OCR
Lina Loos Wir Frauen | Meine Freundin Grete Keller war die erste Frau, die in Wien selbst chauffierte. Was hat sich die Arme an Zurufen anhören müssen! „Geh lieber in a Kuchel!“ oder ‚‚Rühr lieber in an Weidling um!“ usw. Es wurde also anerkannt, daß die Führung von Haushaltung und Wirtschaft der Frau.zusteht, weil sie es versteht. Es ist ein Arbeitsgebiet — nicht leicht —, sehr undankbar, und niemand wird es leugnen - wichtig! Nun sehe ich irgendwo Männer sitzen, welche die Wirtschaft und Haushaltung der Stadt, des Landes besprechen; es ist nie ihr Gebiet gewesen, und so kommt es vor, daß in Lebensmittelaufrufen Säuglingen Essiggurken, Sauerkraut und dergleichen zugewiesen wurde. Aber wir Frauen werden jetzt nicht hingehen und rufen: ‚‚Geht’s lieber an eure Arbeit!“ Nein, das werden wir nicht tun, aber wir verlangen, zugezogen zu werden zu solchen Beratungen, um sagen zu diirfen: ,, Wir wissen, was man zum Kochen braucht — was haben wir vom Salat, wenn wir kein Öl bekommen“ und vieles andere. Frauen, die heute einen Haushalt zu führen haben, haben wirklich nichts zu lachen, also soll man uns zur Erheiterung wenigstens zuhören lassen, wenn die Männer zum Beispiel die Gaslieferzeiten bestimmen. Wir Frauen sind heute so weit, daß wir auf billige Galanterie, auf verlogene Ritterlichkeit verzichten, aber es geht nicht an, daß man in der Elektrischen hort: ,,S6 Frau, gehn’S viri“, ,,Wenn der Herr nachriicken wiirde.“ Oder wenn man zu einem Mann sagen hört: „‚Bitte, der Schalter nebenan“ und zu einer Frau: ,,K6nnen’S net lesen?“ Wenn wir auch auf ‚Türen aufmachen“ pfeifen — das können wir selber —, aber auf Gleichberechtigung im Ton werden wir bestehen. Wir werden fordern, daß Frauen beim Bau von Wohnungen eine beratende Stimme haben — damit sie dann nicht ein halbes Leben lang in einer Küche ohne Licht und Luft verbringen müssen — wegen Raumersparnis. Wir werden darauf bestehen, daß Frauen, welche Möbel und Wohnung mitbringen, wenn sie heiraten, eine solche Wohnung auf ihren Namen schreiben lassen, so daß sie bei einer eventuellen Scheidung nicht einfach vor die Tür gesetzt werden können. Es ist Aufgabe jeder Frau, sich zu kümmern um das, was vorgeht, vor allem, was mit ihr geschieht. Oder hat der Frau die Stellung, die ihr der verflossene Herrenmenschenstaat zugewiesen hat, gefallen? Da stand in der Zeitung: „‚Männer dürfen nicht mehr in Bedürfnisanstalten beschäftigt werden — der Abortpinsel gehört in die Hand der Frau!“ Ja, so weitkann es kommen, wenn Frauen sich nicht dafür interessieren, was mit ihnen geschieht! Wenn sie Kinder gebären, aufziehen und opfern müssen für Ziele, die sie nicht kennen, so wollen sie wenigstens gefragt werden, ob sie einen Krieg wollen. Wir Frauen werden auf vielerlei bestehen - schließlich besteht heute die Mehrheit der Menschheit aus Frauen —, und so werden wir uns zusammentun zu einem Bund demokratisch denkender Frauen, ohne Rücksicht auf Partei und Stellung, nur unter der Devise: ,, Wir Frauen.“ Erschienen in der Zeitschrift ,,Stimme der Frau“ (Wien), 16. 10. 1945, mit der redaktionellen Vorbemerkung: ,, Wir haben Mitglieder des Bundes demokratischer Frauen Osterreichs gefragt, was sie dazu veranlaßte, sich der demokratischen Frauenbewegung anzuschließen. Die Schriftstellerin Lina Loos, die Witwe des bekannten Architekten Loos, stellte uns in liebenswürdiger Weise diesen Artikel zur Verfügung.“ Lina Loos war nach 1945 stellvertretende Vorsitzende des KPÖ-nahen „Bundes demokratischer Frauen“. Vom Salon in die Emigration (Fortsetzung) lichkeit in ihrer Eigenständigkeit zu fassen. Berta Zuckerkandl, als zweites von fünf Geschwistern im wohlhabenden jüdischem Hause ihres Vaters Moritz Szeps, Herausgebers und Chefredakteurs des „Neuen Wiener Tagblattes“, herangewachsen, fand über die Freundschaft des Vaters mit dem Thronfolger Rudolf sehr früh Eingang in die europäische High-Society. Durch die Heirat ihrer Schwester Sophie mit Paul Clemenceau, dem Bruder von Georges Clemenceau, wird Berta Zuckerkandl zu einer wichtigen Verbindungsfigur zu Frankreich. Ihre Missionen, vor allem während des I. Weltkrieges, als es um die Rettung der Monarchie durch einen Sonderfrieden ging, sind von Patriotismus für Österreich und Freundschaft zu Frankreich erfüllt. Berühmt auch ihr Salon, zu dem sich Künstler und Kulturschaffende einfanden: Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Alma und Gustav Mahler, die sich bei ihr kennenlernten. Fast fünfzig Jahre lang publizierte BertaZuckerkandl in der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ und im „Neuen Wiener Journal“. Als sie 1938 mit 74 Jahren aus Wien flüchtete, zunächst nach Frankreich, dann nach Algier, begann sie ihr erstes Buch „Ich erlebte 50 Jahre Weltgeschichte“ zu schreiben, das zugleich deutsch und französisch erschien. Lucian O. Meysels hat in die neuaufgeiegt Biographie neues Material wie die Hofmannsthal-Briefe eingearbeitet. In seiner Darstellung legt er den Schwerpunkt auf die ersten 50 Jahre ihres Lebens. Der Fülle des Materials hätte eine analytischere Darstellung nicht geschadet bzw. eine weniger „hofrätliche‘“ Anrede. „Ich bin stolz auf Sie, weil Sie einer der wenigen waren, die nicht bei Hitler in Wien geblieben sind, obwohl Sie es als Arier hätten tun können,“ schreibt Berta Zuckerkandl wenige Monate vorihrem Tod aus Algier an Franz Theodor Csokor. Sie selbst konnte nicht mehr zurückkehren. Lucian O. Meysels: In meinem Salon ist Österreich. Berta Zuckerkandl und ihre Zeit. Wien: Edition INW 1994, 312 S.