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Veras Puppen „Ich komme mir vor wie eine Puppe, ein Kokon“, denkt Lisa nach ihrer Rettung. Fast wäre sie im Fluß ertrunken. Nun wieder bei Kräften, überfällt sie eine Gleichgültigkeit gegenüber dem wiedergewonnenen Leben. Diese Lähmung ist nicht durch den Schock hervorgerufen, sondern durch die Ewigkeit von Sekunden, in der das Leben ihr als verfehlt, stumpf und entscheidungslos gegenübertrat. „Das war kein Leben, auf das sie hätte stolz sein können ... ein luftiges Geschöpf aus Spinnweb und Blütenstaub ...“. Ein leicht zu nehmendes, in der Natur nicht auffindbares Geschöpf war sie geworden. Die Verpuppung — Metapher für Stillstand und Abkapselung, als Zustand, aus dem heraus unmittelbar keine Entwicklung folgt — steht zentral in den Geschichten von Valerie Lorenz. Die Frauen verschwinden hinter dichten Gardinen, festgemauerten Wänden, verbunden mit einem Mann, der keine Welt ist und selten Gefährte in der Welt. Doch es geht den Frauen nicht um die Klage an den Mann - vielmehr erscheint er als vernachlässigbare objektivierte Größe — , sondern um die Rückgewinnung des je individuellen Lebensentwurfs; dieser zielt auf Berufsvorstellungen, Freundschaften und Verantwortung. In manchen Erzählungen kommt der Erkenntnisprozeß mit einem (Alp)-Traum in Gang, der zunächst von der Wirklichkeit kaum unterschieden werden kann: legt Verzweiflung wie Erinnerung an Freiheit bloß. In den Erzählungen ‚‚Das Erbe“ , das nachdem Tod des Onkel-Faschisten anzutreten ist, und der Geschichte von ,,Ruth“, einer jungen Frau, die durch einen ihr unbekannten Mann vor der Festnahme durch die Nationalsozialisten gerettet wird, versteckt in seiner Wohnung, vollkommen von der Außenwelt isoliert das Ende des Schreckens abwartet, verschränken sich drastisch und berührend die große Geschichte und das Existentielle. In der Darstellung der inneren Kraft, die die Verkapselungen zu sprengen vermag, verfolgt Valerie Lorenz in ihren Erzählungen durchaus eine pädagogische und aufklärerische Absicht. Puppen, vornehmlich Mädchenspielzeug, Figur gewordene Phantasie und vorbereitender Kerker der zukünftigen Frauenrolle, entfalten in der Titelgeschichte eine dämonische Macht gegen das feingesponnene Netz der patriachalen Arbeitsteilung, aber auch gegen die Gewöhnung an ein aus Liebe sich aufgebendes Leben. Motivisch kreisen die Erzählungen von Lorenz um die spezifische Spaltung im Leben von Fraueninein „Innen“ und ,, Außen“, um den Verlust von Gesellschaftlichkeit und Geschichte. Lorenz weiß — über die Konvention hinaus — um die Schnittstellen von Realität und Realitätsverlust; darin steht sie in der Tradition von Veza Canetti, Ruth Tassoni, Barbara Frischmuth. Siglinde Bolbecher Valerie Lorenz-Szabo: Veras Puppen. Erzählungen. Wien: Edition Doppelpunkt 1984. 149 Seiten. 10. Erich Hackl Das Alphabet nach Henriette Haill Antikommunismus Es wäre falsch, Henriette Haill, die hochbetagt in Urfahr lebt, der vergessenen österreichischen Literatur zuzurechnen: eine, die vergessen ist, muß einmal bekannt gewesen sein. Aber Haill ist kaum je zur Kenntnis genommen worden; gerade nur der Redakteur der ‘Mühlviertler Heimatblätter’ Rudolf Pfann sowie Haills politische Weggefährten Franz Kain und Peter Kammerstätter haben auf ihr Werk hingewiesen. Kammerstätter, seinerzeit umstrittener Landessekretär der KP Oberösterreichs, dann ein ebenso anregender wie selbstloser Arbeiterhistoriker, hat in den achtziger Jahren den Zyklus ‘Straßenballade’ und Material zu Leben und Werk zusammmengetragen. Bald nach Kriegsende, 1946, war ein Gedichtband unter dem Titel “Befreite Heimat’ erschienen. Die Auswahl hatten Arnolt Bronnen und Franz Kain getroffen. Erst fünfundvierzig Jahre später brachte Franz Steinmaßl in seinem Mühlviertler Kleinverlag die Prosasammlung ‘Der vergessene Engel’ heraus. Damit hat es sich. Henriette Haill fehlt in allen einschlägigen Anthologien, auch in denen, deren Herausgeber sich als links oder feministisch verstehen. Es gilt die Vermutung, daß dies am wenigsten an der schwankenden Qualität der Gedichte und Erzählungen liegt, eher am rüden Antikommunismus, der von Hinz auf Kunz, von Männchen auf Weibchen, von Kind auf Kegel überspringt. Haill ist janicht die einzige, deren Kunst verschwiegen wird. Ich nenne noch Susanne Wantoch, Marie Frischauf, Margarete Rainer, Doris Brehm, Margarete Petrides. Frau sein und Kommunist sein und dazu noch in der Provinz leben und diese Provinz annehmen als möglichen Ort der Veränderung — das geht halt vielen über die Hutschnur. Beachtung habe sie nie erfahren. Sie sei gottseidank nie ehrgeizig gewesen. Es habe ihr Freude genug bereitet, überhaupt schreiben zu können. “Bist Mittelmaß und fertig. Mußt damit zufrieden sein. Ich hab mich nie überschätzt.” Aber es schmerzt sie halt doch, daß Eugen, ihr zweiter Mann, für ihr Schreiben so wenig übrig hatte. Er habe sie verhöhnt, heruntergesetzt, lächerlich gemacht. “Meine ersten Arbeiten hat er nie gelesen. Wie ich im Radio gebracht wurde, war er stolz. Wenn ich Erfolg gehabt hätte, wäre ich was gewesen, so habe ich keine Erfolge gehabt, so war ich niemand. Die Erfolglosigkeit hat mich nicht berührt.” Ihr Curriculum, in aller Kürze: Als Henriette Olzinger am 27. Juni 1904 in Linz geboren, aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, nach Volks- und Bürgerschule Hausgehilfin und Kinderfrau, abgebrochene Schneiderlehre, Hilfsarbeiterin in einer Waffelfabrik, dann in einem metallverarbeitenden Betrieb. 1922 Beitritt zum Kommunistischen Jugendverband, seit 1924 Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs. In erster Ehe mit Hans Kerschbaumer, in zweiter Ehe mit Eugen Haill verheiratet. Vier Kinder, vier Enkel, verwitwet. “Den Weg meines bescheidenen Schaffens ging ich allein, von niemandem gelenkt oder ermuntert, gehorchte ich meinem inneren Drang zum Schreiben.” Franz Kain hält ihre Dialektgedichte für besser als die in der Schriftsprache geschriebenen. Haill hat nie den Fehler begangen, Lebensäußerungen, die bereits an ein städtisches Milieu gebunden sind, in den Dialekt zu übertragen. Anders als in der traditionellen Dialektdichtung spricht aus ihren Versen keine rückwärtsgewandte Sehnsucht noch der Irrglaube an die Geborgenheit im bäuerlichen Jahreskreis. Das schon: ihre Gedichte im Dialekt sind Liebeserklärungen an das Mühlviertel, in dessen Landschaft sie ihr eigenes Dasein wiederfindet. “Ein bisserl eine Härte, eine Rauhheit, nicht zu viel, eine Kargheit — so war mein Leben. Deshalb liebe ich das Mühlviertel auch ” so. “Der vergessene Engel” ist eine Reminiszenz an die Kinderbewahranstalt, die geistliche Schwestern für die Kinder armer Frauen eingerichtet hatten: im weißen perlenbe