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Kleber. Die Familiengeschichte der Sterns. (Deutsch und Englisch). Tel Aviv: PapyrusVerlag 1995. 263 S. Von den acht Kindern Jetty und Salomon Sterns aus Stanestie (Staneschti) in der Bukowina machten drei Söhne in der internationalen kommunistischen Bewegung Karriere. So war Wolf Stern (1897 — 1961) u.a. Betreuer des 1943 in Stalingrad gefangen genommenen deutschen Feldmarschalls Paulus, während Leo Stern als Sozialhistoriker berühmt wurde. Als Oberst der Roten Armee kamernachder Befreiung Österreichnach Wien; er dürfte die Kulturpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht zumindest mitgeprägt haben; erinnerlich ist seine Rolle als Mitbegründer des Instituts für Wissenschaft und Kunst in Wien. Am berühmtesten wurde Manfred Stern (1895 — 1954), der, von der Sowjetunion entsandt, unter dem Namen Emilio Kleber 1936 die XI. (Internationale) Brigade bei der Verteidigung Madrids gegen die Truppen Francos befehligte. Sein Schicksal war zugleich auch das bitterste: 1937 nach Moskau zurückgekehrt, wurde er 1938 (angeblich wegen Spionage für Franco) verhaftet und starb in einem nordsibirischen Arbeitslager. — Sidi Gross, die seit 1950 in Israel lebt, hat im Familienbesitz befindliche Briefe und Dokumente über ihre drei Onkel zusammengetragen. ‚Die Jungen Menschen", schreibt sie, ‚die auszogen, die Welt zu verbessern, sie haben es verdient, nicht vergessen zu werden.“ Murray G. Hall/Gerhard Renner: Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren. Zweite, neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 1995. 460 S. ÖS 686,-, DM 98,.. Die Qualitäten des Handbuches waren schon bei der ersten Auflage (1992) unbestritten. Hall und Renner hatten sich nicht nur in den institutionellen Bahnen bewegt, sondern waren darüber hinaus fast kriminalistisch den verschiedensten Hinweisen auf im Privatbesitz befindliche und an entlegenen Orten verwahrte Nachlässe nachgegangen. In vielen Fällen waren sie genötigt, elementare Lebensdaten (wie das Geburts- und Sterbejahr) erst einmal zu klären. Dadurch, daß zwei Forscher, die weder unkritisch in der Kontinuität der österreichischen Germanistik standen, noch vor emprischer Kleinarbeit zurückschreckten, sich des Themas annahmen, ist ein Standardwerk entstanden. Obwohl in österreichischen Bibliotheken und Archiven die Nachlässe Exilierter eher rar waren und sind, waren sich Hall und Renner immer bewußt, in welch großem Ausmaß die österreichische Literatur, und vor allem die des 20. Jhd., eine Literatur des Exils ist. Die vorliegende zweite Auflage ist etwa um ein Drittel erweitert und enthält viele neue Verweise und Details, die selbst dem aufmerksamen Beobachter enigangen sind. Wer gut aufpaßt, findet zwischen den Zeilen ein Sittengemälde des österreichischen Archivwesens. Eine hervorragende Arbeit. Hans Lebert: Das weiße Gesicht. Erzählungen. Mit einem Essay von Jürgen Egyptien. Wien, München: Europaverlag 1995. 185 S. (Schwarze Bibliothek. Hg. von J. Egyptien). Soma Morgenstern: Alban Berg und seine Idole. Erinnerungen und Briefe. Hg. und miteinem Nachwort von Ingolf Schulte. Lüneburg: Dietrich zu Klampen Verlag 1995. 408 S. DM 74,Andrea Reiter: „Auf daß sie entsteigen der Dunkelheit". Die literarische Bewältigung von KZ-Erfahrung. Wien: Locker 1995. 331 S., 6S 368,-. Eva Reichmann (Hg.): Max Zweig. Kritische Betrachtungen. St. Ingbert: Rohrig Universitätsverlag 1995. 424 S., DM 58,-. (Beiträge zur Robert-Musil-Forschung und zur neueren österreichischen Literatur. Hg. von MarieLouise Roth und Ingeborg Fürst-Fiala. 6). Anna Rheinsberg: Schwarzkittelweg. Drei Erzählungen. Mannheim: Persona Verlag 1995. 207 S. Max Riccabona: Auf dem Nebengeleise. Erinnerungen und Ausflüchte. Hg. von Ulrike Lingle. Innsbruck: Haymon-Verlag 1995. 111 S. Edward Timms, Ritchie Robertson (Hg.): Austrian Exodus. The Creative Achievements of Refugees from National Socialism. Edinburgh: Edinburgh University Press 1995. 222 S., £35.00 (ca. 6S 500,-). (Austrian Studies. VI). Nicht die kulturellen Errungenschaften des österreichischen Exils in seiner ganzen Breite werden vorgeführt, sondern, in Aufsätzen von Jeffrey B. Berlin (Stefan und Arnold Zweig), Wolfgang Muchitsch (Kulturpolitik der österreichischen Exilorganisationen), Jörg Thunecke (Young Austria und die politische Poesie), Steven W. Lawrie (Erich Fried), Konstanze Fliedl (Hilde Spiel), Evelyn Adunka (Josef Fraenkel, österreichischer Zionist im Exil), Dorothea McEwan (Joseph Otto Flatter), Gregory Mason (Felix Pollak), Harriet Murphy (Elias Canetti), einige Beispiele. G. Masons Auseinandersetzung mit Felix Pollak, ein rundes Porträt des Lyrikers und Aphoristikers, scheint besonders gelungen; Mason gibt einige wichtige Hinweise und zitiert Unbekanntes aus dem Nachlaß (z.B. aus Pollaks Briefwechsel mit Hermann Hesse). Mit der Doktrin vom ‚‚ästhetischen Regress“ der Exillyrik (einer Doktrin, die in den 70er Jahren in offenbar geringer Kenntnis der Materie aufgestellt wurde und seitdem besserem Wissen tapfer wie jede altgewordene Dummheit standhält) schlägt sich J. Thunecke herum. Die Young Austria-Anthologie ‚Mut. Gedichte junger Österreicher“ ist allerdings, wie alle ExilAnthologien, nicht unbedingt repräsentativ. Sie ist, von der Auswahl der Beiträge her, mehr politisches als poetisches Manifest. Der Rezensionsteil des Buches, S. 147-217, ist nur zum Teil auf den Titel des Buches abgestimmt. Er spiegelt eher, was britische Germanisten an Österreichischem interessiert. Dorit B. Whiteman: Die Entwurzelten. Jüdische Lebensgeschichten nach der Flucht bis heute. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1995, 394 S. Jola Zalud: Einem Arbeiter gibt man nicht die Hand. Erinnerungen einer unfreiwilligen Kommunistin. Wien: Löcker Verlag 1995. 259 S. 6S 298,Elazar Benyoétz liest am Mittwoch, dem 25. Oktober 1995, um 19 Uhr 30, in seiner Geburtsstadt Wiener Neustadt. (Im Hotel Corvinius am Ferdinand Porsche-Ring). Lord Weidenfeld und Benedetto Croce Eine Nichtrezension Der 1919 in Wien geborene, 1938 nach Großbritannien geflüchtete Verleger hat seine Memoiren geschrieben. In ihnen werden sehr viele Personen genannt, mehr solche, die durch Adel, persönliches Geschick oder geschichtliche Komplikation berühmt sind, und weniger solche, die weniger berühmt sind. Da die, die genannt werden, sozusagen ‘eher nur angetupft’ sind, wie in einem Who is who, haben die Ungenannten ohnehin hier nichts verloren. Wären sie auch genannt, sie kämen dennoch nicht vor. Das ist nicht der Grund, warum ich Weidenfelds Memoiren nicht rezensieren kann. Um es zu erklären, muß ich Weidenfeld selbst sprechen lassen: Wie in Deutschland machten sich auch die jungen Nachkriegshistoriker Italiens allmählich einen Namen. Sie hatten unter den erdrückenden Zwängen des Faschismus gelitten, aber auch unter dem beherrschenden Einfluß des Philosophen und Literaturkritikers Benedetto Croce, der die positivistische Historiographie ablehnte, sachliche Information und die Darstellung von Persönlichkeiten scheute und statt dessen Verallgemeinerungen und abstrakte Ideen bevorzugte. Nach dem Krieg entstand Jedoch eine neue Schule ... Man muß dazu erwähnen, daß Croce ein Gegner des Faschismus gewesen ist (und daß Weidenfelds Darstellung der Philosophie Croces von großer Voreingenommenheit für das eigene Urteilsvermögen des Verlegers zeugt). Aber schrecklich ist mir dieser Optimismus Weidenfelds, der im Ausgang aller Irrwege und Umwege des menschlichen Geistes immer dieselbe Vernunft siegen sieht: nämlich die Entstehung von Büchern, die Weidenfeld verlegen kann. Mag es fiir Weidenfeld selbst in ,,einem weiterhin aktiven Leben ... immer neue Herausforderungen und viel Arbeit“ geben, bleibt in Weidenfelds geschlossener Welt fiir andere leider nicht viel zu tun. Er hätte vielleicht mehr gegen sich als fiir an- . dere schreiben sollen. Konstantin Kaiser George Weidenfeld: Von Menschen und Zeiten. Die Autobiographie. Aus dem Englischen von Ch. Breuer, S. Schumacher, R. Seuß und Ch. Strüh. Wien, München: Europaverlag 1995. 560 S. 43