OCR
arbeitet werden konnten. Einige interessante Aspekte seien hier zur Illustration angeführt: Eugen Kogon berichtet, daß die Masse der BVer 1938/39 zum Aufbau des KZ Flossenbürg abtransportiert wurde, sich damit die Machtverhältnisse in Buchenwald quasi automatisch änderten. Mit der Einlieferung neuer BVer gelang es den sog. „Kriminellen“ 1942 noch einmal kurzzeitig die Oberhand im Lager zu gewinnen.” Mit der Ausbreitung von Raub und Korruption im Zusammenspiel SS mit den BVern sah die Lagerführung das Lagerregime gefährdet, und die SS unter Koch suchte sich den Gewinn der kriminellen Cliquen anzueignen, daher tauschte sie sog. kriminelle Funktionshäftlinge durch Politische aus, was in der Regel die Ermordung dieser BVer bedeutete.!? Die Willfährigkeit aller Funktionshäftlinge wurde auch durch die Todesdrohung erpreßt. Illegale kommunistische Zellen setzen sich für die Milderung der erbärmlichen Lebensumstände ein, was in der Bekämpfung der Typhusepidemie und bei der Lösung sozialer Konflikte im Lager von der SS positiv bemerkt wird, d.h. Kommunisten werden Anfang 1939 zu Funktionshäftlingen gemacht.!! Federn erinnert sich, daß SS-Lagerführer Rödl am 31. Jänner 1939 alle Lager- und Blockältesten austauscht und die kriminellen Funktionäre in schwarze Blocks einsperren läßt. Mit dem 30. oder 31. Jänner 1939 wurden die ersten jüdischen Blockältesten eingesetzt, die totale Isolierung der jüdischen Häftlinge war durchbrochen. Aber die Rache der BVer ließ nicht lange auf sich warten, sie denunzierten vor allem die jüdischen Funktionshäftlinge und so wurden viele im ersten Halbjahr 1940 von der SS umgebracht.'? Die Betonung der Arbeit für die Rüstungsindustrie in Buchenwald besonders ab 1941 hat die Bedeutung der politischen Funktionshäftlinge gestärkt. Die Hypothese, daß ihr rationales Führungsverhalten für das Funktionieren eines Arbeitslagers besser geeignet war als jenes der sog. Kriminellen hat einiges für sich. Nach der Einsetzung der Politischen als Funktionshäftlinge ist ein Umschwung in den Lebensbedingungen im Lager festzustellen. Ein rigider, aber rationaler Umgang mit den knappen Ressourcen und insbesondere das Wegfallen korrupter und direkter gewalttätiger Verhältnisse stellt eine nicht zu unterschätzende Verbesserung des Lebens in Buchenwald dar. Aber die Macht der kommunistischen Häftlingsführung beeinflußte alle Organisationsaufgaben maßgeblich: die Arbeitseinteilung, den Transport auf Außenkommandos und die Deportationen in die Vernichtungslager; und diese benützte sie in ihrem Interesse, wie schon Eugen Kogon vorsichtig andeutete.'? Der Zwang zur Mitwirkung am Vernichtungswerk der SS enthebt sie der Schuld, aber ihre Mitwirkung an der Erstellung der Kriterien zur Vergabe von Lebenschancen steht zur Diskussion, und politische Gegner wurden bewußt in Situationen gebracht, die nicht zu überleben waren. Nach 1989 wurde im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald auch der Name Ernst Federns auf einer Deportationsliste in ein Vernichtungslager gefunden. Warum er nicht deportiert wurde, werde ich ihnen noch erklären können, wer neben den Nazis Interesse an seiner Verschickung hatte, leider nicht. Erinnern wir uns zurück: Ernst Federn hat nach den Krisen des ersten Halbjahres in Buchenwald eine recht gute Position als Häftling gewinnen können. Und paradoxerweise in einer existenzgefährdenden Situation des Jahres 1939 verbessert sich schlußendlich seine Situation noch einmal. Als Reaktion auf das Attentat Johann Georg Elsers auf Hitler am 8. November 1939 ermordete die SS 21 Juden und steckte alle Juden Buchenwalds in sog. Schwarze Bunker, die Blocks wurden verdunkelt und die Häftlinge mußten darin ohne Versorgung ausharren. Aus Angst vor Übergriffen der SS wachten Häftlinge rund um die Uhr, der Posten des Nachtwächters war entstanden und wurde von der SS aus Kriegsgründen bald auch gefordert. Nach der Aufhebung der Verdunkelung war Ernst Federn zum Nachtwächter geworden, sein Blockältester hatte ihn illegal, aber von der Häftlingsbürokratie gedeckt, dazu gemacht. Ernst Federn wachte nun in der Nacht, ist aber kein offizieller Stubendienst, macht aber seinen Job illegal. Er ist pro forma dem Baukommando III zugeteilt, zieht sich aber nach dem Morgenappell in seinen Block zum Schlafen zurück. Das Umgehen der Ordnung bleibt noch unter brutalsten Verhältnissen lebendig. Diese Tätigkeit übt Federn bis Herbst 1942 aus, und sie stellt eine bedeutende Vergünstigung und Schonung dar, aber er ist in dieser Position völlig in der Hand seines Blockältesten Bertl Bruckner. Der Preis für diese Begünstigung war große Abhängigkeit, kalkulierte Beziehungen waren also absolut nötig. Als in diesem Herbst 1942 nur mehr ein jüdischer Block in Buchenwald übrig ist und der Kommunist Emil Carlebach der Blockälteste wird, ist Ernst Federn seinen Nachtwächterposten los; aber er war 1942 parallel noch einen anderen Weg Das Lagertor 7