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Richard Kovacevic Beschreiber Vor mehr als sieben Jahren verstarb ,,ein besonderer Mensch“ — denn als einen solchen bezeichnete sich der jiidische Wiener Schriftsteller Hermann Hakel (19111987), zugleich aber auch als ein ,,nicht einmal mittelmäßiges Talent“. Seither sind im LYNKEUS-Verlag — einer Griindung der Hermann Hakel Gesellschaft — drei Biicher von ihm bzw. tiber ihn erschienen. 1988, in den ,,Erinnerungen“ an ihn, lieferten Freunde, Schiiler und Schriftstellerkollegen ein kaleidoskopartiges Bild seiner Person und versuchten, auf Grund ihrer spezifischen Erfahrungen mit ihm die Wirkung zu erklären, die von ihm zweifellos ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang äußerte ein Rezensent sein Erstaunen darüber, daß Hakel ‚‚auch‘“ und „doch“ Freunde gehabt habe — Hakels eminente Begabung, schwärmerische Verehrer von heute in unversöhnliche Gegner von morgen zu verwandeln, ist noch immer allgemein bekannt. 1991 war es dann der Band ,,Diirre Aste, welkes Gras. Begegnungen mit Literaten, Bemerkungen zur Literatur“, der das Interesse der Kritiker und der Leser erregte. Eingeweihte wußten ja von Hakels aggressivem Umgang mit seinen Zeitgenossen; waren doch seine diesbezüglichen Bonmots geradezu die Würze diverser Gespräche, aber nun, schwarz auf weiß, erhielten seine Ausführungen doch eine neue Dimension. Er, der nach 1947 als zeitweiliges Vorstandsmitglied des österreichischen P.E.N.-Clubs, als Förderer junger Autoren und Herausgeber der Literaturzeitschrift „Lynkeus‘“ (vorerst 1948-1951) den Literaturbetrieb und die Entwicklung des Phänomens „Kunst“ in jenen Jahren aus nächster Nähe miterlebt hat, zeigt in diesen nachgelassenen Aufsätzen, Glossen und Kritiken ganz deutlich, was ihn schließlich bewogen hat, die „Szene“ zu verlassen und sich zurückzuziehen: Ekel. Das Buch ist übrigens vergriffen. „Der unheilbare Wahn. Denkprozesse“ , herausgegeben von Hakels langjährigem Freund, dem Schriftsteller Gerhard Amanshauser, erschien 1993. Es beinhaltet Aphorismen, wenn man den Begriff im erweiterten Sinn gebraucht, Ergebnisse einer langjährigen gedanklichen Beschäftigung mit Problemen der Sprache, der Lite32. ratur und Kunst, aber auch der Philosophie und Psychologie, der Naturwissenschaften und Verhaltensweisen, der Religion und des Judentums. Die ganze Spannweite des Hakelschen Denkens, das ja, gemeinsam mit der Rhetorik, seine eigentliche Potenz ausmachte und die schriftstellerischen Arbeiten weit überragte, wird hier deutlich. Vor allem erkennt der Leser, wie sehr sich doch Hakels Weltbild von all den gegenwärtigen Ismen verschiedenster Herkunft unterscheidet. Das war wohl auch der Grund für seine Anpassungsunfähigkeit. Lebensgefährliche Situationen zu beobachten und dabei nicht zu verzweifeln, hat mich wahrscheinlich für alle Male geprägt. Mit dieser Methode überlebte ich Hunger- und Emigrationsjahre, Krankheiten und Literaturbetrieb nach meiner Heimkehr. Im Grunde genügt es mir, ein außenstehender Beobachter und Beschreiber zu sein, ganz gleichgültig ob das einen Sinn oder eine Zukunft hat. Dem Markt mit seinen Anforderungen fühle ich mich nicht gewachsen, wenn ich die nun einmal gewonnene Haltung bewahren will ... Schon 1931, als Zwanzigjähriger, hat Hakel mit dem Beobachten und Beschreiben des um ihn herum Vorgehenden begonnen. Fünfundfünfzig Jahre lang machte er darüber Aufzeichnungen in Form von Tagebüchern, seinem eigentlichen Vermächtnis, und wurde so zu dem, was man heute einen „Zeitzeugen“ nennt. Und er war ein unbestechlicher Zeuge, von nichts und niemandem abhängig. Der vierte Hakel-Band, der demnächst (Mai 1995) erscheinen wird, trägt den Titel „Zu Fuß durchs Rote Meer. Impressionen und Träume“. Es geht einerseits um sinnliche Wahrnehmungen, Szenen aus dem täglichen Leben in all seinen Nuancen; daneben aber wird Unterbewußtes reflektiert, wodurch sich manches erst erklärt. Beginnend mit der Arbeitslosenzeit in Wien, führt der Bogen über das Jahr 1938, die Emigrations- und Nachkriegszeit, bis zur Verwandlung unserer Kultur in ein weltweites Kitsch- und Konsum-Konglomerat. Mehr als in allen anderen schriftlichen Äußerungen haben Hakels Impressionen und Träume mit Menschen zu tun. Es ist nicht „‚der Mensch“ — eine Metapher, die Hakel stets aufs schärfste ablehnte -, um den es hier geht; es sind Gesichter, Gespräche, Szenen, Traumbilder und Traumgeschehnisse, beobachtet von einem, der sich bemüht, seine Eindrücke möglichst prägnant wiederzugeben. Aber oft wird er zu mehr als zum Beobachten und Beschreiben „gezwungen“: nämlich zur Anteilnahme. Denn das, was er sieht und hört, löst in ihm Reaktionen aus und so wird er oft in die Ereignisse, die er beschreibt, einbezogen. 1939 emigrierte Hakel nach Italien. Ein Jahr später wurde er in Mailand verhaftet und verbrachte die Kriegsjahre bis 1944 in verschiedenen süditalienischen Internierungslagern. Diese waren nicht zu vergleichen mit deutschen Konzentrationslagern; wenn man Glück hatte und keinen Krankheiten zum Opfer fiel, konnte man überleben. Das war auch ein Grund dafür, daß Hakel später immer wieder seine Sympathie für die italienische Mentalität betonte. Aber als er in Mailand ins Gefängnis eingeliefert wurde, begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt. ... Nach ein paar Tagen komme ich in eine größere Zelle. Hier sind wir zu zwölft. Die ganze Nacht glimmt eine schwache Lampe. Mehrmals öffnet ein Aufseher die kreischende Eisentür, richtet den Lichtkegel seiner Taschenlampe aufjedes Lager und zählt uns. Wenn es hell wird, waschen wir uns knieend in einem Becken, das auf dem Boden steht. Die Zähne werden mit dem Zeigefinger geputzt. Nachher hocken einige da wie ihre Affenahnen und suchen in ihren Hemden und Unterhosen nach Läusen und Flöhen. Ständig verschwindet einer hinter dem hölzernen Paravent. Unten sieht man seine Füße, oben seine Haare. Man hört unmißverständliche Geräusche und Papiergeraschel. Täglich werden Männer eingeliefert und andere abtransportiert. Manchmal geht einer von uns zur Eisentür und brüllt, daß er unschuldig sei