OCR
Peter Malina Historiker meinen gerne, als Fachleute zu wissen, wie es damals gewesen ist, und sie liefern auch gleich die Erklärungen mit, damit jedermann weiß, wie es gewesen ist. Geschichte ist eine zu ernste Angelegenheit, um sie allein den Historikern zu überlassen. Wo es um Menschen geht, ist im Grunde jeder auf seine Weise und in seinen Beschränkungen, mit seinen Erfahrungen und seinem Wissen kompetent. Wo dieses Wissen durch persönliche Erfahrung gedeckt und diese Erfahrung auch ausgesprochen wird, dort rückt die Vergangenheit in die Gegenwart, und dort ist Geschichte dann nicht mehr eine antiquarische Angelegenheit oder ein Tummelplatz für vergangenheitssüchtige Nostalgiker. Dem ‚Historiker‘ Herbert Kuhner, als Schreiber und Beschreiber von Geschichte, sind die folgenden Ausführungen gewidmet. Nach dem traditionellen Verständnis von Geschichte mag diese Klassifizierung ungewöhnlich sein. Ich halte trotzdem daran fest, denn — und dies zeigt das literarische Werk Herbert Kuhners deutlich — Geschichte/Zeitgeschichte ist tatsächlich eine zu ernste Angelegenheit, um sie allein den Historikern zu überlassen. Zuwendung ist ein Schlüsselwort für das Verständnis der literarischen Arbeit Herbert Kuhners: sich der eigenen Geschichte zuzuwenden, sich ihr auszusetzen, auch wenn das schmerzhaft und mühselig sein mag und der Zuspruch und die Wertschätzung fehlen. Diese Zuwendung zur österreichischen Vergangenheit geschieht in einem gesellschaftlichen Umfeld, das sich permanent von der Vergangenheit abgewendet hat und nach Möglichkeit nichts von ihr wissen will. Kuhner freilich hat den gutgemeinten Rat „wende Dich ab ... wende Dich nur einmal ab, und die Zukunft gehört Dir“ nicht befolgt, denn er konnte nicht vergessen, daß er eines dieser Kinder mit den eintätowierten Nummern am Arm hätte sein können (Wären die Wände zwischen uns aus Glas, S.T1). Herbert Kuhners Leben ist österreichische Zeit-Geschichte: 1935, im Jahre seiner Geburt, wurden in Deutschland die Nürnberger Rassegesetze eingeführt; 1938, als er drei Jahre alt war, läutete es an der Tür: Meine Mutter brachte mich schnell in Sicherheit, als zwei Männer in Straßenkleidung eintraten ... Der Mann mit dem braunen Anzug stieß meine 83jährige Großmutter vom Schrank weg und durchsuchte ihn. Und wirklich war ihr Haushaltsgeld darin versteckt. (Der Ausschluß, S.7) Das Erlebnis des Zurückgestoßenseins begleitete ihn auch nach seiner Rückkehr in Österreich: Deshalb muß ich für meine Großmutter und für all jene, die wie sie weggestoßen wurden, sprechen - für diejenigen, die von der Kredenz weggestoßen wurden, und für diejenigen, die in den Tod gestoßen wurden. (Der Ausschluß, S.8) 1939 konnte Herbert Kuhner mit seinen Eltern Österreich gerade noch verlassen, „ehe uns die Todesmühle zermahlen konnte“ (Der Ausschluß, S.5). Als er 1963 von New York wieder nach Österreich zurückkehrte, war es, als sei er aus der Pfanne ins Feuer geraten: ,, Als ich in New York lebte, kam ich mir entwurzelt vor. Wieder in Wien, wußte ich erst, daß ich wirklich entwurzelt war.“ (Der Ausschluß, S.5) In einem Österreich, das den „Anschluß“ des Jahres 1938 nach 1945 eiligst vergessen machen wollte, erlebte Herbert Kuhner nach seiner Riickkehr permanent den „Ausschluß“. So nennt er folgerichtig auch seine autobiographischen ,,Memoiren eines Neununddreißigers“. Der ‚„Remigrant“ Kuhner (wie er sich selbst bezeichnet) stand und steht zwischen zwei Welten: „Da ich einen Schuh aus der Alten Welt und einen aus der Neuen Welt trage, vermag ich einen Steptanz aufzuführen, der eine Bereicherung des transatlantischen Variétés werden k6nnte.“ (Der Ausschluß, 8.9) Kuhner ist in den Vereinigten Staaten aufgewachsen und hat dort sein Studium vollendet. Englisch ist zu seiner literarischen Sprache geworden. Die (deutsche) Sprache seiner Kindheit freilich hat er nicht vergessen. Diese Bereicherung des Lebens in zwei Sprachen erlebt er freilich in Osterreich, in dem sich — so der Eindruck des Zuriickgekehrten — im Grunde nichts geändert hat, als Strafe. Kuhner schreibt englisch. Die für ihn zunächst neue, fremde Sprache war die Sprache der Zuflucht und der Rettung, denn: Wäre ich in der „Ostmark“ geblieben, um die deutsche Sprache zu beherrschen, hätte ich sie nicht lange gesprochen, und ich wäre jetzt nicht hier, um so viele Probleme zu verursachen. Die deutschen Texte Kuhners sind Übersetzungen, Übersetzungen in die Sprache derer, die ihn 1938 ausgeschlossen haben. Das Österreich, in das Kuhner zurückkehrte, wollte über die Vergangenheit Gras wachsen lassen, empfand Erinnerung an ‘damals’ als störend und lästig, war den Opfern gegenüber höchst reserviert und ungeduldig, den Tätern und Mitläufern gegenüber aber durchaus wohlwollend und ‘gnädig’. Herbert Kuhner ist in Österreich nicht willkommen geheißen worden. Seine bittere Erklärung (in dem Gedicht ,,Emigranten und Remigranten“): Du fragst, warum man dich nicht bat, in dein Heimatland zurückzukehren. Du fragst, warum sich kein Regierungschef und keine Kirchenfürsten nach dir sehnten. fis] Die Antwort ist einfach: Du bist kein alter Kämpfer wie Walter Reder, der seine Pflicht erfüllte für Führer und Reich! Der österreichischen Unmenschlichkeit mit lächelndem Gesicht hat Kuhner in dem Text „Mein Berater“ ein literarisches Denk-Mal gesetzt: Mein Berater: ein netter freundlicher Mann, servierte Tee und Kekse, sagte, daß er meine Arbeit bewundere, versicherte mir, daß er mein Bestes wolle ... Kuhner hingegen will nicht das „Beste“, sondern Klarheit und Offenheit, aber: Wie konnte ich es erklären? Es war alles ein Irrtum. Ich wollte gar keinen Tee. Ich trinke nur Kaffee. (Der Ausschluß, S.74) Herbert Kuhners Blick auf die Geschichte ist der eines scharfen Beobachters, der sich das eingesteht, was Historiker nicht gerne zur Kenntnis nehmen wollen: daß sich Geschichte tatsächlich (manchmal) so abspielt, wie es sich der ‚kleine Mann“ vorstellt. In seinem Text ‚Der Raucher und der Abstinenzler“ beschäftigt er sich mit zwei Männern, die in der österreichischen Zeitgeschichte eine verhängnisvolle Rolle mit-gespielt haben: Adolf Hitler und Kurt Schuschnigg und ihre Begegnung in Berchtesgaden Anfang Februar 1938: Schuschnigg war blond und fesch und hatte eine schöne Stimme. Der Führer war, wie wir wissen, derb und hatte eine raspelnde Stimme. Er schaute gerne auf einen Mann herab, und deshalb entschied er 29