Florian Kalbeck wurde am 6. Juni 1920 in
Wien geboren. Die Familie, der er ent¬
stammt, bietet im Rückblick ein wahres
Spectrum Austriae. Die Namen Kalbeck,
vaterlicherseits, und Mautner, miitterli¬
cherseits, stehen für österreichischen Geist
und die edle Kultur unseres Landes.
Der Vater Paul Kalbeck (1884 — 1949) war
Schauspieler, Regisseur, Autor und lehrte
am Reinhardt-Seminar. Seite an Seite mit
Reinhardt pflegte und förderte er den fei¬
nen Josefstädter Stil — lebensnahe Gestal¬
tung des Menschen mit den subtilsten Mit¬
teln der Schauspielkunst — zugunsten des
Ensembles und zur Freude des Publikums.
Der Großvater Max Kalbeck (1850 —
1921), Musikreferent an den fiihrenden
Wiener Zeitungen, erwarb sich mit seinem
Hauptwerk über Johannes Brahms einen
Namen. Im Kalbeck-Haus verkehrten einst
Brahms und Paul Heyse (Nobelpreis für
Literatur 1910); die Kalbecks waren zu
Gast bei Brahms, Adele Strauss, Theodor
Billroth.
Die Mutter Florians, Marie Kalbeck, war
eine Schwester Stephan Mautners (vgl.
MdZ Nr.2/1993, S.20-22) und wie ihr Bru¬
der äußerst begabt. Auch sie war Malerin.
Die Mautners residierten im Geymiiller¬
schléssl in Wahring. Zu den illustren
Freunden wie Gästen zählten, um nur zwei
markante Namen zu nennen, der Schau¬
spieler Josef Kainz, bester Freund der
Mautnerfamilie (gest. 1910), und Richard
Strauss, welcher der Großmutter Jenny
Mautner herzlich ‚zum soundsovielten
Enkel Florian“ gratuliert.
Dieser Florian Kalbeck wird auf seinem
Lebensweg bewußter Zeuge der Zeit. Nach
der mit Auszeichnung abgelegten Matura
am Schottengymnasium in Wien heißt es
für ihn: Emigration in die Schweiz. Diese
währt von 1938 bis 1947. Er hadert nicht
mit dem Schicksal und findet an der Uni¬
versität in Basel sogar günstige Vorausset¬
zungen für seinen weiteren Studiengang.
Seine wichtigsten Lehrer sind: Paul Häber¬
lin, Karl Jaspers und Hermann Schmalen¬
bach (Philosophie, Psychologie); Walter
Muschg und Friedrich Ranke (Germani¬
stik). 1947 promoviert er magna cum laude
mit einer 600seitigen Dissertation über
„Die philosophische Systematik Ernst
Cassirers“.
1946 und 1947 bearbeitet Florian Kalbeck
Nestroy für das Züricher Schauspielhaus
(Regie Lindtberg). Besonders initiativ
wird er mit der Gründung des ‚‚Vereins
österreichischer Studenten in Basel“, als
dessen Präsident er die ersten Studenten¬
kontakte Schweiz-Österreich nach 1945
vermittelt.
Nach Wien zurückgekehrt, ist er von 1947
bis 1957 Dramaturg und Chefdramaturg
am Theater in der Josefstadt, gründet die
„Neuen Blätter des Theaters in der Josef¬
stadt“ und ist auch deren Redakteur. Von
1957 bis 1982 ist er als Dramaturg, zeit¬
weise Chefdramaturg und Hauptabtei¬
lungsleiter Fernsehspiel beim österreichi¬
schen Fernsehen tätig; er trägt trägt ent¬
scheidend bei zur spezifisch österreichi¬
schen Ausprägung eines neuen Genres, des
Fernsehspiels. Seine Bearbeitungen und
Adaptierungen von Werken bedeutender
Dichter (Grillparzer, Nestroy, Schnitzler,
Pirandello, Alexander Sacher-Masoch
u.v.a.) gewinnen den Charakter von Mo¬
dellen. In Zusammenarbeit mit dem Ama¬
teur-Autor Friedrich Redi begründet er den
„Österreich-Krimi“ als eine milieu-au¬
thentische und literarisch relevante Gat¬
tung (Vorladung, 1963; Einvernahme,
1964). Auf seine Initiative erfolgt auch die
Gründung einer eigenen Theaterabteilung
des ORF (1967/68).
Von 1965 bis 1977 wirkt er als Lehrer für
Fernsehdramaturgie an der Hochschule für
Musik und darstellende Kunst. Einige spä¬
ter erfolgreiche Schüler seien genannt: Ka¬
rin Brandauer, Robert Dornhelm, Gert Jon¬
ke, Ernst Lauscher, Fritz Lehner, Reinhard
Schwabenitzky. 1980 wird er durch die
Verleihung des Berufstitels „Professor“
durch Bundespräsident Kirchschläger und
1990 durch das Ehrenkreuz für Wissen¬
schaft und Kunst geehrt.
Florian Kalbecks Frau DDr. Judith Por be¬
tätigt sich unter anderem äußerst erfolg¬
reich als Präsentatorin und Managerin für
junge musikalische Talente aus allen Län¬
dern, so bei Konzerten im Jüdischen Ge¬
meindezentrum Wien. Das Mäzenatentum
der Großmutter Jenny Mautner lebt hier im
Entdecken und Fördern junger Talente, un¬
erkannter Meister fort.
1989 überdachte Florian Kalbeck in „Das
jüdische Leben“ das Schicksal und die
Aussichten seiner Familie:
„Meine Tochter aus erster Ehe, Toni, Jahr¬
gang 1949, ist nicht-praktizierende Chri¬
stin und hätte nach den Nürnberger Rasse¬
gesetzen als ‘Mischling ersten Grades’ ge¬
golten. Sie ist aufgeklärt und aufklärungs¬
freudig und verfügt über einen buntge¬
mischten bohemelastigen Bekanntenkreis.
Antisemitismus ist für sie allenfalls ein
Diskussionsthema, kein praktisches Prob¬
lem. Mein Sohn aus dritter Ehe, Daniel,
Jahrgang 1976, ist Jude, hat 1989 die Bar
Mizwa gefeiert und besucht die schwerbe¬
wachte Zwi-Peres-Chajes-Schule. Er trägt
auch auf der Straße die Kippa und wird von
Leuten, die wissen, was das ist, zumal äl¬
teren Leuten, spürbar schief angeschaut.
Antisemitismus ist für ihn ein praktisches
Problem... dagegen kaum ein Diskussion¬
sthema. In seinem weiteren Studiengang
will er sich der Informatik widmen. Für
den Vater der beiden Kinder, Florian, Jahr¬
gang 1920, wird es Zeit wieder einmal
nachzudenken... Mag auch der eigene Fall
als ‘eigener’ für unwichtig und als ‘Fall’
nicht für typisch gelten, es könnte ihm
doch allerhand Beispielhaftes anhaften,
zum Beispiel die familiäre Herkunft. Und
daja von dort fast alles herkommt, möchte
ich mir erlauben, so ausführlich ich kann,
dieser Herkunft und der Jahre zwischen
den beiden großen Kriegen zu gedenken. —
Sie waren ihrer vier, die Mautner-Kinder,
der Stephan, der Konrad, die Käthy und die
Marie, die von 1877 bis 1886 pünktlich in
Abständen von je drei Jahren zur Welt
kamen und ihre Eltern mit „Vater“ und
„Mutter“ anzureden hatten (das war nicht
eben typisch: ‘man’ sagte ‘Papä’ und
‘Mamä’). Vater Isidor, ein gutherziger
Choleriker, der täglich um fünf Uhr früh in
seinem Büro zu regieren begann, Herr
‘Präsident’ tituliert wurde und das angebo¬
tene Adelsprädikat ablehnte, schenkte der
Frau und den Kindern schöne altwiener
Häuser und galt als unternehmerisches Ge¬
nie. Das Wort ‘Genie’, als wären seine
hundertfünfzig Textilfabriken von Shake¬