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friedigenden Siegen erfüllten Weges stand. Aber ich war im Innersten davon überzeugt, daß sich mein Leben von nun an untrennbar mit diesem Buch verbunden hatte, was immer mir auch begegnen, widerfahren oder mich zeitweilig davon abbringen würde. Aber erst einmal mußte ich mein Studium beenden und mich auf die Verteidigung meines Diploms vorbereiten. Pläne für die Zeit danach hatte ich so manche, auch wenn sie noch nicht ausgegoren waren, doch die konnte ich fiirs erste ad acta legen. .Der Mensch denkt, Gott lenkt, sagt ein Sprichwort, und dieser Gott residierte in meinem Falle nicht irgendwo im Himmel oder an sonst einem Ort im unendlichen Universum, sondern im sogenannten Großen Haus an der Woinowastraße gegenüber dem Finnländischen Bahnhof, von dem der Volksmund sagte, daß es das höchste Haus Leningrads wäre, weil man von dort aus schon Sibirien sehen könne. Ich erhielt gewissermaßen die erste Quittung für meine Weigerung, mit den Leuten vom KGB zusammenzuarbeiten, denn nur zwei Tage, nachdem ich mein Diplom überreicht bekommen hatte, flatterte mir als einzigem der schon über das übliche Einberufungsalter hinausgelangten Studenten meiner Fakultät die gänzlich unerwartete Einberufung zum Wehrdienst auf den Tisch. Allerdings gab es in jenen Jahren in Leningrad eine nicht geringe Anzahl von Studenten älterer Jahrgänge, die während des Studiums vom Wehrdienst zurückgestellt worden waren und nun die Lücken auffüllen mußten, die durch eine Besonderheit Leningrads in der Armee entstanden waren: Es waren während des Krieges in der eingeschlossenen und belagerten Stadt nur wenig Kinder geboren worden, was die nun fälligen Einberufungsjahrgänge erheblich reduzierte. Ich war jedoch sicher, daß das nicht der Hauptgrund war für meine bemerkenswert eilige Einberufung. Ich kam in ein Infanterieregiment im hohen Norden an der Finnischen Grenze bei einem Ort namens Allakurti. Zu dem mir Teuersten, das ich in meinem Gepäck mit mir führte, gehörte die Taschenbuchausgabe von Stefan Zweigs “ Welt von gestern”. Nun waren allerdings die Bedingungen des Soldatenalltags nahe der Eismeerkiiste, gelinde ausgedriickt, nicht gerade sehr geeignet dafiir, sich mit diesem Buch und den ersten Versuchen, es zu übersetzen, zu beschäftigen. Dennoch fand ich trotz des harten und anstrengenden Dienstes von Zeit zu Zeit eine ruhige Stunde, die es mir erlaubte, ungestört in dem Buch zu lesen. Und es hat für mich etwas beinahe Anrührendes, wenn ich mich heute daran erinnere, wie ich damals, die wenigen dienstfreien Stunden nutzend, in einer winzigen Kammer und bei unzulänglichem Licht, ohne Erfahrung und ohne eine klare Vorstellung vom Handwerk und von der Technik der literarischen Übersetzung mich bemühte, die Stellen, die mich am stärksten beeindruckt hatten, ins Russische zu übertragen. Hinzu kam noch die mit den Jahren zunehmende Verminderung meiner Sehkraft im rechten Auge, ein sogenanntes Faules Auge, wie die Leute bei uns sagen, dessen notwendige Behandlung in meiner frühen Kindheit durch die Kriegsereignisse nicht zustandegekommen und das nun irreparabel war. Wenn ich der Zeit, die ich in der sowjetischen Armee verbringen mußte, etwas zu danken habe, dann sind es die Stunden, Sternstunden, bin ich versucht zu sagen, die ich dort mit dem Zweigschen Buch verbrachte. In dieser dafür ungeeignetsten Situation und Umgebung entdeckte ich, indem ich mich in den Text einlas, ihn mir zu interpretieren und zu übersetzen versuchte, das ungewöhnliche Aroma des Wortes, den unwiederholbaren Stil eines Meisters der Sprache, und mir enthüllte sich gleichsam die reiche Welt einer deutschsprachigen Prosa in ihren grandiosen Umrissen und subtilen Schattierungen auf eine Weise, wie es mir das Leningrader Institut für Fremdsprachen trotz manch hervorragenden Lehrers nicht hatte vermitteln können. Hatte mich anfangs mehr oder weniger nur der Inhalt des Zweigschen Buches ergriffen und nicht mehr losgelassen, die mir bis dahin unbekannte und in der Sowjetunion tabuisierte offene und radikale Auseinandersetzung mit den Problemen des Judentums, noch dazu von einem Autor, der selbst Jude gewesen war, fesselte mich nun in gleichem Maße auch die Kultur der Sprache des Europäers Stefan Zweig und seine kompromißlose geistige Unabhängigkeit, die ihn früh schon über das heimatliche Wien und die niedergehende Donaumonarchie hatte hinauswachsen lassen. Er wurde mit seiner “ Welt von gestern” zu einer Art Gestirn für mich, dem ich von nun an unbeirrt und ungeachtet aller nur denkbaren Widrigkeiten zu folgen hatte, um sein Licht auch in mein Land zu tragen, gleichviel, wieviel Zeit bis dahin noch vergehen mochte. Noch aber befand ich mich unter erbärmlichsten Verhältnissen an der nördlichen Grenze des Landes, war ich vor allem in