OCR
Anmerkungen zu Kerschbaumer: Den Vogel zeigen 1 Gemeint ist die von Erika Weinzierl herausgegeben Zeitschrift ,,zeitgeschichte (Wien), Heft 1/2, Jänner/Februar 1995, mit den Aufsätzen von Wilhelm Svoboda (,,... vorbehaltlos meine Pflicht erfüllt“. Das Internierungslager Glasenbach) und Siegfried Mattl (Vor der IV. Republik. Politische Kultur in Österreich im 20. Jahrhundert). 2 Zitat aus René Marcics Replik auf Peter des Mendelssohns Kritik an Ernst Jüngers ,,Strahlungen": Strahlungen und Gegenstrahlungen. Salzburger Nachrichten, 24.12. 1949, 22. Vgl. dazu auch Nr. 1/1989 von Medien & Zeit. Forum für historische Kommunikationsforschung (Wien). 3 Siehe: Begleitbuch zur Ausstellung 1945 1955 im Salzburger Museum Carolino Augusteum. Salzburg 195, S. 210, Abb. 205 mit der Bildunterschrift: „Demonstration anläßlich des Aufrufs zu Generalstreik durch die KPÖ, Oktober 1950“. Die Abbildung zeigt aber Simon Wiesenthal an der Spitze einer Demonstration gegen die Aufführung des Films ‚Die unsterbliche Geliebte“ von dem ‚Jud Süß"-Regisseur Veit Harlan. Vgl. dazu G. Kerschbaumer/K. Müller: Begnadet für das Schöne. Wien 1992, S. 93, Abb. 8. 4 Benannt nach bayerischen Herzögen aus dem Geschlecht der Agilolfinger: Hugbert (um 725-737); Otilo (Odilo, 737-748), der die Bevölkerung Karantaniens unterwarf; Tassilo (748788), der einen slawischen Aufstandsversuch in Karantanien unterdriickte. Initator dieser erst nach 1955 erfolgten Namensgebungen war Dr. Herbert Klein, der 1933 Herbert von Karajan zur NSDAP warb. Klein war seit 1951 Direktor des Salzburger Landesarchivs. Am 11. November 1938 hielt ,,Pg. Dr. Herbert Klein“ in der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde den Vortrag „Salzburg und das Reich": „.. Damals [in der Zeit der Karolinger] war Salzburg ein Zentrum der deutschen Kolonisation der Slavengebiete des Südostens und stand besonders in der Zeit des ostfränkischen Reiches, dessen Schwergewicht gerade in Bayern lag, im Mittelpunkt der Reichspolitik. [...] Erst in unseren Tagen.ist uns.der Mann erstanden, der, selbst die Verkörperung des höchsten nationalen Idealismus, zugleich mit starker Hand die politischen und historischen Realitäten zu meistern wußte.“ (Wortgleich in: Salzburger Landeszeitung und Salzburger Volksblatt, 12.11. 1938, S.6). Klein interessierte sich vor und nach 1945 ganz besonders fiir die bayrische Kolonisation und deren auch aus den Bekennerschreiben der ,,Bajuwarischen Befreituungsarmee“ bekannte Heerfiihrer. Auf seinen am 30. November 1938 in der ,,Salzburger Landeszeitung. Gaublatt der NSDAP* erschienenen Artikel ,, Die Entjudung Salzburgs vor 430 Jahren“ scheint er nicht mehr zurückgekommen zu sein. 12 wäre es, einen zentralen Platz — sinnigerweise den vor dem Landesgericht — einfach Befreiungsplatz zu taufen und darauf ein Denkmal zu errichten. Das Gescheitere entpuppt sich als eine inmitten Kreisender Autos metallen-feixende Meßstation für Umweltsünden, deren Anblick mir grüne Ängste einflößt. Die Befreiung gibts wirklich nicht, bekenne ich zerknirscht meinem längst verinnerlichten Vogerl-Hinrichter, der mir unausgegorenes Abstraktionsvermögen attestiert: Der Beschluß der Ratsherren habe zugunsten der modernen Gasregistratur fallen müssen, um den schlimmsten Ausstößen zu wehren. Ich fliehe in die Universitätsbibliothek, greife nach dem abgegriffensten Exemplar der zeitgeschichte: Auf dem Cover, dem rechten Rand neben den Titeln Das Internierungslager Glasenbach und Politische Kultur in Österreich! prangt ein händisch oktroyiertes Symbol, das mir blitzschnell in den malträtierten Magen sticht: ein großes J für Jude, der damit an der Grenze ohne weitere Recherche identifiziert werden kann, worauf bekanntlich der Zug in das KZ abgeht. Wer aber die Opfer der politischen Kultur Österreichs sind, wird im gebrandmarkten Exemplar Jahrgang 1995 unmißverständlich demonstriert: Über dem gestrichenen Wort Internierungslager findet sich ebenfalls händisch korrigiert KZ - für Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher, darunter Kommandanten der Vernichtungslager und deutsche Generäle. Deren liebevoll angehäufte Spuren, ohne den mörderischen Background freilich, dürfen Mädchen und Buben in der musealen Glasvitrine begaffen. Derweil imitiere ich die pathetische Bürgermeister-Stimme, die einst im Mai via Sender Rot-Weiß-Rot über die Befreiung spricht: Am morgigen Jahrestag möge jede Salzburgerin und jeder Salzburger des Generals Young, des Kommandanten der Befreiungsarmee gedenken und sich daran erinnern, daß aus allen Kehlen Dankesworte drangen und in allen Familien der Ruf erklang: ‚Endlich wieder frei von der Nazi-Barbarei!“ Nach den verhaliten Worten erlaube ich mir einen Stich in das theatralische Mikroklima des dritten Befreiungsjahres. Nestroys Volksstück Der alte Mann mit der jungen Frau wird vom Landestheater erstmals in der Originalfassung präsentiert — eine einmalige Revolutionsfeier in den Märztagen des Jahres 1948, als verknäueltes Zentenarium und Dezennium. Einst in den Märztagen ist das System, gehaßt und gefürchtet, zusammengebrochen. Doch der Freiheitsrausch von damals ist vorüber, die Reaktion fahndet nach den Revolutionären, den Opfern, gestern wie heute. Der zeitgemäße Nestroy erntet spontanen Szenenapplaus, als Herr Kern, der alte Mann, zu einem politisch Verfolgten auf der Bühne sagt: Aber Herr Frankner, glauben Sie denn, daß ich die Sache nicht ohnedem vom richtigen Standpunkt aus betrachte? Was Sie getan haben, das haben Hunderttausende, das hat —sei’s durch Tat oder Wort oder Gesinnung - fast jeder getan. Wer kann bei der jetzigen Krisis in Europa sagen: Ich war nicht dabei — ? Die Revolution war in der Luft, jeder hat sie eingeatmet und folglich, was er ausg’haucht hat, war wieder Revolution. Da hat der Revolutionär da unten akklamiert, denn er war dabei und hat sich nicht geirrt — wie fast jeder. Doch er hätte in den Kerker sollen. Mir ist zuviel geschehen, lamentiert das alter ego auf den Brettern. Der edle alte Mann beruhigt: Nach Revolutionen kann’s kein ganz richtiges Strafausmaß geben. Dem Gesetz zufolge verdienen so viele Hunderttausende den Tod — natürlich, das geht nicht; also wird halt einer auf lebenslänglich erschossen, der andere auf 15 Jahr eing’sperrt, der auf sechs Wochen, noch ein anderer kriegt a Medaille — und im Grund haben s’ alle das nämliche getan. Der Vorhang fällt unter passender Musikbegleitung. Die passende Theaterkritik, auf politischen Effekt kalkuliert, meistert Viktor Reimann: Es ist zweifellos interessant, daß Stücke, die vor 100 Jahren geschrieben wurden, heute wieder aktuell werden. Dies mag wohl daran liegen, daß nach jedem großen historischen Ereignis eine Unterdrückungswelle durch das Leben der Menschen zieht und politische Märtyrer schafft, die selbst wieder Märtyrer schaffen und so den Fluch der bösen Tat als ehernes geschichtliches Gesetz weiterpflanzen. Am radikalsten erfolgte die Entnazifizierung in der Stadt Salzburg — das dazupassende Übertreibungsmärchen, das sich auf Pagina 322 Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne — Entnazifizierung in Österreich 1945 — 1955 offenbart und unter allen Gläubigen weiterpflanzt, jedoch in Widerspruch steht zur trockenen Retrospektive des Magistrates, untauglich für den Wiederaufbau des politischen Martyriums: /...] Es muß daher, die tabellarische Übersicht ergänzend, vermerkt werden, daß nach dem Stande vom 5. 6. 1948 (Inkrafttreten des Amnestiegesetzes) aus dem Dienst der Gemeinde Salzburg (ohne EWS und Lokalbahn) 67 Belastete und 225 Minderbelastete ausgeschieden worden sind, von denen bisher wieder 101 Personen neuerlich eingestellt