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und ganz damit beschäftigt, durch Nachahmung der deutschen Wandervögel, die Auswirkungen ihrer Paria-Existenz innerhalb der deutschen Gesellschaft in Grenzen zu halten. Beide Richtungen trafen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs durch Migrationsströme verfolgter Juden von Ost nach West in den großen europäischen Metropolen, allen voran Berlin und Wien, aufeinander (Doron, 1983, S. 176). Durch den Zustrom tausender galizischer Flüchtlinge in die Haupt- und Residenzstadt Wien erfaßte der Gedanke an konkrete Auswanderung auch die österreichische jüdische Jugend, die zwar zionistisch vorgebildet war, aber meist aus gutbürgerlichen Elternhäusern stammend, an die konkrete Verwirklichung ihrer Ziele nicht im entferntesten gedacht hatte. Aus den bislang nahezu völlig unpolitisch agierenden jüdischen Wander- und Pfadfinderorganisationen wurden sogenannte chaluzische Bewegungen, Pionierbewegungen, die es sich zu ihrer Aufgabe stellten, ihre Mitglieder für die Auswanderung nach Palästina zu erziehen und auf ein Leben in einem Kibbuz, einer Gemeinschaft, in der keinerlei Ungleichheit mehr herrschen sollte, vorzubereiten. Trotz dieser sozialrevolutionären Attitüde der zionistischen Jugendbewegung tendierte ein Großteil der bürgerlichen jüdischen Jugend Österreichs zur Sozialdemokratie, weil sie sich von dieser Partei ein Ende der jüdischen Sonderexistenz erhoffte (Wistrich in: Eine zerstörte Kultur, 1990, S. 173-174). Diese sogenannte ” Rote Assimilation” wurde von der zionistischen Jugend durch Verbalangriffe in ihren Organen und Publikationen und durch intensive Werbung um Mitglieder heftig bekämpft. Somit bildete die zionistisch-sozialistische Jugendbewegung auch wenn in ihr nur ein kleiner Prozentsatz der jüdischen Jugend Österreichs organisiert war - einen nicht zu unterschätzenden Gegenpart zur sozialdemokratisch und kommunistisch organisierten jüdischen Jugend der ersten Republik. Indem sie sich strikt von der österreichischen Tagespolitik fernhielt und ihre Mitglieder innerhalb eines straff organisierten Rahmens, der zahlreiche Sanktionsmöglichkeiten bei abweichendem Verhalten offenhielt, nicht nur in theoretischer sondern auch in praktischer Hinsicht auf die Einwanderung nach Palästina vorbereitete, entzog sie der Sozialdemokratie Hunderte jüdische Jugendliche und gliederte sie in Kibbuzim in Palästina ein, was gegen Ende der dreißiger Jahre einer praktischen Rettung vor Verfolgung und Vernichtung gleichkam. Der ”Haschomer Hazair”” beschäftigte sich als ”erste und einzige ‘freie’ Jugendbewegung” (Margalith, 1970, S.271) des osteuropäischen Judentums am intensivsten von allen Organisationen mit der messianisch anmutenden Kreation eines neuen jüdischen Menschen und einer neuen, auf sozialer Gerechigkeit basierenden Gesellschaft. Gegen Ende des ersten Weltkriegs mutierte der ”Haschomer Hazair” von einer eher noch unpolitischen Pfadfinderbewegung, die Zionismus lehrte, zu einer sogannten ” chaluzischen” (= Pionier) Bewegung. Die vormals romantische Periode des ”Haschomer Hazair” war damit zu Ende. Die Mitglieder hatten sich folgenden Regeln unterzuordnen bzw. folgende Voraussetzungen zu erfüllen: Verzicht auf ein Hochschulstudium, körperliche Gesundheit, Absolvierung eines Vorbereitungslehrganges in der Landwirtschaft oder Ausbildung zu einem Handwerk. - Für Mädchen waren damit übrigens meistens Hauswirtschafts- und Kinderpflegekurse gemeint! - Diese Ausbildung (hebr.: hachschara) war die Voraussetzung für den Erhalt eines der begehrten von der britischen Mandatsmacht ausgegebenen Einwanderungszertifikate für Palästina. Bereits in der Diaspora gründeten die Mitglieder des ” Haschomer Hazair” Kibbuzim, Lebensgemeinschaften, in denen völlige Gleichheit herrschte und in dessen Rahmen sie sich zu Bauern oder Handwerkern ausbilden ließen. In ihrer Freizeit lernten sie Hebräisch, beschäftigten sie sich mit den Schriften der Theoretiker des Arbeiterzionismus und des Marxismus. Der höchste Grundsatz bestand, kurz zusammengefaßt, in dem Wort Verwirklichung (hebr. hagschama). Das hieß Umsetzung der wichtigsten Erziehungsziele: Berufsumschichtung, Auswanderung nach Palästina/Erez Israel und Einordnung in einen Kibbuz. Nach der Rückkehr einer Vielzahl der Flüchtlinge in ihre Heimatländer und der Einwanderung der ersten Pioniere nach Palästina verlagerte der ” Haschomer Hazair” sein Zentrum von Wien nach Warschau. Im Jahr 1924 wurde die ” Haschomer Hazair”-Weltbewegung gegründet. Zu dieser Zeit hatte sie 11.000 Mitglieder. 1939 erreichte der Mitgliederstand weltweit seinen Höchsstand mit der Zahl von 70.000 ” Schomrim” auf vier Kontinenten. Im Jahr 1921 siedelte eine Gruppe ”Schomrim” in Beith Alpha bei Haifa und gründete somit den ersten ortsgebundenen Kibbuz des ” Haschomer Hazair”, ” Kibbuz Aleph”. Fünf Jahre später konstituierte sich der Kibbuzverband ” Hakibbuz Haarzi” mit fünf Kibbuzim und 286 Mitgliedern. Im Jahr 1948 wurde die Vereinigte Arbeiterpartei ”Mapam” gegründet. Heute hat der ”Haschomer Hazair” 85 Kibbuzim mit etwa 40.000 Mitgliedern. Die Bewegung ”Haschomer Hazair” in Wien existierte nach der großen Blütezeit 35