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Ernst Eisenmayer Erinnerungen an Erich Fried, 1938 - 1988 Erich kam vor mir nach England. Ich war noch von Oktober 1938 bis Mai 1939 im Gefängnis und in Dachau. Im Exil traf ich Erich zunächst nur kurz im Herbst ‘39. Er lebte in London, ich arbeitete in einer Fabrik in Oxford. [...] Als ich nach der Internierung 1942 von der Isle of Man nach London kam, hatten wir wieder engeren Kontakt als Mitglieder und Mitarbeiter des ‚, Young Austria“. Dort gab es unter anderem Lesungen und Ausstellungen, aber auch eine „‚Kulturkonferenz“, deren Teilnehmer zum Teil schon zu den bekannter gewordenen Exilanten zählten. Erich und ich waren ebenfalls eingeladen. Es wurde über die Bedeutung österreichischer Kunst und Kultur gesprochen. Vom Kunsthistorischen Museum bis zur Karlskirche und natürlich auch von den großen Musikern von Mozart bis Mahler. Ein wenig Personenkult war da schon mit im Spiel. Während der straff organisierten Diskussion sagte ich, vielleicht zu sehr aus dem Ärger heraus, daß man zur Kultur auch den Beitrag lebender und junger Künstler brauche und man sie nicht davon abhalten sollte, etwas zu sagen. Was einen Krach nach sich zog. Einige Funktionäre, unsere kleinen Machthaber mit den großen Ideen, warfen mir vor, zu frech zu sein, ungefragt das Wort zu ergreifen und zu kritisieren. Und überhaupt mit nutzloser Malerei die Zeit zu verschwenden. Wenn schon, dann sollte ich die österreichische Widerstandsbewegung malen, anstatt meine Arbeitskollegen in der Fabrik, wo ich als Werkzeugschlosser arbeitete. Und man drohte mir, mich aus dem „Young Austria“ hinauszuwerfen. Den, der mir das sagte, ein damaliger „Macher“, nannte ich einen Kulturbarbaren. Er lebt heute noch in England und hat mir meine Reaktion nie vergeben. Er war damals ein bissiger Tyrann von links her, heute ist er noch bissiger, allerdings von rechts. Auch wenn sein Pelz im Winter weiß wird, wechselt der Wolf seine Zähne nicht. Bei solchen Auseinandersetzungen stand Erich mir zur Seite, wie er mich auch sonst unterstützte. 1943 malte ich ein Porträt eines Hilfsarbeiters, ‚Old Jack“ , der in meiner Fabrik arbeitete, ein lieber, sehr hilfsbereiter älterer Mann. Das Porträt gefiel meinen Mitarbeitern, und ich malte später noch andere. Bei mir zu Hause sah Erich es. Er war sehr beeindruckt und schlug vor, daß ich das Bild Oskar Kokoschka zeigen sollte, damit unsere „Macher“ einsähen, daß meine Malerei nicht nur Zeitverschwendung sei. Ein anderer Freund war dabei, Kurt Weiler, der später ein sehr bekannter Trickfilmregisseur in Berlin wurde. Er fand es auch eine gute Idee. Aber leichter gesagt als getan. Ich war viel zu scheu. Eine Woche später trug Kurt Weiler mein Bild zu Oskar Kokoschka. Es gefiel ihm gut und er lud mich ein, in seine Wohnung und sein Atelier in der Park Lane zu kommen. Kokoschka ermutigte mich sehr, und ich mußte ihm versprechen wiederzukommen, wann immer ich ein neues Bild fertig hätte. Er war wie ein sehr verständiger Onkel zu mir. Ich sah ihn oft in seinem Atelier, und ich erinnere mich gern an unsere Gespräche. Während des Krieges hatte Erich zeitweise bei „‚Bimini“, einer schon früher in Wien bekannten Glas- und Porzellanfirma, gearbeitet und mit viel Phantasie und Spaß einige niedliche und lustige Glastierchen hergestellt. Der Besitzer Fritz Lampl war uns recht wohlgesinnt. Erich hatte ihm mein Selbstporträt gezeigt, das ich 1943/44 gemalt hatte. Es gefiel Lampl sehr gut. Wir waren bei ihm zum Mittagessen eingeladen. Bei Rindssuppe und Senfbraten. Ein wahres Erlebnis in diesen kargen Kriegszeiten. Lampl gab mir den Auftrag, ein Porträt von ihm zu malen. Für 30 Pfund. Sechsmal so viel als mein Wochengehalt. Es war mein erster bezahlter Porträtauftrag, zustande gekommen mit Erichs Hilfe. Ich las seine Gedichte, er sah meine Zeichnungen und Bilder. Obwohl ich fast immer ein wenig geschrieben habe, wußten weder er noch kaum jemand anderer etwas davon. Meine Hauptarbeit war Zeichnen, Malen und später die Bildhauerei. Erich kam zu allen meinen Ausstellungen in London und war ein sehr verständiger Freund. Ich habe auch ihn einige Male gezeichnet. Zwei dieser Zeichnungen besitze ich noch. Mitte der 60er Jahre bereitete ich Arbeiten, meist aus Bronze und Stahl, für eine Erich Frieds Jugendjahre in Wien Anläßlich der Einrichtung eines Erich Fried-Gedenkraums im Wiener Bezirksmuseum Alsergrund ist im Verlag Turia + Kant das Buch ‚Am Alsergrund. Erich Frieds Jugendjahre in Wien (1921--1938)“ erschienen (öS 180.-). In gelungener, reich bebilderter Aufmachung versammeln die Herausgeber, Volker Kaukoreit und Wilhelm Urbanek, zahlreiche Dokumente zu Erich Frieds Jugend in Wien, darunter viele bisher unveröffentlichte (aus Wiener Archiven und aus dem Nachlaß des Dichters). Gleichzeitig wird damit auch ein Stück hiesiger Lokal- und Zeitgeschichte beleuchtet, wozu das düstere Kapitel der Verfolgung und Vertreibung der Wiener Juden 1938 gehört. Der Band enthält weiters verschollene Texte mit Österreich-Erinnerungen des Jungen (Kramer-Freundes) Fried aus dem Londoner Exil. Bedeutend ist der Wiederabdruck seiner Schrift ,, They Fight in the Dark. The Story of Austria’s Youth«, einer (seltenen) Widerstandsbroschiire, die 1944 in London erschien. Daneben stehen Original-Beiträge anderer Zeit-Zeugen (Freunde und Bekannte Frieds), zum Beispiel der Text »Bei uns auf der Alserbachstraße« des Malers und Bildhauers Ernst Eisenmayer. Über Vermittlung der Herausgeber hat uns der mittlerweile in Amsterdam lebende Künstler die Fortsetzung seiner Erinnerungen zum Abdruck inMdZ gegeben. Seine betont persönlichen Einlassungen reichen über das Londoner Exil weit hinaus und erlauben somit auch einen subjektiven Einblick in die ‘Nachgeschichte’ des Exils, z.B. in die fortbestehenden Kontakte der Exilanten untereinander. 19