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und gezwinkert, und ich hab’ mal, bevor die Nazis es übernommen haben, wenn man so will, ich hab’ eine Jacke gehabt, das hatman damals Affenjacke genannt, ich weiß nicht, ob es das noch gibt, die war so aus gelbem Wildleder, ich hab’ die geliebt und bin immer durch Berlin auf’m Rad in der Affenjacke gefahren. Und dann verbieten sie doch die SA, und die kaufen sich alle braune Affenjacken, und dann haben sie mich auf der Straße in Berlin, wenn ich da gefahren bin, dauernd mit Heil Hitler begrüßt. Da mußte ich mein geliebtes Kleidungsstück ablegen. Die Affenjacke, die hab’ ich so gern gehabt, aber das war unmöglich, wie ich da über’n Alexanderplatz fahr’ und alle heben die Arme hoch. Aber das bedeutet natürlich keine Herabminderung der Dinge, die dann geschehen sind, ich wollt’ nur betonen, das man auch mit dem Nazi-Antisemitismus in Berlin lange leben konnte, ohne je bemerkt zu werden als Jude oder Jüdin. Aber ‘33 war das vorbei? Naja, sie haben immer noch nicht erkannt, wer Jude ist. [...] Als dann der Reichstag brannte ... Ja, also erst habe ich überhaupt nicht begriffen, ich war zuhaus, ich wußte nicht, ich hab’ kein Radio angehabt, und mein Freund ist dann nachhaus gekommen: „Hast du schon gehört?“ Ich hatte keine Ahnung, und er hat dann gesagt, also der Reichstag brennt, und hat wohl auch gesagt, daß Hitler “ne Rede gehalten hat und gesagt hat, das sind die Kommunisten, die Juden, und dann hat mein Freund gesagt, wir müssen sofort hier bei dir alles ausräumen und sehen, ob da nicht irgendein belastendes Material ist und so weiter. Ich war ganz verwirrt indem Moment, obzwar ich natürlich alles erwartet hab’, aber nicht alles. Ich mein’, man hat gemeint, daß man alles erwartet, aber davon hatte man keine Ahnung. Aber ich hab’ diesen Sprung dazu, daß jetzt jeden Moment die Nazis hierher kommen können — das hat einen Moment gedauert, bevor ich dazu gekommen bin... Er hat es sofort gemerkt, ich erst ‘ne halbe Stunde später... Also Terror. Bürgerliche Juden in Deutschland, die sehr oft schon viele Generationen in Deutschland gelebt haben, die konnten das nicht glauben... [...] Zunächst ging’s ja gegen die politische Opposition. Die wirkliche Judenverfolgung hat ja erst später eingesetzt. [...] Ich möchte sagen, daß während dieser ganzen Anfangszeit die Judenverfolgung, also ‘sagen wir der zugespitzte Antisemitismus, eine Begleiterscheinung gewesen ist des Faschismus, des Nazi-Terrors, und jeder hat natiirlich versucht, nicht jeder, aber es 10 hinweg an jedem Aufenthaltsort sinnvolle politische Arbeit zu leisten und sich mit den Kämpfen der Unterprivilegierten vor Ort zu solidarisieren. Wie sich später herausstellen sollte, war jenes über die Individualinteressen und das persönliche Schicksal hinausgehende Interesse an sozialem und politischen Zusammenleben, wo immer man sich gerade befand, ein entscheidender Pluspunkt für die Orientierungs- und Integrationsfähigkeit Etta Federns in jedem ihrer späteren Exilländer. Die persönlichen Morddrohungen von Nazis im Zusammenhang mit ihrem Buch über Walther Rathenau, das die erste Biographie nach dessen Ermordung darstellte, führten schließlich dazu, daß sie noch vor 1933 aus Deutschland flüchten mußte. Ein weiterer Grund bestand in dem sich immer offensiver gebärdenden Antisemitismus gegenüber exponierten Jüdinnen und Juden, der auch sie traf und ihr die materielle Existenzgrundlage entzog, da Verleger und Zeitungsredakteure vielfach bereits vor der Machtübernahme Hitlers nicht mehr wagten, eine Jüdin bei sich einzustellen. So siedelte sie 1932 nach Spanien über. Damals war Etta Federn-Kohlhaas 49 Jahre alt. Sie war alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen, lebte in Scheidung von ihrem zweiten Ehemann, Peter Paul Kohlhaas, und war es all die Jahre hindurch gewohnt, sich selbst und die Familie durch eigene Arbeit zu ernähren, eine keinesfalls selbstverständliche Tatsache. Der Grad ihrer Eingliederung in spanische Verhältnisse war beispiellos. So berichtete sie Milly und Rudolf Rocker vom Fortschritt ihrer Spanisch-Kenntnisse : Ich bin sehr glücklich, hier zu sein, obgleich ich vorläufig alle Kraft und Energie aufs Spanische und aufs Warten konzentriere und noch nicht eigentlich zum Arbeiten komme. Ich bin jetzt so weit im Spanischen, daß ich ein Buch mit Mühe und mit dem Wörterbuch und die Zeitung leicht lesen kann und mich für den Hausgebrauch einigermaßen verständige, das ist alles, was ich für 3 Wochen verlangen kann. (Brief vom 15. XI. 32 an Milly und Rudolf Rocker, Rudolf Rocker-Archiv, IISG, Amsterdam) Aufgrund ihrer engen Kontakte zur anarchistischen Bewegung in Deutschland findet sie in Spanien leicht Anschluß an spanische Anarchisten und deren kulturelle Aktivitäten. Die Fluchtwelle ab 1933 bringt weitere FAUD-Mitglieder nach Spanien, darunter Helmut und Dora Rüdiger. Viele von ihnen verbringen die erste Zeit ihres Aufenthalts in Etta Federns Haus. Isoliert ist sie demnach nicht in ihrem ersten Exilland. An Rudolf Rocker schreibt sie am 22. März 1933: Lieber Rudolf, [...] Euch werde ich es verdanken, Euch Menschen und Eurer Bewegung, die mir in Dir besonders stark und deutlich verkörpert ist, wenn ich im Leben noch etwas leisten, noch etwas hervorbringen werde. (Brief vom 22.3. 1933 an Rudolf Rocker, Rocker-Archiv, IISG, Amsterdam) Illusionen über eine baldige Rückkehr nach Deutschland macht sie sich nicht. Da sie sich bereits seit langem mit pädagogischen Fragen auseinandergesetzt hatte, kommt sie zu dem Schluß, daß der Terror in Deutschland noch lange nicht abflauen würde, da „die Roheit und Brutalität zu lange und intensiv gepredigt worden“ seien und es den Menschen ,,ja als Ziel und Aufgabe beigebracht worden [sei], zu morden und zu mißhandeln“. Ihr Scharfsinn führt sie einer weiteren bitteren Erkenntnis: Und das Furchtbare, das fiir mich Furchtbarsie, schlimmer als die grauenhaftesten Einzelfälle ihrer Brutalität und Blutrünstigkeit ist für mich die Tatsache, dass ihrer Gesinnung die große Majorität des Deutschen Volkes zustimmt, und das die ganze Zukunft des Deutschen Volkes auf Jahrzehnte hinaus durch diesen Geist vergiftet werden soll ... (Brief vom 22.3. 1933 an Rudolf Rocker, Rocker-Archiv, IISG, Amsterdam) Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs sucht sie sich sofort geeignete Einsatzbereiche. Als einzige Exilantin ist sie voll in die anarchosyndikalistische Frauenbewegung „‚Mujeres Libres“ integriert und publiziert regelmäßig in deren gleichnamigen Organ. Auch für andere Zeitschriften schreibt sie zahlreiche Aufsätze und Artikel, hauptsächlich über Pädagogik, Hygiene sowie Säuglings- und Kleinkindbetreuung. In Blanes, einem katalanischen Dorf, organisiert sie nach reformpädagogischen Ansätzen das gesamte — zuvor klerikal geleitete - Schulwesen und erteilt selbst Sprachunterricht. Nach der politischen Zurückdrängung auch der dortigen CNT/FAI arbeitet sie in Barcelona weiter für ,,Mujeres Libres“, erteilt Unterricht und verfaßt literarische Schriften. Eine 62-seitige Broschüre über exponierte Frauen aus aller Welt erscheint von ihr, ,,"Mujeres de las Revoluciones“. Sie enthält Kurzbiographien über Rosa Luxemburg, Vera Figner, Alexandra Kollontai, Emma Goldman, T ili Braun, Charlotte Corday, Ellen Key und andere. Im Mittelpunkt steht dabei nicht eine Teilnahme am erläutert: