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Felix Kreissler Österreichische Identitätsfragen: Geschichte, Politik und Kultur Statement bei den Salzburger Humanismusgesprächen, 16./17. Oktober 1995 (veranstaltet vom Landesstudio Salzburg des Österreichischen Rundfunks) Glauben Sie bitte nicht, daß ich Ihnen in knappen zehn Minuten nun eine genau ausgefeilte Übersicht zu liefern imstande bin, mit Definitionen, Unterlagen und wissenschaftlichen Beweisführungen. Es werden nur pinselstrichartige Punktationen sein, gerade genug, um Anfragen, Diskussionen und Polemiken zu provozieren, vorausgesetzt, daß diese überhaupt geeignet sind, Ihr Interesse zu erwecken. Vielleicht werden dies meine Kronzeugen eher besorgen als ich selbst. Denn Kronzeugen gibt es in großer Anzahl für meine Verteidigung und Illustration österreichischer Eigenart auf den in der Überschrift angegebenen Ebenen: der Geschichte, der Politik und der Kultur. Zum historischen und definitorischen Hintergrund ist mein erster Kronzeuge Elias Caneiti, der österreichische Nobelpreisträger, dem diese Bezeichnung wegen seines Geburtsortes Rustschuk (im heutigen Bulgarien) so gerne und ironisch bestritten wird. Die Frage ,, Wer ein Österreicher ist“ erinnert mich an den Ausspruch Luegers ‚‚Wer a Jud’ ist bestimm’ i“. Denn in Wirklichkeit muß es jedem — vor allem jedem kulturell schöpferischen Menschen - selbst überlassen bleiben, zu welchem Volk, zu welcher Nation er sich zugehörig fühlt; und Canetti hat diese Entscheidung schon sehr früh getroffen, sowohl in seiner Wiener Zeit als auch später im Exil. Als 1941 im englischen Exil das Free Austrian Movement gegründet wurde, war Elias Canetti einer der ersten, der nicht nur beitrat, sondern auch öffentlich die Notwendigkeit dieser Bewegung begründete und im Zeitspiegel schrieb: ‚Es war höchste Zeit, sich unter österreichischen Gruppen zu einigen ... Man kann sich keinen einzigen Österreicher vorstellen, der es ablehnen würde (die Resolution) mit all seinen Kräften zu unterstützen ...“ In der Folge nahm Canetti an vorderster Stelle an den kulturellen Tätigkeiten des F.A.M. teil. Als er den Nobelpreis erhielt, wies er unverblümt auf seine österreichisch-wienerische Filiation hin. Zur österreichischen Nation hat Canetti den folgenden Beitrag geleistet. Er schrieb in seinem Werk ,,Masse und Macht": „‚Die Versuche, den Nationen auf den Grund zu kommen, haben meist an einem wesentlichen Fehler gekrankt. Man wollte Definitionen für das Nationale schlechthin: eine Nation, sagte man, ist dies, oder eine Nation ist jenes. Man lebte im Glauben, daß es nur darauf ankäme, die richtige Definition zu finden. Wäre sie einmal da, so ließe sie sich gleichmäßig auf alle Nationen anwenden. Man nahm die Sprache oder das Territorium; die geschriebene Literatur; die Geschichte; die Regierung; das sogenannte Nationalgefühl; und immer wieder waren dann die Ausnahmen wichtiger als die Regel. Immer wieder stellte sich heraus, daß man etwas Lebendes am losen Zipfel eines zufälligen Gewandes gepackt hatte; es entwand sich leicht, und man stand mit leeren Händen da.“ Ich kann es mir nicht versagen, daran zu erinnern, daß ich mich vor vielen Jahren gegen das Korsett einer rigiden Definition ausgesprochen habe, ja daß ich sogar eine Art Anti-Definition ausgearbeitet habe, die mehr über die österreichische Nation bzw. über die Bedingungen ihrer Existenz aussagt als tiefschürfende Reflexionen. Ich behaupte noch immer folgendes: Es gibt keine österreichische Nation, die Teil irgend einer „‚Mutternation“, sei es die deutsche oder eine andere, wäre. Es gibt keine österreichische Nation ohne Demokratie, ohne eigene Kultur, ohne wirtschaftliche Einheit. Es gibt keine österreichische Nation ohne völlige Gleichheit aller ihrer Staatsbürger, insbesondere der ethnischen Minderheiten, die alle Möglichkeiten ihrer Entfaltung bis zur völligen Integrierung haben müssen. Es gibt keine österreichische Nation, in der nicht Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus, falsches Geschichtsbewußtsein ständig bekämpft werden, bis zu deren vollkommener Ausrottung. Es gibt keine österreichische Nation ohne staatliche Unabhängigkeit und Souveränität, ohne fortdauernde aktive Neutralität. Und hier bin ich nun zu einem sehr umstrittenen Punkt gelangt: Ernst Eisenmayer Gedichte/Aphorismen Lang-weilig Solange man es nur den Opfern überläßt gegen die Verfolgung zu protestieren hört die Verfolgung nie auf. Herbst-Zeitlos Schnell, schnell die sich verfärbenden Blätter grün anstreichen damit man nicht merkt wie der Winter naht. Im Winter, wenn Frostblumen das Fenster verzaubern und undurchsichtig machen, kann man mit warmem Hauch eine durchsichtige Lücke eratmen. Für ein paar Sekunden kann man hinaussehen, bis der Frost die Lücke wieder schließt. Das Spiel kann man fortsetzen, solgange man warmen Atem hat. Kunstsinn Zur guten Kunst gehört, daß das Aufregende ermunternd, das Ausgeglichene anregend, das Ruhige aufregend wirkt. Zum zeitbedingt Wesentlichen Est vergeht die Zeit ohne überhaupt die Zeit zu haben sich dazu die Zeit zu nehmen. Ab-Grundproblem Die Kulturkluft zwischen den Verfolgten und den Verfolgern zu überwinden.