OCR
ihr Spiel, die Jünger verblüfften: Hüpfen und Tanzen wechselten zu langsam fließenden Klängen. Dann machte sie eine Pause, hob beide Hände hoch und ließ alle zehn Finger aufplatschen, wie weggeschüttetes Schmutzwasser, mit nachfolgendem Rieseln in den hohen Lagen, das sie verklingen ließ, um daraus einen sehr starken Rhythmus zu entwickeln, volltönender, üppiger als bisher. Eine ganz eigene flutende Welt der Töne wurde lebendig, voll unglaublicher Vehemenz, die alles Kindliche sprengte und nur gelegentlich von suchend aneinander gereihten Einzeltönen leise fragend unterbrochen wurde. Jünger versuchte den Tonkombinationen dieses Mädchens zu folgen, sie in die verschiedenen erlernten Theorien einzuordnen, fand Monas zartes Schultergelenk hineintropfen — die sanfte Rundung ihres Armes dazwischenschwimmen - zwischen Theoretisches. Sein linker Daumen befühlte kreisend jede einzelne seiner Fingerspitzen. Dann beobachtete er etwas Seltsames: Seine Hand wurde unabhängig, als ob sie nicht mehr zu ihm gehörte. Sie kroch langsam suchend die glatten runden Holzstäbe von Monas Klaviersessel hinauf, bis die knochigen Fingerspitzen die Mädchenschulter fanden. Ein kalter Funken prickelte Monas Wirbelsäule hinauf zum Hinterkopf. Sie schlug zu: Tastenklirren unter getroffenen Lehrerhand — Jüngers Biest!“ — Sein Aufspringen — Monas Rückzug unter das Klavier — Sekundengeschehen! Mit einiger Mühe raffte Jünger die Reservewürde seines genialen Funkens zusammen, verhüllte sich darin, während er die geschlagene Hand mit der anderen bedeckte. „Lächerliches Kind“, sagte er zu sich selbst, hob den Kopf, wandte sich zur Türe, verließ mit langen, langsamen Schritten den Salon, die Flügeltüre offen lassend. „Gnädige Frau!“ rief er befehlend, ‚‚gnädige Frau!!“ Das Dienstmädchen lief eilig von der Küche in das Vorzimmer. „Pscht, Herr Jünger, die gnädige Frau schläft.“ „Das Kind hat mich geschlagen. Ich kann mein nächstes Konzert nicht spielen. Ich wünsche, die gnädige Frau zu sprechen!“ „Das geht jetzt nicht. Ich kann sie jetzt nicht wecken. Aber ich werde es ausrichten, wenn sie es wünschen.“ „Ich wünsche, die gnädige Frau zu sprechen - und zwar jetzt!“ sagte der in Würde Aufschrei: „Au, du kleines 28. Gehüllte laut und nachdrücklich und blickte streng an seiner Nase entlang hinunter auf das Dienstmädchen. „Ich kann die gnädige Frau jetzt nicht stören.“ „Resi?“ Eine Türe wurde geöffnet. ‚„‚Reeesi!“ Viele kleine Schwingungen waren in der rufenden Stimme. ‚Was ist denn los?“ Jünger machte einen Schritt in Richtung Stimme. Das Dienstmädchen vertrat ihm den Weg. „Ich komme schon, gnädige Frau.“ Und zu Jünger: „Die gnädige Frau liegt. Nehmen Sie einen Moment Platz!“ Sie drängte ihn in einen Vorzimmersessel und lief den Gang entlang in das Schlafzimmer der gnädigen Frau. „Was ist los, Resi? Warum dieser Lärm?“ Die schwingende Stimme war leicht verärgert, denn der Lärm hatte die gnädige Frau aus imaginären Zärtlichkeiten gerissen, denen sie sich im Halbschlaf hingab. „Der Klavierlehrer, gnädige Frau. Er will Sie unbedingt sprechen. Er sagt, - Mona hat ihn geschlagen.“ „Was? — Um Gottes Willen! Was wird mein Mann sagen?“ Sie sprang aus dem Bett. „Das weiß morgen die ganze Musikwelt — Resi, mein Kleid! — Diese Schande! Niemand weiß, was der nächste Tag bringen wird — und dieser Fratz —“ Die gnädige Frau zog schnell das Kleid über den Kopf, strich sich die Haare glatt vor dem Spiegel, befestigte winzige Perlen in den Ohren. „Wie kann dieses Kind uns das antun?“ murmelte sie, während sie eilig in das Vorzimmer ging. Im Vorzimmer reichte sie dem Klavierlehrer die Hand: ,,Bleiben Sie sitzen, lieber Meister“, sagte sie wahrend sie sich dem Klavierlehrer gegentiber setzte. ,, Was um Himmelswillen ist geschehen?“ Jünger stand auf, nahm seinen Mantel: „Ihr Kind hat mich auf die Hand geschlagen. Ich werde mein nächstes Konzert absagen müssen.“ Er verhüllte sich mit seinem Mantel und verließ die Wohnung. ,, Verzeihen Sie, Meister“, rief die gnädige Frau ihm nach. „Das Kind wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen.“ Mona hörte alles. Der übliche Fluchtweg durch das Vorzimmer zum Klo war von der Mutter blockiert. „Mona, wo bist du?“ Die Schwingungen in der Stimme waren drohend. Mona antwortete nicht. Sie versuchte die innere Flucht in eine abwesende Gleichgültigkeit, die ziemlich schmerzunempfindlich machte. Die Mutter stand vor ihr. „Du hast den Meister geschlagen?“ Keine Antwort. „Du hast gewagt, den Meister zu schlagen?!“ Mona, hochaufgerichtet, starrte an ihr vorbei. Die Mutter schlug zu. Brennen auf Monas Wange, kein Schmerz. „Du hast den Meister geschlagen!“ Die Ungeheuerlichkeit der Tat wurde der gnädigen Frau erst richtig bewußt. „Du - hast - den - Mei - ster - ge - schla gen!!“ Rechts und links klatschten die Ohrfeigen. „Dein Vater! Sein Ruf!“ Das Kind stand unverändert. Die Mutter haßte diese respektlose, unerreichbare Haltung. Sie war außer sich — eine kreischende, entfesselte Furie. „Du abgebrühte, nichtsnutzige Gans!“ Ihre Stimme überschlug sich, peitschte hinein in den Puls des Kindes, vom pochenden Kopf zum Magen, bis tief in den Bauch: „Wo-zu-ha-be-ich- dich - mit- Schmer - zen - auf - die - Welt - ge - bracht? - Du Na - gel - zu - mei - nem - Sarg! !“ Mona wurde übel. Sie schluckte. Gegen diesen Schmerz hatte sie noch kein Mittel gefunden. Die Mutter hatte sich heiser geschrien. Erschöpft setzte sie sich, während Mona noch immer ganz still stand. „Resi!“, rief die Mutter heiser. Das Dienstmädchen hatte vor der Türe zugehört, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Sie glättete sich. ‚Ja, gnädige Frau?“ „Stecken Sie diesen Nichtsnutz ins Bett. — Und vergessen Sie die Handschuhe nicht!“ Mona war sehr blaß, rote Flecken auf den Wangen. „Komm, Mona“, sagte das Dienstmädchen. In dem weißgetünchten Kinderzimmer waren alle Möbelstücke weiß, glatt und viereckig, weiß das Bett, weiß der Ofen. Das Dienstmädchen nahm braune Wollhandschuhe, an denen weiße Bänder angenäht waren, aus einem Möbelstück. Die Wollhandschuhe kratzten unerträglich und sollten Mona daran hindern, ihren Unterkörper zu berühren. Sie wurden mit einem festen Knoten gebunden. Das Dienstmädchen zog dem Kind die Handschuhe an, sah die brennend roten Flecken auf dem kleinen Gesicht, ließ die Handschuhbänder unverknotet. ‚‚Schlaf’ dich aus. Und nachher kommst du zur Jause zu mir in die Küche.“ Resi verdunkelte das Zimmer, schloß leise die Türe. Mona streifte die Handschuhe ab, griff nach dem alten Stoffhund. Aus einer kleinen Ledertasche um seinen Hals nahm sie