OCR
sierenden ihren Inhalt verloren haben: Herz, Schmerz, Lust, Leid. Daß die ‚Zeit der großen Sprachabnutzung“ auch auf kritische Autoren nicht ohne Einfluß blieb, kann nicht geleugnet werden.* Anklänge an nationalsozialistische Sprachgewohnheiten finden sich auch bei jenen Autoren, an deren antifaschistischer Grundhaltung kein Zweifel besteht. So verweist die auffallend pathetische* , bilderreiche, durch ,, Abstrakta und komplizierte Sätze“ gekennzeichnete Prosa auch bei engagierten Autoren der ‚Gruppe 47“ wie Alfred Andersch und Hans Werner Richter auf das Vakuum der ästhetischen Nachkriegssituation. Die Einflüsse sind nicht so leicht zu erkennen. Wie schleichendes Gift vernebeln sie, dem Autor selbst unbewußt, die Sprache. Die Begriffe sagen plötzlich nichts mehr aus. Jede scharfe Differenzierung fehlt: Für diesen Begriffsbrei, für die Aufweichung von Wortbedeutungen, für diesen schwammigen Sprachstil müssen wir das ‚Dritte Reich“ und seine Schlagwort-Sprache verantwortlich machen.’ Vor dem Hintergrund dieses historisch begründeten Sprachmißtrauens erscheint die in der Zeitschrift „RUF“ (1946 -1947) vertretene literarische Forderung nach einem an amerikanischen Autoren wie Hemingway, Faulkner und Wolfe orientierten „‚Realismus“ konsequent.® Zwar proklamiert die nach dem Verbot des ,, RUF“ gegriindete ,,Gruppe 47“ ,,kein gemeinsames literarisches Programm.‘“? In ihrer ersten Phase wenden sich Mitglieder der Gruppe jedoch unzweideutig gegen die ‚‚klassizistische, eine heile Welt restaurierende Literatur der alteren Generation.“ '° Aus dem Umkreis der ,,Gruppe 47“ haben vor allem die österreichischen Autoren, Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann und Paul Celan, immer wieder auf die Bedeutung der Erinnerung fiir das Schreiben in einer so belasteten Sprache wie dem Deutschen hingewiesen. Der aus dem Nationalsozialismus heraus begriindete Sprachzweifel wird fiir diese Autoren zum Ausgangspunkt ihrer poetischen Erfahrung. Ingeborg Bachmann stellt dazu fest: Wir, befaßt mit der Sprache, haben erfahren, was Sprachlosigkeit und Stummheit sind — unsre (...) reinsten Zustände! —, und sind aus dem Niemandsland wiedergekehrt mit Sprache, die wir fortsetzen werden, solang Leben unsre Fortsetzung ist. |! In der Ansprache zur Entgegennahme des Bremer Literaturpreises sagt Paul Celan: Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: Die Sprache. (...) Aber sie mußte nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah; aber sie ging durch dieses Geschehen. '? In ihrem Roman ‚‚Die größere Hoffnung“ ‚der 1948 erschien, schrieb Ilse Aichinger: Und ihr wollt das Deutsche verlernen? Ich helfe euch nicht dazu. Aber ich helfe euch, es neu zu erlernen, wie ein Fremder eine fremde Sprache lernt, vorsichtig, behutsam, wie man ein Licht anzündet in einem dunklen Haus und wieder weitergeht." Gerade die in Österreich geborenen Autoren können sich mit den in Deutschland einsetzenden „Kahlschlag“- und Realismus-Forderungen von Schriftstellern wie Schnurre, Eich und Andersch nicht zufriedengeben. Der Versuch einer ästhetischen tabula rasa, die sich in ihrer Konsequenz von den Werken der ‚‚inneren“ und äußeren Emigration gleichermaßen abzugrenzen sucht, steht die schmerzhaft-intensive Auseinandersetzung Aichingers, Bachmanns und Celans mit einer weiter zurückreichenden Bildtradition gegenüber. Die Brisanz dieses Ansatzes, der in dem Auftritt der drei Autoren bei der zweiten Tagung der Gruppe 47 im Jahre 1953 in Niendorf an der Ostsee einen ersten Höhepunkt fand, lag in der Rehabilitierung symbolistischer und surrealistischer Sprachformen bei gleichzeitiger Thematisierung einer unmittelbar zurückliegenden persönlichen und historischen Erfahrungswirklichkeit.!* „Etwas will neu beginnen. Das ist auch Kahlschlag. Nur werden hier die Telegraphenmasten geschlachtet. Die Wurzeln sitzen tiefer als im gestern.“ ! Vor allem das lyrische Werk Ingeborg Bachmanns zeugt von der schmerzhaften Durchdringung scheinbar gegensätzlichster ästhetischer Koordinaten. Die im Urteil ihrer Zeitgenossen nicht auflösbare Spannung vieler Gedichte zwischen ,,Brechtscher Niichternheit* ' und „dem Klassischen selbst“ 7 das in dieser Dichtung ‚sein ewiges Recht“ anmelde, frappiert auch aus der historischen Distanz heutiger Leser. Die Antagonismen der Bachmannschen Lyrik zwischen traditioneller Komposition und einem radikal formulierten Sprachmißtrauen sind ein exemplarisches Beispiel für das ästhetische Vakuum ihrer Entstehungszeit in den ersten Jahren nach Kriegsende. Es ist ein kaum zu überseAndrea Stoll, geb. 1960 in Rüsselsheim (bei Frankfurt/M.), Studium der Germanistik, Philosophie, Publizistik in Mainz und Wien. Promovierte über das Werk Ingeborg Bachmanns. Derzeit Tätigkeit als Lektorin und Herausgeberin für verschiedene Verlage und Fernsehanstalten. 1992-94 Lehrbeauftragte an der Universität Salzburg. Publizierte u.a. über I. Bachmann, Jurek Becker, Gertrud Fussenegger. Anmerkungen 1 Urs Widmer: 1945 oder die Neue Sprache. Studien zur Prosa der jungen Generation, Düsseldorf 1966, S. 89. Vgl. auch Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Bd.6, Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit, $.359. 2 Heinz Friedrich: Das Jahr 1947, in: Almanach der Gruppe 47, 1947-1962, hrsg. v. Hans Werner Richter und Walter Manzen, Reinbek b. Hamburg 1962, S. 18. Vgl. zu dem vorliegenden Thema auch Andrea Stoll: Erinnerung als ästhetische Kategorie des Widerstandes im Werk Ingeborg Bachmanns. Studien zur Deutschen Literatur des 19. u. 20. Jahrhunderts. Bd. 16. Peter Lang Verlag, Frankfurt/M., Bern, New York, Paris 1991. 3 Hans Werner Richter: Was war die Gruppe 47? NDR II, 1.10. - 22.10. 1974 (unveröffentlichtes Rundfunkmanuskript). 4 Vgl. Widmer, 1966. Vgl. hierzu auch: Eugen Seidel und Ingeborg Seidel-Slotty: Sprachwandel im Dritten Reich. Eine kritische Untersuchung faschistischer Einflüsse, Halle 1961. Dolf Sternberger, Gerhard Storz, W.E. Süskind: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, München 1962. 5 Vgl. Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Die Gruppe 47. Ein kritischer Grundriß, München 1980, S.7 -70. 6 Widmer, S.30 f. 7 Widmer, S.67. 8 Rudolf Walter Leonhardt: Die Gruppe 47, in: Die Zeit, 30.10.1959. 9 Christian Ferber : Man war sich selten einig, in: Die Welt, 17.10.1955. 10 Werner Brettschneider: Zorn und Trauer: Aspekte deutscher Gegenwartsliteratur, Berlin 1979, S.39. 11 Ingeborg Bachmann: Werke, 4 Bde., hrsg. v. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Miinster, Miinchen, Ziirich (1978), 1982, Bd. 4, S.60. 12 Paul Celan: Ansprache anläßlich der Verleihung des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen, in: Die neue Rundschau, Frankfurt/M., Jg.1958, hrsg.v. Gottfried Bermann Fischer, S.117. 13 Ilse Aichinger: Die größere Hoffnung, (1. Aufl. Amsterdam 1948), Frankfurt/M. 1960, S.63. 14 Vgl. Stoll, S.31. 15 Zit. n. Dietlind Meinecke: Einleitung, in: Uber Paul Celan, S.30. 16 Günter Blöcker, Lyrischer Schichtwechsel, 13. Nov. 1954. 35