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speare, habe ich von meiner Shakespeareund Goethe-gläubigen Mutter selbst gehört. Die lebenslustige Mutter Jenny wußte ein Biedermeier-Schlößl in Pötzleinsdorf zauberhaft einzurichten und führte mit viel Phantasie einen Salon ersten Ranges; als Witwe dann, immer herrischer werdend, wie die alten Prinzessinnen, mit denen sie verkehrte, übernahm sie die Rolle eines weiblichen Patriarchen, gebot aller Welt sich ‘grad zu halten’ und sich ‘nützlich zu machen’, und nannte ihre zahlreichen männlichen Enkel unterschiedslos ‘“Hiaserl’, die weiblichen ‘Mizzerl’. Wir hatten einander sehr gern, die alte Frau und ich, und von ihrem Tod habe ich oft geträumt. Sie war kerngesund. Kein Jammern, kein Verfall. Kurz nach dem Einmarsch 1938 legte sich Jenny Mautner hin und starb binnen wenigen Tagen. Hatte meine Mutter ihre Kindheit künstlich ‘vergoldet’? Sie liebten und achteten einander allesamt, das weiß ich, nicht nur vom Hörensagen. Es ist dies auch in guten Häusern gewiß nicht selbstverständlich gewesen, schon gar nicht unter Geschwistern. Stephan, der Älteste, ein liebenswerter Naturfreund und Jäger, ein vortrefflicher Aquarellmaler auch, verschwand eines Tages, zusammen mit seiner Else, spurlos in Auschwitz. Konrad, vom Vater zum Bürositzen verdammt, Erfinder einer kostbaren Mischung aus wissenschaftlicher Folklore und skurriler Volkskunst — Hauptwerk: ‘Steyerisches Raspelwerk’ — verwandelte sich früh in einen verwunschenen Eingeborenen des Ausseerlandes und starb in jungen Jahren. Kein gnädiger Tod jeweils für die Brüder. Der geliebten Schwester Käthy dagegen war es vergönnt, dem Mann ihres Lebens, einem Josef BreuerSohn, treu zu bleiben über sein Grab hinaus noch vierundfünfzig Jahre lang. Sie starb fast hundertjährig im Londoner Exil und hatte ein wunderbar starkes Herz: ‘Mich müßt’s derschlagen, wann’s mich loswerden wollt’s!’ Marie war die jüngste, die ‘Emanzipierte’. Sie war eine Frau mit ausgeprägtem ästhetischen Verhalten.“ Von Florian Kalbeck liegen viele Publikationen vor: Wissenschaftliches, Vorträge, Literarisches: „Die philosophische Systematik Ernst Cassirers. Versuch einer kritischen Darstellung“ (Wien: Verlag Brüder Hollinek 1951); vier Bände ‚‚Neue Blätter des Theaters in der Josefstadt“ (1953-57) und „Das Theater in der Josefstadt. Sein Wesen und sein Weg“ (in: Österreich lebt. Wien: Verlag Brüder Hollinek 1955); Literaturvorlesungen an acht Universitäten in den USA (1991); das Lustspiel ,, Hohenbiihl oder Die Schwierigen“ (1982) und 36. FLORIAN KALBECK ~ DAS HAUS DER SCHWESTERNLINSKY der Roman ,,Das Haus der Schwestern Linsky“ (Wien: Edition Atelier 1990) u.a. Und natürlich gibt es auch noch Unveröffentlichtes. Florian Kalbecks besondere Begabung, gefördert durch den Einfluß des Vaters, ist die Komödie; zahlreiche Stücke liegen vor. Einige kamen denn auch mit beachtlichem Erfolg auf die Bühne und ins Fernsehen. Aber ihr Autor repräsentiert ein anderes Österreich als das heute sich darbietende, jenes Österreich des besinnlichen Humors und der Zwischentöne, das vor dem Lärm des Tages zurückweicht in die Stille. So tritt bei ihm nun das Erzählerische mehr und mehr in den Vordergrund. In allernächster Nähe des Hauses Kalbeck ruht auf dem Pötzleinsdorfer Friedhof, der heute noch den Charakter eines Dorffriedhofes hat, der frühverstorbene Onkel Konrad Mautner (1880 — 1924) und hat so als Toter ‚‚überlebt‘, während der Familie ein gewaltiger Tribut an die schreckliche Zeit nicht erspart blieb. Wie schon erwähnt, war Konrad ein Meister der Volkskunde, dessen Andenken bis heute am Grundlsee weiterlebt. Wohl ,, Amateur“, identifizierte er sich mit dem Reden, Singen und Lieben der Almerinnen im Toten Gebirge. Seine Erkenntnisse kulminierten in seinem schon erwähnten Hauptwerk „Steyerisches Raspelwerk, Vierzeiler, Lieder und Gasslreime aus Goessl am Grundlsee. In Wort und Weise gesammelt, aufgeschrieben und mit Bildern versehen von Konrad Mautner“ (1910). Florian Kalbeck erreichte die Benennung eines Mautnerweges in Wien-Währing, der vom Friedhof zur Pötzleinsdorfer Straße führt. Zur feierlichen Benennung war der Wiener Bürgermeister Dr. Zilk angesagt — aber im Dezember 1993 wurde auf ihn ein Briefbombenattentat verübt — Zeichen der Zeit, immer wieder... Gekommen waren der Bürgermeister von Grundlsee und seine Musikanten und erfreuten die zahlreich erschienenen Ehrengäste durch ihre Anwesenheit und ihr Spiel. „Mein Zuhause ist bei der Familie“, sagt Florian Kalbeck, der bald 75 Jahre ,,junge“ Jubilar. „Das Haus, gebaut von Urgroßvater Isidor 1922 für die Ewigkeit, ist wunderbarerweise noch dasselbe. Zwar regnet es jetzt beim Dach herein, aber seit es Daniel gibt, gedenkt man der Tradition und ihrer schönen Feste, wird hier der Schabbat gefeiert. Was will man Besseres?“ In einem Interview in den USA wurde Kalbeck gefragt: ‚Und woran glauben Sie, Professor Kalbeck?“ Seine Antwort war: „An das Wunder der Toleranz. Und an die mir heilige Sympathie, die ein Klassiker der Philosophie unseres Jahrhunderts als “Urphänomen’ erkennt ... ein Phänomen metaphysischer Ordnung. In der Thora heißt es: ‘Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Ewige.’ Seitich mir das bewußt gemacht habe, wünsche ich mir sehnlich: möge jeder, der mir begegnet “mein Nächster’ sein.“ Der Schreiber dieser Zeilen dankt Prof. Dr. Florian Kalbeck für die zur Verfügung gestellten bio- und bibliographischen Unterlagen. — Eine Lesung Kalbecks findet am 7. Juni um 20 Uhr im Literaturhaus Wien statt. Berichtigungen Das Foto von Ruth Tassoni in MdZ Nr.4/1994, S.3, wurde von Bernhard Moosbrugger (Zürich) angefertigt. In Erich Hackls Aufsatz Ein altmodischer Freund. Anmerkungen zu Alfredo Bauer, MdZ Nr.4/1994, hätte der Übertitel von Alfredo Bauers fünfbändigem, nur teilweise auch in deutscher Sprache erschienenem Romanzyklus natürlich Los compaferos antepasados und nicht Los campaferos antepasados lauten sollen. Der zweite Teil von Konstantin Kaisers Aufsatz „Der Briefwechsel Theodor Kramers und Anna Krommers“ (MdZ Nr.4/1994, S.15-17) wird erst in MdZ Nr.3/1995 (Schwerpunktnummer „Frauen im Exil“) fortgesetzt.