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aus Anlaß seines 100. Geburtstages soll im März 1997 ein Symposium über Theodor Kramer stattfinden (Kontakt für beide Veranstaltungen: Prof. Jörg Thunecke, Nottingham Trent University). Die Interessensgebiete der britischen Exilforschung sind weit gestreut. Sie reichen von bekannten Autoren wie Ernst Toller, über den Richard Dove eine jüngst auch in deutscher Übersetzung erschienene Biographie publizierte, Rudolf und Ika Olden, deren Exilbericht Marian Malet und Charmian Brinson herausgaben, Erich Fried bis zu weitgehend unbekannten Exilautoren. Hamish Ritchie ist es zu danken, daß vergessene Exilliteraten wieder ans Licht geholt werden. Er beschäftigt sich beispielsweise mit Ernst Bornemann, der im Exil auf Englisch zu schreiben begann und es darin, was beinahe nie vorkam, zum Bestseller-Autor brachte. Heute ist der fast vergessene Exilautor Bornemann als Sexualwissenschaftler weltberühmt. Ritchie machte aber auch auf die Frauen aufmerksam, die im Exil schrieben. Außer den wenigen großen Namen, wie Hilde Spiel, Hermynia Zur Mühlen oder auch Gabriele Tergit und Anna Gmeyner, gab es noch eine ganze Reihe von Schriftstellerinnen, die entweder im Schatten ihrer Männer geblieben sind, wie etwa Ika Olden, oder mehr als diese mit den Alltagsproblemen des Exils beschäftigt waren, was ihre schriftstellerische Arbeit beeinträchtigte. Daß diese kaum bekannte Gruppe von Frauen dennoch eine Literatur hervorbrachte, die es verdient, gelesen und diskutiert zu werden, soll das nächste Exilliteratur-Symposium in London unter anderem zeigen. Das Interesse an dieser Literatur von Frauen im Exil kommt für die Betroffenen vielfach zu spät. Der in Leeds lebenden Lyrikerin Stella Rothenberg, einer gebürtigen Wienerin, die zumindest in dieser Zeitschrift keine Unbekannte ist, wird die Aufmerksamkeit wenigstens noch zu Lebzeiten zuteil. Man lädt sie zu Lesungen (z.B. Aberdeen, Sussex) ein und erforscht ihr Werk (z.B. Donal MacLaughlin). Der Großteil der britischen Exilliteratur-Forschung ist biographisch deskriptiv. In den meisten Fällen handelt es sich um Bestandsaufnahme. Das hat nicht nur damit zu tun, daß die Disziplin relativ jung ist, sondern bezeugt ihren Mut, in unbekannte Regionen vorzudringen. Eine Sonderstellung in der britischen For"schung nimmt eine soziologische Untersuchung zur Lage der deutschen Exilanten im London der frühen dreißiger Jahre ein. Neben Bemerkenswertem über das deutsche Geschäftsleben im Herzen Londons erfährt man auch Interessantes über Seel- und Gesundheitsvorsorge. Vorgestellt wird ein deutsches Milieu, das spätestens mit Kriegsbeginn und der Internierung der sogenannten ‘enemy aliens’ unwiederbringlich verschwand. Die Mehrheit der von britischen Germanisten geschriebenen Aufsätze zum Thema Exilliteratur erscheint noch immer in deutschen Publikationsorganen, die britische Exilliteratur-Forschung besitzt kein eigenes Organ, wenn man davon absieht, daB ,,German Life and Letters“, zu dessen Herausgeber Hamish Ritchie gehört, dem Thema ein Forum gibt. Zuerst nur eine Nische in der germanistischen Forschung, ist die britische Exilliteratur-Forschung mittlerweile zu einer ernstzunehmenden Disziplin geworden, die es verdient, auch im deutschsprachigen Ausland beachtet zu werden; um so mehr als Exilliteratur in Großbritannien ja kein historisch abgeschlossenes Kapitel ist, sondern bis zum heutigen Tag entsteht, wie nicht zuletzt die Existenz des in London beheimateten „German Writers Abroad Centre“, des sogenannten Exil-PEN, beweist. Andrea Reiter Auswahlbibliographie der jüngsten Beiträge zur Exilliteratur-Forschung (soweit in britischen Publikationsorganen erschienen) William Abbey u.a. (Hg.): Between two languages. German-speaking Exiles in Great Britain 1933-1945, Stuttgart: Akademischer Verlag 1994. (Dieser Band enthält Beiträge über Ernst Toller, Rudolf Olden, Alfred Kerr, Otto Lehmann-Russbueldt, Karl Otten, ,,Die Zeitung“ und über den Sprachwechsel, das Exildrama und den Exil-PEN). James J. Barnes/Patience P. Barnes: London’s German Community in the Early 1930s, in: German Life and Letters 46/4 (August 1993). Charmian Brinson: The strange case of Dora Fabian and Mathilde Wurm, in: German Life and Letters 45/4 (Oktober 1992). Dies. mit Marian Malet: Once a traitor, always a traitor? The case of Carl Ossietzky reviewed, in: Association of Jewish Refugies, Dezember 1993. Axel Goodbody: Erich Fried. German, Jewish, British and Socialist: the composite identity of an Austrian emigré, in: Moray McGowan/RiMacht Literatur Krieg Internationales Symposion in Graz Ein halbes Jahrhundert seit dem Zusammenbruch des NS-Reiches mußte vergehen, daß sich Literatur- und Kulturwissenschaftler, an „Dichtung“ interessierte Zeithistoriker aus Polen, der Schweiz, Deutschland, Österreich zu einer viertägigen Tagung trafen, um über das Forschungsfeld Literatur aus Österreich im Nationalsozialismus zu referieren und zu diskutieren. Daß heftig Kontroversielles nur ansatzweise aufblitzte, mögen einige, die es vielleicht noch betulicher haben wollten, sogar bedauert haben. Andere mögen es begrüßt haben, weil dadurch hinter der für jede wissenschaftliche Erkenntnis unabdingbaren Nüchternheit die Lebensrelevanz des Generalthemas „Macht Literatur Krieg“ spürbar wurde. Viel zu selten und viel zu wenig ließen sich die TeilnehmerInnen aus ihrer gebändigten Reserve locken - nicht als ein Plädoyer für unwissenschaftliches Moralisieren ist dies zu verstehen, carda Schmidt (Hg.): From High Priests to Desecrators. Contemporary Austrian Literature, Sheffield Academic Press 1992. S.W. Lawrie: Between Austrian Centre and Free German League of Culture: Erich Fried’s literary beginnings in London, New German Studies 17/2 (1992/93). Hamish Ritchie: Ernst Bornemann and The Face on the Cutting Room Floor, in: Brücken Schlagen „Weit draußen auf eigenen Füßen“. Festschrift für Fernand Hoffmann, hg. v. Joseph Kohnen et al., Frankfurt am Main: Lang 1994. Ders.: European literary Exiles, in: Comparative Criticism 15 (1993). Ders.: Nazi Literature, in: German Life and Letters 47/3 (Juli 1994). Ders.: Women in Exile in Great Britain, in: German Life and Letters 47/1 Neuerscheinungen: Ian Wallace (Hg.): Aliens — Uneingebürgerte: German and Austrian Writers in Exile, Amsterdam und Atlanta 1994 (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, 37). S. Bolbecher/K. Kaiser/J.M. Ritchie/D. McLaughlin (Hg.): Literatur und Kultur des Exils in Großbritannien, in: Zwischenwelt. Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft 4, Wien, Mai 1995. London Research Group for Exile Studies (Hg.): Between two Languages: German Exiles in Great Britain 1933-1945, London: Institute of Germanic Studies, Bd. 59, April/Mai 1995. Edward Timms/Ritchie Robertson (Hg.): Austrian Exodus: The Creative Achievements of Exiles from National Socialism, Edinburgh Univeristy Press (Austrian Studies 6), Mai 1995. sondern als Hinweis auf die für mich auch bei dieser Tagung offenbar werdende Scheu von WissenschaftlerInnen, ihre Thesen weiter voranzutreiben und zuzuspitzen, um dadurch eine neuerliche Differenzierung, Präzisierung, historische Tiefendimension und schmerzende Aktualität zu gewinnen. Vielleicht hemmte sie gerade das Wissen darum, daß das Generalthema der Tagung alle Lebensverhältnisse berührt. Das ,,50 Jahre danach“ war der Tagung nicht nur solcherart atmosphärisch eingeschrieben. Nicht zuletzt war es die wissenschaftliche Konzeption des Symposiums, die den Stempel dieses Zeitpunkts trug. Denn es waren die Mitarbeiterinnen des von Uwe Baur geleiteten Grazer Forschungsprojekts „Österreichische Literatur im Nationalsozialismus“, Karin Gradwohl-Schlachter, Sabine Rupp und Helga Strallhofer-Mitterbauer, die aus der Erfahrung ihrer jahrelangen, peniblen empirischen Recherche ein Symposion konziperten, das den 39