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Ilse Pollack Else Lasker Schüler war fünfundsechzig Jahre alt, als sie 1934 zum ersten Mal in das Land ihrer lebenslangen Ilyrischen Sehnsucht reiste, das ihr ab 1939 zur letzten Lebensstation werden sollte. 1933 bereits hatte sie Deutschland verlassen und seither als Emigrantin in Zürich gelebt. Die Reise führte sie mit dem Schiff ab Genua nach Alexandrien, wo ihre geplanten Vorlesungen ,,aus Glaubensgriinden“ jedoch nicht zustandekamen. Von dort ging es weiter, mit dem Zug nach El-Kantara zur Grenze, und endlich per Fähre in das von ihr erträumte, „Heilige Land“. ‚Wie oft hatte ich Ägypten mit dem Ziel Jerusalem, schon wie oft im Traum zur See und im Lokombotivrhythmus erreicht!“ In der Heiligen Stadt lebten damals bedeutende Menschen, die ihre Gedichte schätzten: der aus Prag stammende Hugo Bergmann, Rektor der Universität, der aus Wien stammende Architekt Leopold Krakauer und seine Frau Grete; der aus Galizien stammende Schriftsteller Samuel Agnon und seine Frau Esther aus Königsberg. Das Ehepaar Dr. Albert und Anna Ticho, in dessen Haus sich jene deutschen Einwanderer versammelten, an denen die Bezeichnung ‚‚Jekkes‘“ haften blieb, weil sie auch bei der größten Hitze Jacke und Krawatte niemals ablegten. In Jerusalem bezog die Dichterin ein Zimmer im Gasthof Nordia, wo sie auf dem Balkon nächtens ‚leiser Karawanenmusik und dumpfer Trommel“ lauschte; in Tel Aviv und Haifa war sie bestens aufgehoben bei den Schauspielern und Künstlern des Theaters ,,Habimah“. Sie fuhr ans Tote Meer und nach Jericho, nach Tiberias und ,,zum heiligen Garten Gethsemane“. Uber alle diese Stationen schrieb sie, nach Zürich zurtickgekehrt, ihr ,,gliicklichstes“ Buch: ,,Das Hebrierland“. Jerusalem sei ein ,,starker Extrakt“, heiBt es dort, ,,einige Tropfen von seinem konzentrierten Zauber verursachten schon magisches Fühlen und Verklärung des Blicks. Doch gelte es, „‚das Verzauberte erst zu verdau“ en. „Einige Wochen weilte Else Lasker Schüler in Zion. Hier darf man den schwärmerischen Ausdruck gebrauchen. Ihr ist Jerusalem ein Zion, der ‘Vorhimmel des Himmels’ “, berichtet Erich Gottgetreu in der „Jüdischen Pressezentrale Zürich‘ am 17. 22. September 1937 über ihren zweiten Besuch in der Heiligen Stadt. Er erwähnt eine Ausstellung mit den „‚begabten Zeichnungen der Dichterin“ und einen Vortragsabend im Gastzimmer einer Milchwirtschaft in Rehavia, dem Viertel der deutschen Kolonie Jerusalems. Längst nicht alle Zuhörer fanden Platz, so daß sich einige „wie Einbrecher zum Balkon hinaufschwangen“. Die Dichterin las u.a. das Jerusalem Kapitel aus dem ‚‚Hebräerland“ vor. Dazu vermerkt der Berichterstatter: „Der Ernst auf ihrem Gesicht machte die abstrusesten Behauptungen dieses phantasieschönen Buches fast wirklich.“ Wie in ihrer Lyrik zuvor, hat Else Lasker Schüler das Land und die Stadt ihrer Sehnsucht im Hebräerland verklärt. Doch ist letzteres bloß ein prosaischer Ausdruck, der eine Zeit- und Raumüberwinderin niemals trifft. Als sie 1939 zum dritten Mal nach Palästina reiste, gab es für die Dichterin kein Zurück nach Europa mehr: Die Schweizer Behörden verweigerten ihr eine neuerliche Aufenthaltsgenehmigung. Fortan war sie gezwungen, ihren Traum tagtäglich durch eine Wirklichkeit zu tragen, die ihm natürlich keineswegs entsprach. Sie war eine berühmte Dichterin, doch sie war auch eine alte Frau. Itta Shedletzky, vor fast dreißig Jahren aus Zürich zum Studium nach Jerusalem gezogen und seitdem hier verwurzelt, führt uns an einem lichtdurchfluteten Frühlingstag auf den Spuren von Else Lasker Schüler durch Jerusalem. Sie ist Mitherausgeberin einer in Vorbereitung befindlichen 12 bändigen kritischen Gesamtausgabe von Else Lasker Schülers Werken und Briefen, hat an der hiesigen Universität eine Gedenkausstellung gestaltet und einen schönen Katalog mit teilweise unveröffentlichtem Material publiziert. Darunter Briefe und Karten an Samuel J. Agnon und Nehemia Cymbalist, den aus Litauen eingewanderten Archäologen und Kibbuznik, den Else Lasker Schüler 1936 in Ascona kennengelernt, und dem sie bis zu ihrem Tod in Freundschaft verbunden war. Frau Itta hält die längst vergriffene Taschenbuchausgabe des Hebräerlands in der Hand und liest daraus an den einzelnen Stationen ihrer Stadtführung vor. Wir kommen an dem imposanten, steinernen Wolkenkratzer des „King David Grand Hotel“ vorbei. “Es ziemt sich nicht im Heiligen Land Luxus zu tragen“, hatte die Lyrikerin festgestellt und gegen die , respektlose Geschmacklosigkeit‘‘ gewettert, dieses ‚„‚prahlende Steingeschmeiß“ nach dem Dichterkönig David, dem ,,Psalmenmelech“ zu benennen. Wie beleildigt muß eines Dichters Herz erst nach Betreten der Eingangshalle sein, in der gerade schnöde Geschäftspapiere, emporgehoben von Managern aus aller Herren Länder, König Davids Namen entweihen. Zwischen Auslagen mit glitzernden Juwelen liegt noch ein anderes Angebot feil: die stilvollen Puppen einer Städtelfolklore, die anzufertigen ihre Herstellerin ‚in a german concentration camp near Nürnberg“ gelernt haben will. Beklemmung verwandelt sich in Trauer, und die will nicht weichen, auch nachdem wir die „Luxuszone‘“ verlassen. Der Blick trifft ein zerstörtes Jerusalemer Haus, und der Fuß geht über einen ehemaligen arabischen Friedhof, der heute ein Abstellplatz für Autos ist. An einer Kreuzung heulen Sirenen auf, und die Straße wird abgesperrt, ohne daß dies jemanden wundert. „Es ziemt sich nicht, hier im Heiligen Land Zwietracht zu sien“, hatte die Dichterin in kursiver Schrift mahnend geschrieben und ihren festen Glauben an die Eintracht zwischen Juden und Arabern unentwegt bekundet. In Gegnerschaft gerät sie nur zu den jungen arabischen Eseltreibern, die ihre Tiere so schwer beladen und so schlecht behandeln: ‚Ein Esel, erkläre ich in englischer Sprache den aufhorchenden Fendis, ist ebensogut ein Mensch wie wir. Allah wird euch strafen!“ „Im Herzensgrunde habe ich das arabische