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In einer Ecke stand die Mutter mit der großen Papierschere. Wenn der Klavierlehrer einen Schmetterling gefangen hatte, reichte die Mutter ihm die Papierschere. Der Klavierlehrer schnitt die schönen Schmetterlinge in der Mitte auseinander, in eine obere und eine untere Hälfte. Die Schmetterlingsunterkörper hängte er mit Wäscheklammern an Telegraphendrähte. Mona wollte sie herunter nehmen, zusammenkleben. Sie hatte keine Wollhandschuhe und konnte sie daher nicht berühren. Der Klavierlehrer zielte mit spitzem Blick auf Mona. Mona begann zu laufen, der Klavierlehrer hinter ihr her. Mona lief zu dem Haustor. Dort würde ER sein, mit rotgoldenem Haar- und Bartkranz. Sie lief, kam aber nicht mehr voran, die Straße unter ihr lief in die entgegengesetzte Richtung. Vanillegeruch strömte aus einem nahen Küchenfenster. Er störte Mona beim Atmen. Sie keuchte, weil sie Vanille anstatt Luft einatmen mußte. Der Vanilleduft wurde stärker, hob sie auf, trug sie immer höher hinauf. „Wach auf, Kind“, hörte sie, während sie aus der Tiefe heraustauchte. „Du schläfst ja wie ein Stein“, sagte Resi. „Komm, steh auf. Ich habe Vanillekipferln. Extra fiir dich gebacken.“ Stella Hershan Fiirst Metternich war, wie es schien, der Frauen müde geworden. Im Jahr 1832 drang die Kunde in die Küche des Palais Metternich in Wien: Seine Exzellenz habe den Wunsch nach einer Torte völlig neuen Typs ausgedrückt. Fürst Clemens Wenzel Lothar von Metternich liebte Schokolade. Es war erforderlich, daß eine Torte, die speziell für ihn kreiert wurde, als Hauptzutat Schokolade beinhaltete. Zwar spezifizierte Fürst Metternich, daß die Torte süß zu sein habe, aber er wolle sie auch nicht zu süß haben. Sie solle nicht zu schwer und vor allem nicht zu fett sein. Am 15. Mai jenes Jahres feierte Exzellenz ihren 59. Geburtstag. Exzellenz’ dritte Frau, Melanie, war ganze 27. Drei Frauen hatten dem Fürsten elf eheliche Kinder geschenkt. Gerüchten zufolge war es kein Zufall, daß in Wien und Umgebung noch ungezählte andere Kinder die berüchtigte Metternichsche Habichtnase vorweisen konnten. Nachdem der Fürst ins sechste Lebensjahrzehnt getreten war, wurde sein Magen ein wenig empfindlich, und dies war eine Erklärung für sein jähes Gelüst nach ‚„‚einer Schokoladetorte, trocken und männlich“. Die Aufgabe, das traditionell weibliche Geschlecht der Torte in ein männliches umzuwandeln, fiel auf einen gewissen Franz Sacher, Lehrling in der Metternichschen Residenz. Franz war gerade 16 Jahre alt! Was für eine Gelegenheit! Was für eine Herausforderung! Er muß sich mit dem ganzen Enthusiasmus seiner Jugend an die Arbeit gemacht haben, experimentierend mit Butter und Eiern, mit Zucker, Schokolade und Mehl. Die Schokoladenmischung kam in den Ofen. Stapelte Franz Sacher eigenhändig das Brennholz, gab er das Papier, das Holz und die Kohle dazu, daß die richtige Temperatur entstand? Höchst wahrscheinlich! Er wird wohl vor der schweren Ofentür gesessen sein und darauf geachtet haben, daß kein Unbefugter sie zufällig öffne und durch einen schädlichen Luftzug das Aufgehen dieser speziellen Tortenkreatur zu maskuliner Superiorität verhindere. Wohlgerüche von Butter und Schokolade müssen die Nasenlöcher des Jungen Franz umschwirrt haben, als er vielleicht schon davon träumte, eines Tages „Der Tortenkönig‘“ genannt zu werden. Franz Sacher - er hatte ein langes, scharfes Messer bei der Hand - entschloß sich, die frischgebackene Torte in halber Höhe entzweizuschneiden. In der Hoffnung, des Fürstens Gaumen, der sich nach einer männlichen Schokoladetorte sehnte, zufriedenzustellen und die Süße zu mildern, trug Franz eine dünne Schichte Marillenmarmelade in der Tortenmitte auf. Dann aber, besorgt, die Weiblichkeit seiner Kreatur nicht hinreichend erstickt zu haben, bedeckte er die ganze Torte mit einer Schicht Marillenmarmelade, bevor er sie in eine Glasur maskuliner Bitterschokolade einschloß. Das war’s! Endlich eine Schokoladetorte mit Charakter! Endlich hatte die Wiener Kunst des Tortenbackens ihren Meister gefunden, statt einer Meisterin. Könnte es sein, daß der junge Franz Sacher in diesem Moment zu zittern begann? Als er auf sein Meisterwerk starrte, begann er sich zu fragen, ob er nicht ein Sakrileg begangen hätte, vielleicht sogar ein Verbrechen. Warum denn sonst, möchte man fragen, versah er die neugeborene männliche Schokoladentorte, ehe er sie zur Metternichschen Tafel schickte, mit einer Begleiterin: einer Kristallschale, die eine Wolke von Schlagobers faßte, das hinter der Torte gleichsam als ein Brautschleier einherschwebte — ? Der Fiirst war, wie Historie vermerkt, entzückt. Da Seine Exzellenz ein gnädiger Herr war, kann man sicher annehmen, daß er die Küche nicht nur von seiner vollen Billigung der neuen männlichen Schokoladetorte benachrichtigte, sondern auch erlaubte, sie nach ihrem Schöpfer zu benennen. Auf diese Weise wurde die ,,Sachertorte“ geboren. Die Wiener hatten drei bevorzugte Gewohnheiten: essen, tratschen und nörgeln. Zuerst aßen sie die neue Schokoladetorte. Dann tratschten sie über ihre Entstehungsgeschichte. Schließlich begannen sie zu nörgeln. Wer hatte je von einer männlichen Torte gehört? Die Torte war süß und weiblich! Eine männliche Torte mußte so trocken sein, daß es einem aus den Ohren staubte! Ohne den weiblichen Einschlag, ohne das Schlagobers, wäre sie zweifellos ungenießbar. Ein Mann, dem es nach einer solchen Torte verlangte, war wohl nicht recht gescheit und ohne Gefühl. Metternich! Kein Wunder, daß gerade er aut so Betremdliches wie eine männliche 31