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EINE ERZAHLUNG Werner Wulff Verlag, Uberlingen, erschienene Erzählung blieb Jahrzehntelang ihre einzige kam 1988 zuerst englisch heraus. 4 gesellschaftliche Gedächtnis scheint zunächst männlich zu funktionieren. Verfolgt wurden Männer und Frauen, und im Exil war nicht nur die ‘Brotsorge’ der Frauen gefragt, sondern auch ihre intellektuellen Fähigkeiten, ob sie nun als Organisatorinnen, Redakteurinnen und Herausgeberinnen tätig waren wie Ruth Tassoni, Elisabeth Freundlich oder Friderike Zweig, oder ob sie als Schriftstellerinnen ihren eigenen künstlerischen Weg verfochten — wie Anna Gmeyner, Adrienne Thomas, Lili Körber, Gina Kaus, Stella Rotenberg, Hilde Spiel, Martina Wied, Maria Leitner... Trotzdem oder gerade deshalb bildeten die männlichen Autoren in der Situation des Sprachverlustes, der geringen sozialen Kontakte zu einem Publikum ein ‘Herrenhaus’ im Inneren des Exils, in dem sie einander freundschaftliche Selbstvergewisserung zuteilten. In diesem Herrenhaus waren weiblichen Autoren marginalisiert. Daß in der kulturellen Tradition für die Kreativität von Frauen nur in Ausnahmefällen ein Platz vorgesehen war, ist eine Geschichte, die den Exilautorinnen und den Schriftstellerinnen der Nachkriegsgeneration gleichermaßen widerfahren ist. Diese Geschichte von ,,Ich habe kein Haus ich habe kein Heim [..]/ So irre ich von Stätterand/ zu Stätterand im Niemandsland/ und suche eine Nähe ...‘“ (Stella Rotenberg) hat die Künstlerinnen und Autorinnen dieses Landes immer auf ihren langen, oft verbitternden Wegen begleitet. Die spezifische Form und Wirkungsweise von Unterdrückung und Vertreibung, aber auch Widerstand zu begreifen, wird zur Aufgabe eines Lebens. Mit den Pionierinnen, den Talenten der 20er und 30er Jahre, die sich außer Landes bringen konnten, war auch die Auseinandersetzung mit dem verzerrten, exotisch anmutenden Frauenbild, reichend vom ‚‚süßen Mäderl“, dem katholisch ‚‚reinen Herzen“ über die „vampirischen Frau“, die „Muse“ (Ergänzung des modernen Genies) bis zum ‚weiblichen Haustier“ ausgetrieben. Eine verlorene Spur kritischer Distanzierung von Familie und staatlich gestütztem Patriarchat. Im Exil waren gerade jene „weiblichen“ Eigenschaften der Anpassung, der Opferbereitschaft und Flexibilität erforderlich, die oft gar nicht den emanzipierten Zukunftsvorstellungen entsprachen. Was den Realitätssinn betrifft, besticht die Fähigkeit zur Neuorientierung: Hilde Spiel beginnt Reportagen in der Sprache des Gastlandes zu schreiben, Anna Gmeyner wechselt vom Drama zum Roman, Salka Viertel verdingt sich als Filmstory-Schreiberin (Greta Garbo-Filme) in Hollywood. Klara Blum, 1934 in die Sowjetunion emigriert, wird, in einer der wenigen literaturwissenschaftlichen Erwähnungen, zwar für ihr „Lebensexperiment“ gewürdigt, aber gleichzeitig wird ihr Schreiben als vordergründig propagandistisch abgeurteilt. „Er möcht nach Laune kommen oder gehen/ Und wissen stets ist sie für ihn bereit./ Sie soll ihm sehnsuchtsvoll entgegenschen,/ Eng ist ihr Leben, seine Welt ist weit. [...] Und strebt sie doch, sich schüchtern zu entfalten,/ Spürt sie mit Schrecken sein Gefühl erkalten.“ (,,Melodie der Feigheit“) Exil erscheint als Leben in einer enteigneten Gegenwart: Es stellt die Männer an eine meist unsichtbare Front, die Frauen ins Hinterland. Ihnen ist die Rolle zugedacht, Sicherheit zu geben, Hafen zu sein für die zerschundenen, oft demoralisierten Kämpfer, Ort der Rückkehr. Das Exil wurde zu einer prototypischen Erfahrung der Menschen im 20. Jahrhundert: Begriffe wie Heimat, Liebe, Identität, aber auch Nation erfuhren einen Bedeutungswandel. In der Literatur der Exilautorinnen ist ohne den idealisierenden Blick des Dazugehörigen aufgeschrieben, was Leben und Weiterleben ist, in und nach den sich überstürzenden historische Ereignissen, ausgelöst von Machthabern, die verbrannte Erde, Massengräber, anonyme Opfer und entwurzelte Flüchtlinge hinter sich ließen. Von einem geheimnissvollen Zwielicht spricht Ruth Tassoni, einem Zwielicht, ‚das Einzelheiten nur deutlicher und unvergeßlicher macht, da sie unter ganz bestimmten Umständen von Angst und Hast sich ins Gedächtnis geprägt haben.“ Vom Salon in die Emigration: Berta Zuckerkandl Den Lebensweg eines Menschen zu beschreiben, beinhaltet zwei Fallen: Zum einem, daß die Beschreibung der Persönlichkeit zu stark die Handschrift des Verfassers trägt und Lob wie Tadel nicht aus einer durchdachten, offengelegten Position heraus erfolgen, sondern willkürlich erscheinen. Eine andere Verlockung mag darin liegen, sein Sujet zu sehr zu lieben und damit die nötige kritische Distanz zu verlieren. Ein schlüpfriger Boden vielleicht gerade dann, wenn ein Biograph eine Frau portraitiert — diese Konstellation ist sehr häufig — und vor der Aufgabe steht, diese weibliche PersönFortsetzung 5.5, schmale Spalte