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stätter spricht im Vorwort zur ‘Straßenballade’ vom “ Charakter der damaligen Jugend, die als Studenten, als Handwerker oder Arbeitslose oder nur als Wanderer in die Weite zog (meist ohnedies nur in das nächstgelegene Deutschland), unbestimmtes Glück erhoffend, frohsinnig, etwas melancholisch und gefühlsbetont”. Liest man die Gedichte, so kommt die Faszination, die Henriette Haill für das Wanderleben empfindet, über einen selbst. Da ist das Fließende und Ungewisse, die Gleichheit als Grundlage der Existenz, das Aufheben der Zeitenfolge in einem unbegrenzten Heute. Die ‘StraBenballaden’ sind keineswegs autobiographisch, wenngleich der Anschaulichkeit eigenen Erfahrens entwachsen. Es gibt Verse, die mich an die zur gleichen Zeit entstandenen Gedichte Theodor Kramers erinnern. Aber Henriette Haill hat nach eigenem Bekunden nie Kramer-Gedichte gelesen. Zü’a In ihrem scharfen Gedächtnis sind die Menschen, denen sie in Kindheit und Jugend begegnet ist, gut aufgehoben. Ihre Porträts sparen Not und Elend nicht aus. Aber Henriette Haill rührt uns nicht mit tränenfeuchten Genrebildern, auf daß uns heutiges Unrecht honigsüß ins Maul träufle. Da schildert sie über fünf Seiten ihre Bekanntschaft mit einer Dirn, die von allen Zü’a gerufen wird, aber eigentlich Cäcilia heißt. Sie schreibt, wie Zü’a aussieht, was sie ißt, wie sie sich durchs Leben schlägt, wie sie ihre Kinder durchfüttert. Ein Leben und wie es verlöscht, spröd und verhohlen zu Ende erzählt: “Das Häuschen ihrer Mutter bekam sie nie, es wurde den anderen Kindern verschrieben, die es bald verwirtschafteten. Die Tochter fiel in eine Kalkgrube und verbrannte, der Bruder starb ihr bald nach. Zü’a verschied mit zweiundfünfzig Jahren an Krebs, ihre Kinder im tiefsten Leid zurücklassend.” Man denkt an Ernst Hinterberger, der in seinen frühen Erzählungen einen ähnlich lakonischen Ton angeschlagen hat. Keine falsche Demut, kein erlogener Aufruhr, die Sprache — wie Franz Kain angemerkt hat — “gleichsam von innen her erwärmt”. Einmal, beim Fernsehen, meinte er: „Ich habe die Lüge nie gemocht. Bin ich froh, daß ich nicht in Haiders Haut stecke. Der muß immer wissen, was er am Vortag gelogen hat, und das muß auf Dauer sehr anstrengend sein.“ Willi Pechtl Magnus Henning (vgl. den Artikel von Maria Ruetz in MdZ Nr.3/1989, S.6-8) war mit Erika und Klaus Mann befreundet und gehérte als Pianist und Komponist von Anfang an zum Ensemble des antifaschistischen Kabaretts ,,Die Pfeffermiihle“, mit dem er 1933 nach Ziirich und 1936 in die USA emigrierte. 1937 mit Therese Giehse aus den USA zuriickgekehrt, wandte er sich nach Auflösung der ‚,Pfeffermühle“ zurück ins vertraute Ehrwald; die Naziherrschaft in Österreich überlebte er in geduckter Stellung. Nach 1945 arbeitete er als Barpjanist in der Schweiz und betrieb dann in Ehrwald ein Lokal namens ,, Die Pfeffermiihle“; zuletzt lebte er in einem Betagtenheim in Imst (Tirol). Er starb am 30. August 1995, Links: Sabine Henning, Karikatur ihres klavierspielenden Vaters Magnus Henning 15