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Ein Salut für Elisabeth Freundlich „Im Exil bin ich die geworden, die ich bin.“ — So sagt Elisabeth Freundlich. 1906 geboren, studierte sie zwischen 1928 und 1932 Germanistik, Romanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Wien, arbeitete dann als Dramaturgin am „Neuen Wiener Schauspielhaus“, wurde Mitarbeiterin der kurzlebigen Wiener Weltbühne, engagierte sich für die Friedensbewegung, unternahm in diesem Zusammenhang zwischen 1934 und 1938 mehrmals Reisen nach Paris, war ab 1937 für spanische Hilfskomitees tätig. Arbeit, einen ,,Job“ also, hatte sie in dieser Zeit keine. Dafiir schrieb sie als ,, Therapie gegen die Arbeitslosigkeit“ — wie sie sagt — einen Roman über arbeitslose Jugendliche. Das Manuskript ging im Zuge der Emigration verloren. Sofort nach der Annexion Österreichs überredete sie ihre Eltern zur gemeinsamen Flucht. Kaum in Paris angekommen, gründete sie zusammen mit Arpad Haas, E.A. Rheinhardt und Conrad H. Lester die ,, Ligue pour l’Autriche vivante“ (der — auf deutsch — schwerfällig klingende Name ‚Liga für das lebendigen Österreich“ benannte gleichzeitig die anti-ostmärkische Haltung), daneben verfaßte sie Artikel, die Rudolf Leonhard (1933 Mitbegründer des ‚Schutzverbandes deutscher Schriftsteller“ im Exil) im Anschluß an seine Sendungen nach Deutschland verlas. Elisabeth Freundlichs Beiträge wurden allerdings nach Österreich ausgestrahlt, und die Nazis bemühten sich denn auch heftig, den Sender, den sie in Österreich vermuteten, ausfindig zu machen. Elisabeth Freundlich erzählt: „Informationsminister war damals Jean Giraudoux, bei dem Leonhard großes Ansehen genoß. Ich erinnere mich noch genau, wie meine Texte Schlagzeilen in französischen Zeitungen machten. Bald aber war es mit Giraudoux’ Tätigkeit als Informationsminister zu Ende. Leonhard wurde verhaftet und in ein Lager gebracht.“ Elisabeth Freundlich mußte dasselbe befürchten, doch hatte Rudolf Leonhard gut konspirativ gehandelt, so daß ihre Aktivität verborgen blieb. 1940 flüchtete sie nach Südfrankreich, von dort emigrierte sie mit einem Notvisum nach New York. Sie fand Gelegenheitsjobs, hielt Gastvorträge an den Theaterdepartments verschiedener Colleges, leben konnte sie davon nicht. So entschloß sie sich zu einer weiteren Ausbildung: ‚Das kürzeste Studium war Librarian, das hab ich ge16 Elisabeth Freundlich Die im Lande blieben Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers, mit einem Nachwort von Hans Mayer. Athenäum Verlag. Kronberg/Taunus 1978. 478 Seiten, DM 38,-. Rudolf Brunngraber: Karl und das 20. Jahrhundert. Roman, mit einem Vorwort von Thomas Lange und einem Nachwort vom Karl Zink. Scriptor Verlag. Kronberg/Taunus 1978. 301 Seiten, DM 234,-. Zunächst sollte dies eine Rezension der Neuausgaben zweier Bücher werden, deren Verfasser nur so viel gemeinsam haben, daß sie beide Österreicher sind, Österreicher, die in der Literaturgeschichte tiefe Spuren hinterlassen haben. Gemeinsam ist ihnen auch, daß sie zu jenen gehören, die im Lande geblieben waren, sich also mit dem Dritten Reich auf diese oder jene Weise hatten arrangieren müssen, sofern sie auch weiterhin als Schriftsteller zu leben gedachten. Bronnen hat dabei die erstaunlichsten Kapriolen geschlagen, sich vom Freunde Brechts und Bechers zum Schützling von Goebbels gewandelt, und als er in den österreichischen Widerstand geriet, wieder zurück zu den Kommunisten; Brunngraber hat sich später darauf berufen, den geeigneten Augenblick zur Auswanderung ‚‚verpaßt“ zu haben. Auf das Problem des Verhaltens der Schriftsteller im Dritten Reich über diese beiden Fälle hinaus noch einmal einzugehen, hatte ich nicht gedacht. Das heikle Thema war nie ausdiskutiert worden, stattdessen hatte man das Wort von der ,,inneren Emigration“ erfunden und es jedem entgegengehalten, der bezweifelte, daß deutsche Innerlichkeit als solche genügend Schutz gegen Verführbarkeit durch die Machthaber bedeutet hatte. Es blieb nur zu hoffen, daß eine spätere Generation sich das beschönigende, dem wahren Sachverhalt keineswegs gerecht werdende Wort ‚innere Emigration“ noch einmal kritisch vornehmen würde. Inzwischen ist aber — unerwartet — etwas eingetreten, was der Frage erneut höchste Aktualität verleiht, liebgewordene Illusionen, wenn auch unter heftigem Protest, zerstört und auch mich nötigt, diese Rezension in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Rekapitulieren wir kurz: Der Feuilletonchef der „Zeit“, Fritz J. Raddatz, hatte — wohlgezielt, knapp vor der Buchmesse - in seinem Blatt einen Aufsatz veröffentlicht (‚, Wir werden weiter dichten, bis alles in Scherben fällt ...“, 12. Oktober 1979), in dem er zu beweisen versuchte, daß die viel gerühmte Nachkriegsliteratur keineswegs erst nach dem Krieg entstanden sei, sondern bereits während des Krieges geblüht habe oder zumindest gedruckt oder gesendet worden war. Dabei ging es nicht ohne schwere Anwürfe gegen teils noch lebende, teils verstorbene berühmte Autoren ab, unter ihnen einige mehrfache Preisträger. Es entstand ein Tumult, — jeder wollte sich schützend vor einen Freund oder Lieblingsautor stellen, es flogen Invektiven, wie sie sonst nur Franz Josef Strauß gegen Intellektuelle zu schleudern liebt. Tatsächlich bot Raddatz Angriffsflächen: Er hatte sich Flüchtigkeiten zuschulden kommen lassen, hatte nicht abgesicherte Behauptungen aufgestellt, was er dann dadurch zu erklären suchte, daß sich seine Gewährsmänner, erschreckt durch die von ihnen nicht erwartete Reaktion, nicht mehr zu ihren früher gemachten Angaben bekennen wollten. Wie dem auch sei, — die Gegner hatten leichtes Spiel, nicht nur die ehrlich entrüsteten Verteidiger des Rufs einzelner Kollegen, sondern auch alle die Neider, die ein Mann in der Stellung von Raddatz nun einmal zu haben pflegt. In der allgemeinen Aufregung hatten alle, wie verschieden ihre Beweggründe zum Protest auch gewesen sein mögen, den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen, hatten nicht erkannt, daß es Raddatz nicht um Rufmord an einzelnen Autoren, sondern um die Zerstörung einer Legende gegangen war. Trotz einigen ungedeckten Behauptungen hat er die Illusion von einer Solidarität der „inneren Emigration‘ mit den Eingekerkerten, den Geschundenen, Verreckenden, Davongejagten weitgehend zerstören können, — diese alte Illusion wird nach Raddatz’ Angriff nie wieder auferstehen können. Ob dieses Gefühl der Solidarität mit den Opfern über alle die Jahre hinweg hätte wachgehalten werden können, muß dahingestellt bleiben. Daß Raddatz, zu jung, um sich in den finsteren Zeiten erprobt haben zu können, im Nachhinein diese Forderung erhebt, sollte nicht mit dem Ausdruck ‚‚realitätsfremd“ abgetan, sondern umgekehrt als Zeugnis seiner moralischen Urteilskraft gewürdigt werden.