Vor mehr als sieben Jahren verstarb ,,ein
besonderer Mensch“ — denn als einen sol¬
chen bezeichnete sich der jiidische Wiener
Schriftsteller Hermann Hakel (1911¬
1987), zugleich aber auch als ein ,,nicht
einmal mittelmäßiges Talent“. Seither
sind im LYNKEUS-Verlag — einer Griin¬
dung der Hermann Hakel Gesellschaft —
drei Biicher von ihm bzw. tiber ihn erschie¬
nen.
1988, in den ,,Erinnerungen“ an ihn, lie¬
ferten Freunde, Schiiler und Schriftsteller¬
kollegen ein kaleidoskopartiges Bild sei¬
ner Person und versuchten, auf Grund ihrer
spezifischen Erfahrungen mit ihm die Wir¬
kung zu erklären, die von ihm zweifellos
ausgegangen ist. In diesem Zusammen¬
hang äußerte ein Rezensent sein Erstaunen
darüber, daß Hakel ‚‚auch‘“ und „doch“
Freunde gehabt habe — Hakels eminente
Begabung, schwärmerische Verehrer von
heute in unversöhnliche Gegner von mor¬
gen zu verwandeln, ist noch immer allge¬
mein bekannt.
1991 war es dann der Band ,,Diirre Aste,
welkes Gras. Begegnungen mit Literaten,
Bemerkungen zur Literatur“, der das Inter¬
esse der Kritiker und der Leser erregte.
Eingeweihte wußten ja von Hakels aggres¬
sivem Umgang mit seinen Zeitgenossen;
waren doch seine diesbezüglichen Bon¬
mots geradezu die Würze diverser Gesprä¬
che, aber nun, schwarz auf weiß, erhielten
seine Ausführungen doch eine neue Di¬
mension. Er, der nach 1947 als zeitweiliges
Vorstandsmitglied des österreichischen
P.E.N.-Clubs, als Förderer junger Autoren
und Herausgeber der Literaturzeitschrift
„Lynkeus‘“ (vorerst 1948-1951) den Lite¬
raturbetrieb und die Entwicklung des Phä¬
nomens „Kunst“ in jenen Jahren aus näch¬
ster Nähe miterlebt hat, zeigt in diesen
nachgelassenen Aufsätzen, Glossen und
Kritiken ganz deutlich, was ihn schließlich
bewogen hat, die „Szene“ zu verlassen
und sich zurückzuziehen: Ekel. Das Buch
ist übrigens vergriffen.
„Der unheilbare Wahn. Denkprozesse“ ,
herausgegeben von Hakels langjährigem
Freund, dem Schriftsteller Gerhard
Amanshauser, erschien 1993. Es beinhaltet
Aphorismen, wenn man den Begriff im
erweiterten Sinn gebraucht, Ergebnisse ei¬
ner langjährigen gedanklichen Beschäfti¬
gung mit Problemen der Sprache, der Lite¬
ratur und Kunst, aber auch der Philosophie
und Psychologie, der Naturwissenschaften
und Verhaltensweisen, der Religion und
des Judentums. Die ganze Spannweite des
Hakelschen Denkens, das ja, gemeinsam
mit der Rhetorik, seine eigentliche Potenz
ausmachte und die schriftstellerischen Ar¬
beiten weit überragte, wird hier deutlich.
Vor allem erkennt der Leser, wie sehr sich
doch Hakels Weltbild von all den gegen¬
wärtigen Ismen verschiedenster Herkunft
unterscheidet. Das war wohl auch der
Grund für seine Anpassungsunfähigkeit.
Lebensgefährliche Situationen zu beob¬
achten und dabei nicht zu verzweifeln, hat
mich wahrscheinlich für alle Male ge¬
prägt. Mit dieser Methode überlebte ich
Hunger- und Emigrationsjahre, Krankhei¬
ten und Literaturbetrieb nach meiner
Heimkehr. Im Grunde genügt es mir, ein
außenstehender Beobachter und Beschrei¬
ber zu sein, ganz gleichgültig ob das einen
Sinn oder eine Zukunft hat. Dem Markt mit
seinen Anforderungen fühle ich mich nicht
gewachsen, wenn ich die nun einmal ge¬
wonnene Haltung bewahren will ...
Schon 1931, als Zwanzigjähriger, hat Ha¬
kel mit dem Beobachten und Beschreiben
des um ihn herum Vorgehenden begonnen.
Fünfundfünfzig Jahre lang machte er dar¬
über Aufzeichnungen in Form von Tage¬
büchern, seinem eigentlichen Vermächt¬
nis, und wurde so zu dem, was man heute
einen „Zeitzeugen“ nennt. Und er war ein
unbestechlicher Zeuge, von nichts und nie¬
mandem abhängig.
Der vierte Hakel-Band, der demnächst
(Mai 1995) erscheinen wird, trägt den Titel
„Zu Fuß durchs Rote Meer. Impressionen
und Träume“. Es geht einerseits um sinn¬
liche Wahrnehmungen, Szenen aus dem
täglichen Leben in all seinen Nuancen; da¬
neben aber wird Unterbewußtes reflektiert,
wodurch sich manches erst erklärt. Begin¬
nend mit der Arbeitslosenzeit in Wien,
führt der Bogen über das Jahr 1938, die
Emigrations- und Nachkriegszeit, bis zur
Verwandlung unserer Kultur in ein welt¬
weites Kitsch- und Konsum-Konglomerat.
Mehr als in allen anderen schriftlichen
Äußerungen haben Hakels Impressionen
und Träume mit Menschen zu tun. Es ist
nicht „‚der Mensch“ — eine Metapher, die
Hakel stets aufs schärfste ablehnte -, um
den es hier geht; es sind Gesichter, Gesprä¬
che, Szenen, Traumbilder und Traumge¬
schehnisse, beobachtet von einem, der sich
bemüht, seine Eindrücke möglichst prä¬
gnant wiederzugeben. Aber oft wird er zu
mehr als zum Beobachten und Beschreiben
„gezwungen“: nämlich zur Anteilnahme.
Denn das, was er sieht und hört, löst in ihm
Reaktionen aus und so wird er oft in die
Ereignisse, die er beschreibt, einbezogen.
1939 emigrierte Hakel nach Italien. Ein
Jahr später wurde er in Mailand verhaftet
und verbrachte die Kriegsjahre bis 1944 in
verschiedenen süditalienischen Internie¬
rungslagern. Diese waren nicht zu verglei¬
chen mit deutschen Konzentrationslagern;
wenn man Glück hatte und keinen Krank¬
heiten zum Opfer fiel, konnte man überle¬
ben. Das war auch ein Grund dafür, daß
Hakel später immer wieder seine Sympa¬
thie für die italienische Mentalität betonte.
Aber als er in Mailand ins Gefängnis ein¬
geliefert wurde, begann für ihn ein neuer
Lebensabschnitt.
... Nach ein paar Tagen komme ich in eine
größere Zelle. Hier sind wir zu zwölft. Die
ganze Nacht glimmt eine schwache Lampe.
Mehrmals öffnet ein Aufseher die kreischen¬
de Eisentür, richtet den Lichtkegel seiner
Taschenlampe aufjedes Lager und zählt uns.
Wenn es hell wird, waschen wir uns knieend
in einem Becken, das auf dem Boden steht.
Die Zähne werden mit dem Zeigefinger ge¬
putzt. Nachher hocken einige da wie ihre
Affenahnen und suchen in ihren Hemden und
Unterhosen nach Läusen und Flöhen. Stän¬
dig verschwindet einer hinter dem hölzernen
Paravent. Unten sieht man seine Füße, oben
seine Haare. Man hört unmißverständliche
Geräusche und Papiergeraschel. Täglich
werden Männer eingeliefert und andere ab¬
transportiert. Manchmal geht einer von uns
zur Eisentür und brüllt, daß er unschuldig sei