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Etta Federn - Schreiben als geistige Überlebensarbeit J’ai une machine a écrire, un monument des temps passes, grand, lourd, peu commode — mais une machine a écrire! Geschrieben wurden diese enthusiastischen Zeilen am 30.11. 1945 in Paris, nach Kriegsende also. In dieser Zeit des Mangels eine alte Schreibmaschine erworben zu haben, war eine Errungenschaft erster Giite. Der Adressat des Briefes war Ernst Federn, der Neffe von Etta Federn. Beide hatten die Nazi-Verfolgung überlebt; Ernst Federn im KZ Buchenwald, Etta Federn in Paris. Zum Zeitpunkt des Briefes war sie 62 Jahre alt. Zwei Aspekte in diesen Zeilen sind symptomatisch für sie: die bevorzugte Verwendung der französischen Sprache statt der deutschen und vor allem die unermüdliche schriftstellerische Antriebskraft, die hier zum Ausdruck kommt. Marietta (Etta) Federn wurde am 28. April 1883 in Wien als jüngste Tochter einer österreichisch-jüdischen Familie geboren. Ihre Eltern waren Ernestine Spitzer (Federn) und der Arzt Dr. Salomon Federn. Nach höherer Töchterschule und Mädchengymnasium mit Abiturabschluß folgte in ihrem Bildungsweg das Studium der Germanistik und Philosophie, zunächst in Wien, dann in Berlin. Der Wegzug von Wien nach Berlin, der nach heftigen innerfamiliären Konflikten erfolgte, stellte ihren Bruch mit den Eltern dar. In Berlin verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt durch Unterrichten und Übersetzungen aus den Sprachen Französisch, Englisch, Dänisch, Russisch und Jiddisch. Sie übersetzte u.a. Alexandra Kollontai, Shakespeare, Hans Christian Andersen und Herman Bang. Gleichzeitig begann sie zu schreiben, Essays, Biographien, Autobiographisches, Erzählungen, ein Theaterstück und Gedichte. Bis zu ihrer Flucht aus Deutschland 1932 gab es von ihr Veröffentlichungen über Christiane von Goethe, Friedrich Hebbel, Goethes Faust, über Dante, Walther Rathenau sowie eine Selbstbiographie. Vor allem die Rathenau-Biographie, die 1927 erschien, machte sie bekannt. Beim Berliner Tageblatt arbeitete sie als Literaturkritikerin. Eine erste Ehe, mit Max Bruno Kirmsse, dauerte nicht lange. Ihr entstammte der erste Sohn, Hans. Die zweite Ehe schloß sie mit dem Maler Peter Paul Kohlhaas, bekam einen weiteren Sohn, Michael, und war gleichzeitig Alleinernährerin der Familie, da der Ehemann kriegsversehrt war. Außer der literarischen Tätigkeit hielt sie Vorträge und leitete zeitweilig eine Pension in Thüringen. Berlin wurde auch zum politischen Betätigungsfeld für sie. Sie knüpfte enge Verbindungen zur dortigen anarchistischen Bewegung. Zu ihren besten Freunden zählten Rudolf und Milly Rocker, Molly Steimer, Senja Fléchine und Emma Goldman. Ihre Eingebundenheit in die anarchistische Bewegung, in der sich damals auffallend viel emanzipierte und selbständige jüdische Frauen engagierten, deren Themen wie Soziale Revolution, Freie Pädagogik, die Bedeutung von kultureller Arbeit und Frauenemanzipation sowie der hohe Stellenwert solidarischen, verantwortungsbewußten Verhaltens boten ihr geistigen, emotionalen und politischen Rückhalt. Dem Denken dieser politischen Bewegung entsprach auch die Selbstverständlichkeit, über Ländergrenzen Pieta. Aus dem Zyklus „Creazione e Annientamento“, 1972. Marianne Kröger, Germanistin, lebt in Frankfurt, arbeitet an einer Dissertation über Carl Einstein, veröffentlichte u.a. Aufsätze über Carl Einstein, Sonja Prins, Nico Rost und übersetzte aus dem Spanischen und Niederländischen. Berlin 1933 Aus einem Interview mit Lisa Fittko (Fortsetzung von Seite 6) war, aber einer hat seinen Roman drauf aufgebaut, daß ein arisches Mädchen, das einmal mit einem Juden intim war, auch später, selbst mit „‚arischen‘‘ Männern, nur Kinder mit jüdischen Charakteristiken haben kann. Also sowas kann man doch nicht ernst nehmen. Zur NSDAP habe ich noch eine Frage: Die anderen waren sozusagen bürgerliche Bewegungen, die Nationalen, die Rechten, während die NSDAP ja versucht hat, die Arbeiterschaft zu gewinnen. Na ja, sie nannten sich Nationalsozialistische Arbeiterpartei. Aber eigentlich nicht so sehr mit Arbeitern — haben sie eigentlich aufgegeben — als mit Arbeitslosen, die es damals millionenweise gab. Die haben sie eingekleidet, haben ihnen schöne braune Uniformen gegeben, und dann haben sie sie marschieren lassen, und dann haben sie ihnen noch Waffen gegeben... Demoralisierend bei dieser großen Arbeitslosigkeit der Jugend war ja, daß keine Hoffnung bestand, daß sie noch nie Arbeit hatten und daß sie bei den Eltern leben mußten... Der Vater hat immer behauptet, das liegt an dem Jungen, daß er keine Arbeit findet, und soll er nicht um fünf, sondern um vier Uhr früh aufstehen und sich anstellen. [...] Das war natürlich, ich würde beinah sagen: genial von den Nazis, diese Taktik, die Millionen Erwerbslosen, also wenigstens einen Teil von ihnen, einzufangen dadurch, daß sie ihnen Lebensbedingungen gegeben haben, auf die sie nicht hoffen konnten. [...] Hast du persönlich den Antisemitismus der Nazis vor ‘33 in Berlin zu spüren bekommen? Die Nazis haben, trotz aller Rassenkunde, einen Juden doch nicht als Juden erkannt. Sie haben kein Gefühl dafür gehabt. |...] Die ‚Angriff"-Verkäufer [NS-Zeitung], die haben mir immer freundlich zugewinkt 9.