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Das Ziel, eine Herrenrasse zu züchten, oder im postfaschistischen Jargon: eine Elite, das Jünger in verschiedenen, und nicht nur deutschnationalen Variationen vorschwebte, ist selbst aus jener Haltung abgeleitet, die sich alles zum ästhetischen Genuß zurichtet, wie ja auch für Nietzsche die Zuschauerrolle ihrem Ursprung und eigentlichen Wesen nach Herrenrolle ist, namentlich im Falle der Grausamkeit, die als ,,Herrenrecht“ und zugleich stärkstes Motiv der Schaulust gilt: ,,Jedes Ubel ist gerechtfertigt, an dessen Anblick ein Gott sich erbaut“. Der Gott ist natürlich das Subjekt des Autors — und seiner maßlosen Egozentrik haben sich auch die politischen Führer unterzuordnen. Sie mögen ihre Grausamkeiten veranstalten, für den faschistischen Dandy sind sie doch nur Werkzeuge seiner Schaulust. Auch die Passagen, die in den „MarmorKlippen“ über die Gewalttaten im Reiche des Oberförsters geschrieben wurden und die vielfach auf die Wirklichkeit nationalsozialistischer Verfolgung bezogen wurden und werden, sind weniger auf eine Widerstandshaltung als auf den Genuß des Schreckens aus: Als der Erzähler sich der Marterstätte „Köppelsbleek“ nähert, wo das „‚Waldgelichter“ unter der Leitung des Oberförsters den Brauch des Kannibalismus praktiziert, hört er, ‚„‚wie zur Begleitung, im Tannicht den Wind sich wiegen, so daß die bleichen Schädel an den Bäumen im Chore klapperten. Auch mischten sich in sein Weben das Schwingen der Haken und das Kraspeln der dürren Hände an der Scheuerwand. Das klang so hölzern und beinern wie im Reich des Todes ein Marionettenspiel. Zugleich trieb mit dem Winde ein zäher, schwerer und süßer Hauch von Verwesung an, der uns bis in das Mark der Knochen erzittern ließ. Wir fühlten, wie in unserem Innern die Lebensmelodie auf ihre dunkelste, auf ihre tiefste Saite übergriff.“ Sie mitsingend, findet der Erzähler zurück zum Kult seines eigenen Subjekts: ,,nur die Höchsten, die mit uns leben, dringen bis in den Sitz des Schreckens ein. Sie wissen, daB alle diese Bilder ja nur in unserem Herzen leben, und schreiten als durch vorgestellte Spiegelungen durch sie in stolze Siegestore ein. Dann werden sie durch die Larven gar herrlich in ihrer Wirklichkeit erhöht.“ Die nach 1945 publizierte politisch-programmatische Schrift „Der Friede“, die Jünger nach eigenen Angaben 1941 ‚in ihren Grundzügen entworfen“ und 1943 fertiggstellt hat, erscheint wie eine Extrapolation der ,,Marmor-Klippen“: die Beschreibung der Grausamkeiten dieses Krieges läßt offen, ob es sich um solche der Deutschen oder ihrer Feinde handelt: „wenn wir den Blick auf diese Marterstätten wenden, so sei er offen und voll gerechter Kraft. Dort war das Lemurengesindel tätig, das seine grauenhaften Künste im Dunkeln treibt. Und wir erlebten die künstliche Entrüstung anderer Lemuren, die an die Luderplätze kamen, um das Verscharrte auszugraben [...] Die spielten die Kläger nur, um daraus für sich das Recht zu niederer Rache abzuleiten [...]“ Einerseits spricht Jünger Deutschland von der Kriegsschuld frei — mit ähnlichen Argumenten übrigens wie heute Ernst Nolte — andererseits hält er an der Auffassung fest, der Krieg sei ‚„‚die große Schmiede der Völker, wie er die der Herzen ist“, und behauptet die absolute Notwendigkeit des Weltkrieges, um Weltfrieden zu erreichen. Also muß auch nichts zurückgenommen werden, nicht der Begriff der ‚totalen Mobilmachung“, nicht die Verherrlichung des Krieges, die Mythisierung des Arbeiters als Soldaten, nicht einmal der Antisemitismus, denn Juden gibt es keine mehr: sie werden in Jiingers Friedenstext mit keinem Wort erwähnt. Rechnet der Text etwa schon damit, daß auf den ,,Marterstatten“ die Endlösung erfolgreich abgeschlossen worden ist? Im SPIEGEL-Gespräch von 1982 fragt Jünger schließlich: ‚Zu wieviel Prozent haben die Nationalsozialisten auch recht meint er, sie war „absolut schädlich - auch im volkswirtschaftlichen Sinn. Wenn ich an die ungeheuren Mengen von Wagen, von Güterzügen, Truppen und so weiter denke, die dafür benötigt wurden, das war doch irrsinnig.“ Der Begriff des Massenmörders hingegen fällt in anderem Zusammenhang: ‚‚mir wäre es lieb, wenn es keine Atommeiler gäbe, schon der Insekten wegen. Sehen Sie, ich kam hierher nach Wilflingen, was war da für ein Reichtum auf der Flur. Meine Käfersammlung ist beinahe paläontologisch geworden. Aber die Massenmörder haben Vorrang; denn über Insekten befindet das Landwirtschaftsministerium.“ Jünger selbst bezeichnet sich im Alter als „Anarche“ — und gibt damit zugleich ein treffliches Selbstporträt des gealterten deutschen Dandys: ,,ein Anarch kann alles sein zum Beispiel der größte Spießbürger, der an seinem Schreibtisch sitzt und sagt: ich mache alle diese Sachen mit, weil es fiir mich am bequemsten ist. Oder einer, der sich über alles mokiert. Aber er ist kein Anarchist, der die Welt verbessern willund Attentate macht.“ Diese Unterscheidung war und ist manchmal allerdings schwer zu treffen — für die einen, wie für die anderen. Bekanntlich verkehrte Ernst Jünger in der Weimarer Republik nicht nur mit Joseph Goebbels und Carl Schmitt sondern auch mit Bertolt Brecht und Erich Mühsam. Er gehörte wie sein Bruder Friedrich Georg, wie Otto Strasser und Ernst von Salomon, Gottfried Benn und Ernst Niekisch zu jenem schillernden Kreis von Intellektuellen, der wie die geistige Parallelaktion eines von KPD und NSDAP gemeinsam organisierten Streiks anmutet. Das Epitheton schillernd ist hier nicht, wie so oft, eine politische Verlegenheitslösung, sondern der präzise Terminus: denn es war eben jene Ästhetisierung der Politik, die als gemeinsame Plattform diente. Die klare Trennung, die Walter Benjamin 1934 zog, als er den Begriff prägte, hat leider nie existiert — sie selber ist vielmehr bereits eine politische Korrektur, die Benjamin unter dem Eindruck von Hitlers Erfolgen machte: ‚Der Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus [...] Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg [...] ‘Fiat ars — pereat mundus’ sagt der Faschismus und erwartet die künstlerische Befriedigung der von der Technik veränderten Sinneswahrnehmung, wie Marinetti bekennt, vom Kriege. Das ist offenbar die Vollendung des l’art pour l’art [...] So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.“ Die Antwort blieb aus. Innerhalb der kommunistischen Bewegung folgte man eher dem Konzept von Jüngers ‚Arbeiter‘, das schon Karl Radek für den Leninismus entdeckt zu haben glaubte. Während nach außen hin die Volksfront-Parole ausgegeben wurde, um bürgerliche Bündnispartner zu gewinnen, betrieben der dem Proletkult nachfolgende Sozialistische Realismus und die interne politische Propaganda ungebrochen die Ästhetisierung; der Arbeiter als mythische Figur wurde nur mit neuen, naturalistischen Mitteln dargeboten: als sozialistischer Held. Und in den Massenorganisationen wurde dafür gesorgt, daß die Arbeiterklasse durchwegs ein soldatisches Aussehen erhielt. Die Ästhetisierung der Politik fungierte auf beiden politischen Seiten als emphatisches Einverständnis mit der Modernisierung — einerlei unter welchen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen 27