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Schokoladetorte sann! Hatten ihn die Wiener nicht seit Jahren verabscheut? Metternich, der Unterdrücker des Volkes! Der infamste der Autokraten, der alle konstitutionellen und demokratischen Bestrebungen niederhielt. Ein Mann, der behauptete, daß Demokratie zur Anarchie führe. Ein Mann, der das Weibliche nicht liebte, aber ‘keine Frau ungeschoren ließ. Metternich! Das Gemurre wurde immer lauter. Der Fürst wurde der Bestechlichkeit beschuldigt, dunkler politischer Machenschaften zu Schaden der österreichischen Monarchie; und es kam der Tag, daß die Massen in den Straßen Wiens schrien: ‚‚Nieder mit Metternich!“ Vermutlich wußten die Wiener nicht, daß Metternichs im Alter von vier Jahren das Mitgefühl ausgetrieben worden war. „Ein Mann muß hart sein“, hatte seine Mutter erklärt, „„Gefühle sind Schwäche.“ Sie kaufte Clemens ein Hündchen. Es war weiß mit einem schwarzen Flecken auf der Nase. Er nannte es „Pünktchen“. Nach sechs Wochen zwang ihn die Mutter, es zu ertränken. Aber selbst wenn die Wiener davon gewußt hätten, hätte sich ihre Stimmung wahrscheinlich kaum besänftigt. Ihre Gemütlichkeit war verschwunden. Die Österreicher wollten und forderten Freiheit: Freiheit der Presse, der Rede, der Lehre, der Schule, der Religion. Gesetzesreform. „Fürst Mitternacht muß weg!“ riefen die Massen. Revolution! 1848. Kaiser Ferdinand, ein Schwachsinniger, eine Puppe nur in Metternichs Händen, mußte endlich abdanken. Der neue Kaiser war 18 Jahre alt. Er hieß Franz Joseph. Metternich wurde zum Rücktritt gezwungen und flüchtete nach England. Er war 75, weißhaarig und mittellos. ‚Recht geschieht ihm!“, sagten die Wiener. „Kein Schaden um ihn! Wer braucht denn den? Einen Mann, der eine trockene männliche‘ Schokoladetorte verlangt!“ Metternich ging, aber seine Torte blieb. Am 13. März 1938 marschierten Hitlers gestiefelte Nazitruppen durch die Straßen von Wien. Einige der Mädchen, die im Hotel Sacher beschäftigt waren, flohen aus dem Land. Einer der Zuckerbäcker des Hotels hatte Mitleid mit ihnen. Er wollte ihnen helfen, das Leben im Exil zu überstehen, und gab ihnen das geheimgehaltene Originalrezept der berühmten Sachertorte. Und so kam es, daß Fürst Metternichs männliche Schokoladetorte heute in aller Welt ist. Aus dem Englischen übersetzt von Robert Geist und Konstantin Kaiser. 32. Eva Brück Hintergründe Man schrieb das Jahr 1949. Es war ein klarer Herbsttag, gelbe Blätter schwebten lautlos auf das Dach des Kinderwagens, den Elisabeth beim Lesen mit der linken Hand schaukelte, während sie in der rechten Hand ein Buch hielt. Da bemerkte sie die füllige Blondine, die Frau eines Arbeitskollegen ihres Mannes. Ihr Mann hatte ihn ein paar Mal mit nach Hause gebracht. Sie kannte dessen Frau nur flüchtig, doch war ihr die Blondine auf den ersten Blick unsympathisch gewesen. Diese Leute redeten immer nur von Kauf und Verkauf, Geld. Frau Müller ließ sich mit einem leichten Seufzer schwer auf die Parkbank fallen, musterte, ihren Kinderwagen wippend, mit stechenden, dunklen Vogelaugen abschätzend Elisabeths seidiges dunkelblondes schulterlanges Haar, die gewölbte Stirn, die kleine, gerade Nase, den sensiblen Mund und den schlanken Körper in dem blauen Kleid von der Farbe der sanften Augen. Elisabeth war diese Musterung lästig. Irritiert warf sie einen Blick in Frau Müllers Kinderwagen, erkundigte sich, um die Frau von sich abzulenken, nach dem Alter des Mädchens, das gerade erwacht war und unzufrieden knautschte. Die Frauen wechselten einige unbedeutende Worte, Elisabeth hörte nur halb hin, horchte aber auf, als Frau Müller sagte: „Daß Ihr Mann jetzt auch in die Partei gegangen ist, kann ich einfach nicht begreifen — wo erdoch immer von Politik nichts wissen wollte... Gerade Ihr Mann, Frau Wille! Dabei hat der‘s doch bestimmt nicht nötig!“ „Wie meinen Sie das? Was haben Sie da gesagt?“ Elisabeth glaubte, sie hatte falsch verstanden. Verdattert blickte sie in Frau Müllers lauerndes Gesicht. „Na ja, ... ich meine nur so... Ihr Mann ist ja immer so betont gegen alle Politik, sagt mein Heinz, und der kennt ihn ja gut. Er begreift das auch nicht. Dabei... Sie werden entschuldigen... aber ihr Mann hat doch auch so recht gut verdient!“ Die spinnt wohl! dachte Elisabeth. Ihr Hans war verbittert und enttäuscht aus dem Krieg nach Hause gekommen und hatte geschworen, sich nicht noch einmal in die Politik einwickeln zu lassen, weil Politik doch alles nur Betrug und Gemeinheit war — und jetzt sollte er... Schon wollte sie der Frau schroff antworten, aber sie beherrschte sich, denn sie wollte wissen, worum es eigentlich ging. „Na ja“ , sagte sie schlagfertig, ‚vielleicht hat Hans sich so entschieden, gerade weil er gut verdient.“ Sie konnte sich vor dieser Person nicht die Blöße geben, weniger über den eigenen Mann zu wissen, als die Frau eines seiner Arbeitskollegen! „Sind wir doch mal ganz ehrlich“, fuhr Frau Müller fort, offenbar enttäuscht, daß ihre Worte nicht den erhofften Eindruck gemacht hatten, „‚sobald die einen bemerken, auf den die Kollegen hören, machen sie sich an ihn ‘ran und wollen ihn für die Partei haben — mit Versprechungen von einem besseren Posten und mehr Geld...“ „Das ist nicht wahr!“ empörte sich Elisabeth, ‚der Hans läßt sich nicht korrumpieren!“ „Ach, Sie Kindskopf!“ entgegnete Frau Müller mit unverhohlener Gehässigkeit, „sind Sie denn wirklich so naiv, oder tun Sie nur so, weil Ihr Mann jetzt auch zu denen gehört? So wird’s doch gemacht, und nicht anders!“ Elisabeth war diesmal nicht schnell genug. Frau Müller, ihr Schweigen ausnutzend, sprach schnell weiter: „Glauben Sie denn wirklich, die meisten PGs von geistern hätten sich jetzt, so bald nach Kriegsende, grundsätzlich verändert? Die sehen doch alle nur zu, auf welcher Seite ihr Brot gebuttert ist! Mein Schwiegervater sagte erst gestern wieder: Dreiunddreißig sind Kommunisten über Nacht Nazis geworden — und heut” wechselt man ganz fix von braun aufrot! Meinen Heinz wollten sie auch gleich für die Partei haben, als er voriges Jahr seine Prämie für einen Verbesserungsvorschlag kassierte — du bist Arbeiter — dein Vater war Arbeiter — und die haben bei uns heute die Macht und so weiter. Aber mein Heinz hat da nicht mitgemacht!“ „Und warum hat er damals nicht zugegriffen — wo er doch immer mehr Geld sehen will?“ unterbrach Elisabeth schnippisch den Redeschwall der Frau und sah sie herausfordernd an. „Aber erlauben Sie mal! Geldja, aber nicht so! Und - denken Sie, ich wäre einverstanden, wenn mein Mann jeden Abend in ‘ner Versammlung ‘rumhockt?“ „Besser als in der Kneipe! Das kostet weniger Geld!“ konterte Elisabeth bedeutungsvoll. Als Elisabeth Hans an jenem Abend zur Rede stellen wollte und beim Abendbrot