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Siglinde Bolbecher/Konstantin Kaiser „Freiheitliche gegen Exilliteratur““ Das in Wien erscheinende Nachrichtenmagazin ‚‚profil“ berichtete in seiner Ausgabe vom 11.12. 1995, S. 16: Mittwoch vergangener Woche im Kulturausschuß des Wiener Gemeinderates. Die Mitglieder stimmen über eine Subvention in der Höhe von 60.000 Schilling für den Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur ab. Und wer ist dagegen? Wenig überraschend die Freiheitlichen. Aber wogegen haben sie sich diesmal ausgesprochen? Der Geldbetrag hätte dazu gedient, eine Buchreihe, die seit 1988 unter dem Titel „Antifaschistische Literatur und Exilliteratur“ herausgegeben wird, zu unterstützen. In diesem Projekt werden verschollene und unbekannte Texte der Öffentlichkeit präsentiert. Unter anderem veröffentlichte der Verein literarische Aufarbeitungen der Ereignisse im Ghetto von Lodz und im KZ Auschwitz. SP-Ausschußvorsitzender Ernst Woller fand das F-Verhalten ‚‚skandalös“; Wiens Kulturstadträtin Ursula Pasterk erinnerte an frühere Veto-Bekundungen der blauen Rathausfraktion: So habe die FPÖ bereits gegen die Bewilligung der Umbaumittel für das Jüdische Museum und gegen die Verleihung der Ehrenbiirgerschaft fiir Simon Wiesenthal gestimmt ... Es handelt sich um die von Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser redigierte, im Wiener Verlag fiir Gesellschaftskritik erscheinende Buchreihe ,, Antifaschistische Literatur und Exilliteratur — Studien und Texte“. In dieser Reihe sind bisher 14 Bände, zuletzt „Orpheus im Exil“ (die erste zusammenhängende Darstellung des österreichischen Musik-Exils) von W. Pass, G. Scheit, W. Svoboda und der Prosaband ,,Romeks Odyssee“ von Ray Eichenbaum erschienen. Eichenbaum ist es, der von seinem Weg durch das Ghetto Lodz und die Konzentrationslager Auschwitz und Mauthausen berichtet. Im Frühjahr 1996 werden Bücher von Alfred Frisch (,Marja“), Bil Spira („Die Legende vom Zeichner“) und das von S. Bolbecher und K. Kaiser zusammengestellte ,, Lexikon der österreichischen Exilliteratur“ herauskommen. In Vorbereitung befinden sich Bücher von Alfredo Bauer, Herbert Exenberger, Berthold Viertel und Stefan Pollatschek. Herausgeber der Buchreihe ist der ‚Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur“, der 1983 aus dem „Arbeitskreis Antifaschistische Literatur“ hervorging, 1983, 1985 und 1989 die Ausstellungen ‚‚Theodor Kramer (1897 - 1958). Dichter im Exil“, „„Kabarett und Satire im Widerstand 1934 — 1945“ und ‚„Viertels Welt. Der Regisseur, Lyriker, Essayist Berthold Viertel“ initiierte. Diese Ausstellungen wurden alle mit äußerst knappen Budgets und sehr viel unengeltlicher Arbeit verwirklicht. Für die Herausgabe der Buchreihe (wozu auch Veranstaltungen zu ihrer Bewerbung wie Buchpräsentationen zu zählen sind) erhielt der Verein erstmals 1992 Subventionen: 50.000,- vom Bundeskanzleramt und 50.000,- von der Stadt Wien — Kulturabteilung. 1993 kamen 50.000,- vom Bundeskanzleramt und 100.000,- von der Stadt Wien, 1994 100.000,- vom Bundesministerium für Unterricht, Sport und Kunst und 100.000,- von der Stadt Wien. 1995 kürzte die Stadt Wien ihre Zuwendung auf 60.000,-, während das nunmehrige Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst bei 100.000,- blieb. Die Tätigkeit des Vereins als Herausgeber der Buchreihe wurde also in den ersten vier Jahren 1988-91 überhaupt nicht subventioniert, und die Förderung unterlag auch in den folgenden Jahren erheblichen Schwankungen. Vier Jahre haben S. Bolbecher und K. Kaiser die Buchreihe daher völlig unentgeltlich redigiert. Da sie beide ziemlich viel zu tun haben, zählt die Pflege von Kontakten zu potentiellen Geldgebern seit jeher nicht zu ihren Stärken. Daß sie für die Herausgabe und die Redaktion der Buchreihe nie die geringste öffentliche Anerkennung erfahren haben, versteht sich fast von selbst. Im Zusammenhang mit der Präsentation Österreichs bei der Frankfurter Buchmesse 1995 wurde viel darüber geschrieben, wie sehr in Österreich doch alles durch die öffentliche Hand gefördert werde: Für jedes Buch erhalte man problemlos Druckkostenzuschüsse, und die Verlage seien auch noch durch eine eigene Verlagsförderung abgesichert. Abgesehen davon, daß auch in der BRD sehr viele (unter ihnen fast alle wissenschaftlichen) Bücher nicht ohne diverse Förderungen erscheinen können und daß das von Kritikern des österreichischen ‘Subventionsunwesens’ Antifaschistische Literatur und Exilliteratur - Studien und Texte Eine Buchreihe Mit ganz wenigen Ausnahmen sind in dieser Buchreihe bisher nur absolute Erstveröffentlichungen erschienen. Alle Bücher sind mit einem Nachwort versehen, das über Leben und Werk des Autors informiert: gilt es doch, die Konturen von oft gänzlich vergessenen oder unbekannten Autorinnen und Autoren wieder sichtbar zu machen. Ziel der Buchreihe war es unter anderem auch, die bequeme Legende zu widerlegen, daß Exilliteratur ein abgeschlossenes Kapitel sei, in dem nichts Neues mehr zu entdecken, nichts Gefährdetes mehr zu retten sei. In der Buchreihe verbinden sich wissenschaftliche Studien zum Exil mit den literarischen Veröffentlichungen - Ziel war und istes, ein Spannungsfeld, in dem Exilliteratur rezipiert werden kann, aufzubauen. Die literarischen Autorinnen und Autoren der Reihe sind zum einen Teil Exilierte, zum anderen Teil Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungen in den Kontentrationslagern. 1 Gerhard Scheit: Theater und revolutionärer Humanismus. Eine Studie zu Jura Soyfer. Mit einem Nachwort von Primus-Heinz Kucher. Wien 1988. 169 S., öS 198.-. 2 Berthold Viertel: Die Überwindung des Übermenschen. Exilschriften. Hg. von Konstantin Kaiser und Peter Roessler. Mit Glossar, Nachwort und Personenregister. Wien 1989, 416 S., 68 348,.. 3 Frederick Brainin: Das siebte Wien. Gedichte. Mit einem Nachwort von Jörg Thunecke. Wien 1990. 149 S., 6S 198.-. 4 Berthold Viertel: Kindheit eines Cherub. Autobiographische Fragmente. Hg. von Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser. Mit Glossar, Nachwort und Personenregister. Wien 1991. 372 S., 68 348,-. IRONEN!