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Blockhauses ‘Bait meschutaff = gemeinschaftliches Haus’. 1 Treppe draußen erklettern.“ Eine minutiöse Beschreibung ihres Zimmers bei ‚„Gewereth Weidenfeld“ hat Nehemia Cymbalist in hebräischer Sprache verfaßt und Itta Shedletzky für den Katalog übersetzt: „Im Zimmer zwei Fenster, die auf die Stadt blicken, sie sind geschlossen und mit einem Wachstuch verhängt. In einer Ecke ein Tisch mit Eßgerät, verschiedenen Lebensmitteln, Zahnputzgerät und Waschzeug, neben dem Tisch ein Nachttopf, ein Korb mit einem Körbchen, eine Kiste mit einer Decke darüber und darauf ein Stapel von Hüten. [...] Am Rande des Gestells neben der Tür stehteine grünliche Vase mit einer Iris (sie sagt, es sei eine Orchidee, eine Lilie — die sie zum Andenken an ihren verstorbenen Bruder hingestellt habe), daneben eine bläuliche Vase mit einem Mandelblütenzweig, sie sagt, sie hätte ihn verwundet auf der Straße gefunden und in ihr Zimmer gebracht. [...] Unter dem Fenster ein Körbchen mit Orangenschalen, Blumenkohlresten, Radieschenschalen ... [...] Zwischen dem Tisch und dem östlichen Fenster steht schrag ihr Bett: eine Art Militärklappbett oder ein Bett zusammenklappbar wie eine Mundharmonika ...“ In Nehemias Familie wurde die Totenmaske aufbewahrt, die Grete Krakauer von der Dichterin angefertigt hat. Wir sehen sie abends in der Ausstellung, neben den wenigen Schmuckstücken von Else Lasker Schüler: Ein Fingerring mit ovaler Uhr; eine Brosche mit ,,tanzender Perserin in grün-rot-blauer Kleidung und Bäume auf gelbem Hintergrund“. Ein herzförmiger Anhänger aus Glas in Metallfassung und vorne und hinten je eine Kinderphotografie des Sohnes Paul.. Als ein Freund nach dem Tod der Dichterin in ihr ,,chaotisches“ Zimmer ging, hat er auch den bräunlichen Pappkoffer gefunden, mit „Manuskripten und Typoskripten, Zeichnungen, Entwürfen und Skizzen in Wort und Bild, in Notizheften und auf zahlreichen Blättern und Zetteln“, die einzige und wahre Hinterlassenschaft einer Dichterin. Neben den farbenprächtigen Zeichnungen, auf denen „manche Antlitze schon am Tage sternen wie in der Nacht die wirklichen Sterne‘, befindet sich das Exponat Gerhard Scheit Nummer 129, ein aus einem spiralrändrigen Notizbuch herausgerissener karierter Zettel. „Im Grauen der Einsamkeit“ sehen wir eine Gestalt, deren um den Hals geknotete Schlinge an dem Ast eines kahlen Baumes ohne Zweige hängt. Schon 1937 hatte sie (noch) aus Zürich an Nehemia geschrieben: „Heiliges Land. Zu viel zu schwer — für den, der ein Herz hat, oder es müßte noch stärker wie das meine sein.“ Bei der Feier des 100. Geburtstag des Schriftstellers sind die kritischen Stimmen mehr denn je zurückgetreten. Dies hängt nicht nur mit der staunenden Pietät zusammen, die das Alter des Jubilars erheischt. Es zeigt sich darin auch ein gewisse Abstumpfung politischer Kritik — die entweder moralisches Pathos oder psychologische Betroffenheit walten läßt. Die moralisierende Lektüre urteilt im Gefühl einer prekären Überlegenheit: Die Abstraktion von den Voraussetzungen und Bedingungen moralischer Normen hindert den Urteilenden, Erkenntnisse zu gewinnen über das, was er verurteilt — und damit auch über sich selbst. Nicht minder prekär ist die psychologisierende Absage, wie sie weitverbreitet in einer Art Männergruppen-Prosa vorherrscht, die auch die Form des Tanztheaters annehmen kann: Ihr Subjekt testet einfach, ob Jünger auf die eigene sexuelle Befindlichkeit wirkt. Fällt der Test negativ aus, kann die Testperson beruhigt nach Hause gehen und Gottfried Benn lesen. Um die überwältigende Zustimmung, die Ernst Jünger heute erfährt, zu begreifen, genügt solche Selbstgewißheit durchaus nicht. Eher schon führt der kritische, nicht moralisch oder psychologisch verkürzte, gute alte Begriff des Ästhetizismus zum Interferenzerscheinungen zwischen rechter und linker Politik. Die freundschaftliche Begegnung Heiner Miillers mit Ernst Jiinger hat eine lange Vorgeschichte. „Nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt“ — Ernst Jüngers gesamtes, in über siebzig Jahren produziertes literarisches Werk folgt dieser Maxime Nietzsches wie keiner anderen. Von den Tagebüchern aus dem Ersten Weltkrieg, von der „philosophischen“ Konzeption des ‚Arbeiters“ als dem Überwinder der Bürgerwelt, vom antisemitischen Essay „‚Über Nationalismus und Judenfrage“ bis zu dem als Werk des Widerstandes rezipierten Text ,,Auf den Marmor-Klippen“ und zu den Eindrücken aus der Welt der Insekten und des Reisens in den späten Tagebüchern - stets ist es Jünger darum zu tun, ein Phänomen zu ästhetisieren, um sich der Erkenntnis möglicher Kausalitäten ebenso zu entziehen wie den Anforderungen etwelcher moralischer Maßstäbe. Was bei den Käfern von verschwindend geringer Bedeutung ist und nur den naturwissenschaftlichen Wert von Jüngers Studien zu trüben vermag, erhält politische Brisanz, sobald das Auge des Ästheten sich gesellschaftlichen Vorgängen zuwendet — und dort ruhte es beharrlich: ,,Im Marz 1921 wohnte ich dem Zusammenstoße einer dreiköpfigen Maschinengewehrbedienung mit einem Demonstrationszuge von vielleicht fünftausend Teilnehmern bei, der eine Minute nach dem Feuerbefehl spurlos von der Bildfläche verschwunden war. Dieser Anblick hatte etwas Zauberhaftes. Er rief jenes tiefe Gefühl der Heiterkeit hervor, von dem man bei der Entlarvung eines niederen Dämons unwiderstehlich ergriffen wird.“ Die ästhetische Zurichtung der Gewalt hat einen geschlechtlichen Kern: Der , Kampf“ wird als „männliche Form der Zeugung“ begriffen und beschrieben, er entfesselt die „Wollust des Blutes [...] an grenzenlosem Schwunge nur der Liebe verwandt“. „‚Der Krieg ist ebensowenig eine menschliche Einrichtung wie der Geschlechtstrieb [...] Wir dürfen ihn nicht leugnen, sonst wird er uns verschlingen.“ Der große Vorteil aber 25