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Siglinde Bolbecher Einen Untergang lang Zur Literatur von „Frauen im Exil“ Schon lange war ich wieder Einzelschicksal geworden. Ruth Tassoni, nach dem Ende ,,groBer“ Zeiten „Im Exil bin ich geworden, die ich bin.“ Unter dieser, keineswegs anheimelnden Kurzformel will Elisabeth Freundlich ihr Leben und Schreiben verstanden wissen: ein widerborstiger Standpunkt, der einen geschichtlichen Horizont einfordert, der aus dem erlebten und reflektierten Bruch herrührt. Doch das Epochenverständnis der Zweiten Republik war ein anderes. Für das Angedenken einer großen Vergangenheit in der österreichisch-ungarischen Monarchie und einer leidgeprüften Heimat konnte das Exil, und mit ihm die Autoren und Autorinnen, die als Flüchtende einen Beitrag zum Widerstand leisten wollten, nicht recht dienlich sein. Noch Jahrzehnte nach dem Sieg über den Nationalsozialismus ‚‚hat sich die Kluft zwischen den Hiergebliebenen — und damit sind auch solche gemeint, die ein reines Gewissen haben dürften — und denen, die man davongejagt hat, nie wieder ganz geschlossen.“ (Elisabeth Freundlich, Die fahrenden Jahre) Die Wirkungsgeschichte jener Literatur, die sich mit den Ursachen, dem Aufkommen und den Praktiken der Nazis auseinandersetzte, und die nicht gedruckt, nicht rezipiert wurde, hat sich damit um Jahrzehnte verzögert, vieles ist verschollen. Die großen, finsterern Zeiten konstituierten ein „Drinnen“ und ein „Draußen“, einen völlig verschiedenen Erfahrungshorizont, hinter dem eine antifaschistische, politisch engagierte Literatur zu verschwinden drohte. 1948 erschien Ilse Aichingers Roman Die größere Hoffnung, vielleicht der bedeutungsvollste österreichische Nachkriegsroman, in von der Ausgesetztheit, dem Überleben und der furchtbaren Trauer eines Wiener jüdischen Mädchens erzählt wird. Zur der gleichen Zeit wurde Hermynia Zur Mühlens Roman Unsere Töchter, die Nazinen, 1936 nach Intervention des deutschen Gesandten von Papen beschlagnahmt, nicht wiederaufgelegt. Für Zur Mühlen beginnt 1948 eine neue Phase der Exilierung, und noch heute wird sie mit ihrem Werk einfach der Literatur der Zwischenkriegszeit zugeschlagen — und lebte und schrieb ja doch. In den wenigen Exilanthologien sind Schriftstellerinnen unterrepräsentiert. Das Elisabeth Freundlich, New York, Mitte 40er Jahre Die Exilwerke exilierter Frauen erschienen meist verspätet... Eva Priesters Gedichtsammlung erschien 1946 im Globus-Verlag, Wien, Zur MühlensRoman 1947 im Schönbrunn-Verlag, Wien 3