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Angelika Jensen Sei stark und mutig Im Jahr 1925 veröffentlichte der österreichische Schriftsteller Felix Salten ein Buch mit dem poetischen Titel’ Neue Menschen auf alter Erde. Eine Palästinafahrt”. Es ist eine enthusiastische Schilderung von den Eindrücken, die Salten von der Aufbauarbeit in Erez Israel (= Land Israel), zu dieser Zeit Palästina unter britischer Mandatsherrschaft, gewonnen hatte. Es wäre dies der schönste und treffenste Titel für vorliegende Publikation. Nun heißt sie nach dem Wahlspruch der Mitglieder des ” Haschomer Hazair” : ” Chasak we’emaz - Sei stark und mutig”. Die jüdische Jugendbewegung haschomer hazair (Der junge Wächter, oder oft auch übersetzt mit Junge Garde) entstand 1916 in Wien aus einer Vereinigung zweier bisher getrennt in Galizien agierender Richtungen innerhalb der zionistischen Jugendbewegung: 1. der jüdischen Mittelschülerorganisation zeirei zion (Jugend Zions), die ab etwa 1903 in Galizien bestand und die jüdischen Schüler in zionistischem Geist erzog, dabei aber kein Augenmerk auf die körperliche Ertüchtigung legte; 2. den schomrim (Wächter), einer jüdischen Pfadfinderbewegung, die 1912 ebenfalls in Galizien gegründet wurde und die die jüdische Jugend im Gegensatz zur zeirei zion ganz nach dem Vorbild der englischen Pfadfinder, der ”Boy scouts” zu formen versuchte. Von Jugendbewegung kann erstmals zu Beginn des 20. Jhd. gesprochen werden, als 1901 im Berliner Vorort Steglitz ein Schülerwanderverein von Jugendlichen, die sich von verhaßten Eltern- und Lehrerautoritäten emanzipieren wollten, gegründet wurde. Indem sie ohne die Begleitung von Erwachsenen in die Wälder zogen, deutsche Volks- und Heimatlieder sangen und das alle verbindende Lagerfeuer entzündeten, konnten sie in der Sicherheit des Gruppenbewußtseins Aggressionen gegen eine feindliche Umwelt abbauen. Das Denken dieser Jugend war durch und durch romantisch, rückwärtsgewandt und von Technik- und Zivilisationsfeindlichkeit geprägt. Es idealisierte das mittelalterliche Vagabundenwesen und suchte der Aufhebung der sozialen und Familienbande, einer Welt des industriellen Fortschritts und der Mechanisierung entgegenzuwirken. Die Jugendlichen organisierten sich in 34 Bünden und hier wieder in nach Geschlechtern getrennten Gruppen mit einem Führer bzw. einer Führerin, denen unbedingter Gehorsam zu leisten war. Die Grundidee bildete die Erziehung von Jugend durch Jugend. Ein weiteres Element innerhalb der Jugendbewegung entstand durch die vom Briten Lord Robert BadenPowell of Gilwell ebenfalls um die Jahrhundertwende gegründete Pfadfinderbewegung, die allerdings im Gegensatz zu den Wandervögeln, die zunächst völlig spontan entstanden waren, als probates Erziehungsinstrument zur Disziplinierung staatstreuer Jugend angesehen wurde. Die jüdische Jugendbewegung machte sich beide Formen zu eigen. Sie organisierte sich gleich den Wandervögeln zu Bünden, übernahm das Führerprinzip und die völkische Zivilisationskritik von der deutschen Jugendbewegung und vermischte Pfadfinderaktivitäten in der Natur, so etwa Geländespiele und Mutproben mit der Vermittlung jüdisch-nationaler Inhalte. Die jüdische Jugendbewegung entstand als postemanzipatorisches Phänomen um 1907 mit der Gründung des ersten Jüdischen Wanderbundes ” Blau-Weiß” in Breslau vorerst in Deutschland und in der Folge in den westlichen Teilen der ÖsterreichischUngarischen Monarchie (Schatzker, 1988, S. 267-269). Zu gleicher Zeit entwickelte sich ein radikaler jüdisch-nationaler Pioniergeist unter der von Pogromen erschütterten jüdischen Jugend Osteuropas und Rußlands, der die ostjüdische Aufklärungsbewegung haskala zur Voraussetzung hatte. (Ben-Sasson, Bd. 3, 1980, S. 71-80; Böhm, 1937, S. 474). Die ideologische Basis für die Herausbildung der jüdischen Jugendbewegung bildeten der Kampf gegen die Assimilation sowie in Reaktion auf den gegen Ende des 19. Jh. entstandenen Rassenantisemitismus, eine innerjüdische Selbstkritik, die sich so weit steigern konnte, daß antisemitische Argumente verinnerlicht wurden (Bunzl, 1987, S. 59-61; Johnston, 1992, S. 169-172). So glaubten Vertreter der zionistischen Bewegung dem Vorwurf der Überrepräsentanz von Juden im Finanz- und Wirtschaftsleben zu begegnen, indem sie die sogenannte Berufsumschichtung, vornehmlich der jüdischen Jugend, forderten. In der Folge erklang der Ruf nach Zuführung der jüdischen Jugend in handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe, die für den Aufbau von Erez Israel notwendig waren. Man versprach sich davon eine Wiedergeburt des jüdischen Volkes, das in den Jahrhunderten der Zerstreuung in alle Welt krank sei und nur durch eine starke und gesunde jüdische Jugend von der Anomalie ihres wirtschaftlichen Daseins befreit werden könne. Die Jugend als Heilsfaktor, als ” die ewige Glückschance der Menschheit” (Martin Buber, zit. in: Gaisbauer, 1988, S.439) spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Entwicklung des Zionismus. Im Jahr 1904 richtete Theodor Herzl folgende Worte an die jüdische Jugend: „Judenjungen”! das klang bisher verächtlich. Stellt es um, und es wird ein stolzes Wort: ” Junge Juden”! (Zit. in: Der jüdische Wille, 1918, S. 297). Der Begriff ” Judenjungen” steht hier synonym für alle jene jüdischen Eigenschaften”, die nach Ansicht vieler zionistisch eingestellter junger Juden, dem Antisemitismus Vorschub leisteten und die erst durch die Heranbildung eines neuen, jugendlichen jüdischen Idealtypus widerlegt werden könnten. Talmudschüler und Wunderrabbis, jüdische Bankiers und ” Kaffeehausjuden”, Bohemiens und Literaten sowie die gesamte assimlationswillige jüdische Bourgeoisie wurden von dieser Jugend bekämpft und für deren zunehmende Isolation und Ausgegrenztheit in einer antisemitischen Umwelt verantwortlich gemacht (Bunzl, 1987, S. 59-60; Doron, 1983, S. 175). Ein Ventil für diese Aggression bot sich in der Utopie einer sozialen und gerechten Gesellschaft, getragen von neuen Menschen in einem neuen Land: Palästina. Während die westjüdische Aufklärungsbewegung aber ein ” bereits in Assimilation begriffenes Judentum”, für sich vereinnahmen konnte, ” wandten sich die ostjüdischen Aufklärer an die von der herkömmlichen talmudischen Erziehung beeinflußte jüdische Jugend” (vgl. Schubert, In: Das österreichische Judentum, 1982, S. 185). Dementsprechend unterschiedlich gestalteten sich beide Formen. Die ostjüdische Jugend verhielt sich einerseits traditionsgebunden im Hinblick auf Religion (sprich: Messianismus) und Sprache, anderseits revolutionär in bezug auf deren politische Ausrichtung. Die Jugendbewegung im Osten folgte von vornherein drei Leitlinien: Palästina, Hebräisch und Sozialismus. (Vgl. Böhm, 1937, S. 475). Im Westen war die jiidische Jugend voll