren privaten Charakter verweigert. Der Plan, die frühen Gedichte Brainins in einem Anhang zu seinem 1990 erschienenen Gedichtband ,,Das siebte Wien“ zu veröffentlichen, scheiterte am Einspruch des Autors, und so werden die Sammlungen Frühs weiter die Quelle bleiben, aus denen man Kenntnis von Brainins frühen Gedichten schöpfen kann. Die Kramer-Übersetzungen Brainins werden wahrscheinlich stets Kontroversiell bleiben, weil Brainin Kramer nicht in ein schönes Schulenglisch, sondern in sein eigenes New Yorkerisch übertragen hat. Die Übertragungen sind Dokument einer lebenslangen Verbundenheit Brainins mit Kramer, eines einzigartigen Zusammentreffens zweier Exil-Poeten, dessen Zeugen die Leser nach beider Tod nun erst werden. „Love in London“ ist außerdem die erste Sammlung englischer Kramer-Übersetzungen überhaupt. Vielleicht werden, dadurch angeregt, weitere Sammlungen folgen. Kramer ist bis heute leider sehr wenig übersetzt worden. Er wurde ins Russische (eine Buchpublikation ist in Vorbereitung) und Polnische übersetzt, eine italienische Auswahl wurde 1985 von S. Bartoli und P.-H. Kucher veranstaltet. Einen Fuß, mag sein, nur eine Zehe hat die Lyrik Kramers jetzt dank der Bemühungen Frederick Brainins und Jörg Thuneckes in die Tür zum englischen Sprachraum gestellt. Konstantin Kaiser Franz Werfel-Tage veranstaltete die Österreichische Gesellschaft für Literatur am 16. und 17. Mai. Vorgeführt wurde u.a. der Film ,,Franz Werfel — Die hundert Tage des Musa Dagh“ von Artem Ohandjanian. 14 Aus Gemeinheit Gasöfen konstruieren, dazu brauchte es vielleicht deutsche Ingenieurfähigkeiten, aber durchaus österreichische mystisch-katholische Inspiration. Kurzum: Dies österreichische Sprache bietet sich ganz natürlich an, das DämonischMiserable am europäischen Menschen zu zeichnen. Die Banalität und die Kleingeistigkeit des großdeutschen Krieges gegen die Juden fanden im Österreichisch-Wiener Lexikon jedes Wort - fast ohne Mühe."? Als Jakov Lind sein Projekt, die ‚Seelen aus Holz“ zu beschreiben, beendet hat, wechselt er, mit dem ersten Band seiner Autobiographie ‚‚Counting my Steps“ (1969) ins Englische. Im ‚‚Selbstporträt“ (1970) und seinen Fortsetzungen ,, Numbers‘ (1972, ,,.Nahaufnahme“, 1973) und ,,Crossing“ erzahlt er die Stationen seines Lebens und verbindet sie wie in ,, The Trip to Jerusalem“ (1973, ,,Israel. Riickkehr fiir 28 Tage“, 1972) mit historisch-politischen Zeitbetrachtungen. In allen seinen autobiographischen Texten versucht Jakov Lind, durch Ironie und Unerbittlichkeit auch sich selbst gegenüber, die Haltung, den Opfern und Vertriebenen des nationalsozialismus nur Mitleid und Ergriffenheitspathos entgegenzubringen, zu unterlaufen. In seinem satirischen Abenteuerroman ,,Travels to the Enu“ (1982, ,,Reisen zu den Enu“, 1983) und seinem parabelhaften Briefroman ‚The Inventor“ (1987, „Der Erfinder“, 1988) wird die Welt wieder als absurdes Panoptikum gezeigt, deren ideologische Konstruktionen durch die Übertreibung sichtbar und durch Komik fragwürdig gemacht werden. Es heißt, ich sei ein Schriftsteller. Leider. In Wirklichkeit probiere ich bloß andere Möglichkeiten der Existenz und mache Notizen. Schreiben heißt für mich, Alternativen finden. Das Unerträgliche erträglich zu denken. Alles, was ich bisher geschrieben habe, sind nur Bemerkungen auf der Hinterseite eines Briefumschlages. An Literatur liegt mir nichts. Literatur wird von Angestellten des Literaturbetriebes fabriziert. Heutzutage eine einträgliche Beschäftigung am Dienste des Kunden.'® Für Jakov Lind ist das Phänomen des Nazismus keineswegs ein singulär historisches, sondern ein allgemein menschliches. Seine Methode, dies darzustellen, ist die Übertreibung, die groteske Überzeichnung der Figuren, die sich trotz ihres Wahnsinns, ihrer moralischen Integrität stets sicher fühlen: ‚Dann ging er an seine Wollust, wie seinerzeit an die Rapporte. Ekelhaftes und Notwendiges, wenn nützlich, muß mit Eifer und Fleiß erledigt werden“.'’ Er will in seinen Büchern eine Art alltäglichen Wahnsinn aufdecken, der schon vor dem Krieg existiert hat und auch nicht mit der Kapitulation Hitlers zugrunde gegangen ist. Keiner hat Schuld. Der Krieg. Was kann man da machen? Nein, keiner hat Schuld. Ich habe es damals gesagt und ich sage es heute: Wer einen Hitler verdient kriegt einen Hitler und wer keinen Hitler verdient kriegt keinen Hitler. Dafür kann der Hitler nichts.'8 Seine ironischen Uberzeichnungen, die nichts mit Anklage oder Haß im Sinn haben, tragen zum zunehmenden Unverständnis einer Leserschaft bei, die in der Wiederherstellung einer geordneten stabilen Nachkriegsordnung eines ihrer Hauptanliegen sieht. Es sollte hier mal einer wagen, einen Roman mit orthographischen Fehlern herauszubringen. Die Nation stünde Kopf. Einen Kriegsverbrecher in einer hohen Behördenstelle nimmt man eher hin als einen orthographischen Fehler, die ganze Ordnung in Deutschland wäre hin.” Ein Autor, der nicht in Deutschland oder Österreich lebt, ,,weil er nicht muß“, dem die tagespolitischen Entwicklungen ‚‚nur als Schauspiel etwas angehen“ und der betont, „‚die Deutschen nicht als Jude, sondern als Österreicher und Holländer gehaßt zu haben“ , ]äßt sich nicht in vorgefertigte Schemata von Opfer oder Ankläger einpassen. Ein Autor, der einen auswuchernden österreichischen Sprachduktus verwendet, um das „‚Dämonisch-Miserable“ am europäischen Menschen zu zeigen, paßt auch nicht recht zu einer ,,Triimmer- und Kahlschlag-Literatur“ , wie sie in den fünfziger Jahren praktiziert wurde, und auch nicht zu den frühen rhetorischen Drahtseilakten eines Johnson, Lettau oder Enzensberger. Er verweigert sich auch den Methoden der Dokumentarliteratur, weil wir Tatsachen gegenüber schon unempfindlich geworden sind. Das letzte, auf deutsch geschriebene Buch, ‚‚Eine bessere Welt“, wächst sich aus zur Sprachsatire und Polemik gegen die „‚Deutsche Kultur“, wie sie sich nach wie vor zu präsentieren und funktionalisieren pflegt und gegen einen Ästhetizismus, der sich jeglicher politischen Stellungnahme verweigert. Österreich wird man nicht los auch wenn man grönländisch schreibt wie manche meiner kollegen, man macht die sache nur unverständlicher. die schuld wird man nicht