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Peter Malina Herbert Kuhner Das Buch, das Peter Malina bespricht, ist schon vor drei Jahren erschienen. Es ist mittlerweile vergriffen und sollte neu aufgelegt werden. Herbert Kuhner bereitet inzwischen eine Prosaanthologie jüdischer AutorInnen aus Österreich vor. Das Buch blieb nicht unbeachtet, doch wurde seine Bedeutung für die österreichische Literatur (als erste Anthologie jüdischer Lyrik seit 1945) und seine Bedeutung als Seismograph des Wandels, der sich gegenwärtig in Österreich vollzieht, wohl kaum erkannt. — Die Red. Ernsthafter und verantwortlicher Umgang mit der Vergangenheit verlangt Aufmerksamkeit, Verletzlichkeit, Sensibilität und die Bereitschaft, sich den Schatten der Erinnerung auszusetzen. Diese Erinnerung mag widersprüchlich sein und schmerzhaft, wird aber in dieser Widersprüchlichkeit und im Schmerz der Erinnerung ‚,‚lebendig“ und lebensnah. Durch seine Übersetzungen hat Herbert Kuhner einen Weg in diese belastete und noch immer belastende Vergangenheit eröffnet, und er hat dazu diejenigen sprechen lassen, die mit der Geschichte der Verfolgten ihre eigene Geschichte zur Sprache bringen. Anlaß für die Anthologie jüdischer Lyrik aus Österreich war das Bedenk-Jahr 1988, mit dessen Ende auch das Bedenken und Gedenken zu Ende ging. Die in der Anthologie gesammelten Gedichte dokumentieren literarisch, daß Bedenken und Gedenken prinzipiell nicht zu Ende gehen können und dürfen, weil noch so viel an Vergangenheit in der österreichischen Gegenwart mächtig ist. In den Texten sind Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Österreich von heute wiedergegeben, die man oft nicht wahrhaben will. Sie sind gewidmet jenen Autorinnen und Autoren, die von den Nazis ermordet oder vertrieben und niemals zurückgerufen worden sind. In der englischen Übersetzung wird einem durch die fremde Sprache manches deutlich, was einem in der eigenen, gewohnten Sprache selbstverständlich scheint. Wechselt man beim Lesen zwischen dem deutschsprachigen Text und der englischen Übersetzung, ereignet sich das Erstaunliche: In der Distanz zur eigenen Sprache werden Inhalte, die sonst überlesen, übergangen, beiseitegeschoben werden, wesentlich und bedeutsam. Die in der Anthologie gesammelten Gedichte drücken Lebenserfahrungen aus, sprechen an, was meist verschwiegen wird, sagen deutlich, was bedrückt und bedroht, machen klar: ,,... sie lassen uns nicht die ins Gas, und dennoch ist es oft zum Ersticken“ (Peter Daniel, S.24). Es bleibt die bittere Erkenntnis: ‚,... doch am meisten haßt der Mensch sein Opfer“ (Stella Rotenberg, S.179). Die „Schatten der Vergangenheit“ begleiten die Geschichte der Überlebenden im Gedenken an die Ermordeten von Schattendorf (Rivka Richter, „Schattendörfer“ , S.107). Die Sehnsucht der Exilierten nach der einstigen Heimat Österreich ist gepaart mit der Gewißheit, diese Heimat nicht mehr wieder finden zu können: „Wir sitzen auf Stühlen, die nicht unser sind... Wir haben keine Heimat“ (St. Rotenberg, S.178). Auch die Toten sind heimatlos geworden: „Doch wie soll ich jene besuchen, deren Grab in den Lüften liegt?“ klagt Wolfgang Georg Fischer in seinem ,,Wienerlied der Graber“ (S.152). Und Frederick Brainin träumt nach 49 Jahren in New York noch immer davon, in der Lessinggasse in Wien zu wohnen (S.140). Der neue Anfang erfordert eine Loslösung von der Vergangenheit, jedoch: ,,... es gibt keinen Anfang, es gibt keinen Nullpunkt“, den ‚‚die Vergangenheit ist untrennbar von mir — wie mein Schatten, dem ich lebenslänglich ausgeliefert bin“ (Tamar Radzyner, S.97). Es ist der österreichische Umgang mit der Vergangenheit, der in den Gedichten immer wieder thematisiert wird. Die poetische Vergegenwärtigung des Vergangenen macht hellhörig für die gegenwärtige Gefährdung. Das ,,Jetzt und das Wieder“ ist im Knistern des brennenden Holzes einer Synagoge und im Heulen der Menge in den Straßen zu vernehmen (Else Keren, „Warnsignal“, S.164). Auf die gut gemeinten Ratschläge, zu vergessen, nicht (mehr) hinzuschauen und damit Zukunft zu gewinnen, kann Herbert Kuhner nur antworten: „Es war mir unmöglich, nicht hinzuschauen, wie man es von mir verlangte. Ich konnte und wollte mich nicht abwenden von den Kindern mit den eintätowierten Nummern am Arm“ (S.71). Die glückliche Insel Österreich ist für viele zu einer Insel des Unglücks und der enttäuschten Hoffnungen geworden. Sie können die Vergangenheit, ihre Vergangenheit nicht auslöschen und einfach ,, vergessen“, sie lebt in ihren Träumen weiter — und diese Träume sind deutsch (S.75). Alles schien gut in dieser Wiedergutmachung aufösterreichisch, die durch das Auf die lange Bank Schieben die Vergangenheit entsorgt zu haben vermeinte — ,,Das ist doch gut, daß sich die Ungehausten jetzt hier so zu Hause fühlen, die bösen Worte ungesagt bleiben, die schlechten Gedanken nur gedacht werden“ (Conny Hannes Meyer, S.82). Im Gedenken an ‚Damals‘ werden zerbrochene Tassen beweint, überflüssige Fragen nach Dokumenten gestellt und über abhanden gekommene Garderobe geklagt — die Opfer aber verstummen und werden wieder stumm gemacht: ‚Wenn mich wer fragt, wie es damals war, kann ich nichts sagen“ (T. Radzyner, S.88). In der Wiener Leopoldstadt hat sich seither nichts geändert - „‚nur daß die Mörder jetzt die Mieter sind“ (Hans Reiter, S.105). Was bleibt ist der jiidische Friedhof in Prag als Platz der ,,ewigen“ Erinnerung — fiir Traudi Reich-Portisch hiiten die in die Grabsteine gravierten Namen die Geheimnisse, sind der Anfang und das Ende, in ihrem Schoß schläft die Zeit (S.103). Was bleibt, sind die bitteren Worte Herbert Kuhners, wenn er seine Remigration nach Österreich beschreibt: „Man hat mir ein paar Brösel versprochen, wenn ich sie vom Boden auflecke. Als ich ablehnte, warf man mir Undankbarkeit vor und behauptete, bei mir sei eine Schraube locker“ (S.69). Wenn Stella Rotenberg doch noch einmal zurückkehren möchte zur Stätte ihrer Kindheit und Jugend, dann nicht wegen der weinseligen Gaststuben, der leichtfüßigen Walzer oder der rohen Gastlichkeit, sondern um den Klang ihrer Muttersprache zu hören, und sei es, daB sie sich zuriickbegeben muß ‚in den Schlund der Hölle“ (S.180). Wären die Wände zwischen uns aus Glas/If the walls between us were made of glass. Jüdische Lyrik aus Österreich. Deutsch und englisch. Hg. von Peter Daniel, Johannes Diethart und Herbert Kuhner. Ins Englische übersetzt von Herbert Kuhner. Wien: Verlag der Apfel 1992. 217 S. 31