Auch wenn niemand bestreiten kann, daß es in Österreich nach wie vor Antisemitismus
gibt, hat sich sein Erscheinungsbild in den letzten fünfzig Jahren doch gewandelt.
Antisemitische Ausdrucksformen sind schichtspezifisch verschieden. Der Biertisch¬
Antisemitismus in F-nahen Kreisen unterscheidet sich vom religiös geprägten katholi¬
schen Antisemitismus, aber beide Varianten und ihre Spielformen lassen an Drastik
nichts zu wünschen übrig. Offen antisemitisch äußert man sich, wenn man weiß, man
ist unter sich. Der Antisemitismus, der durchaus noch zum guten Ton gehört, äußert
sich subtiler. Unter Gebildeten wird das antisemitische Repertoire nicht mehr ganz so
ungeniert ausgetauscht. Erkennbar bleiben die verdrängten, keineswegs verschwunde¬
nen Vorurteile und Klischees als Zungenschlag. Da taucht bei dem einen die ‚Juden¬
schule“ als Metapher für Disziplinlosigkeit auf, bei dem anderen jüdischer ,,Schacher
und Wucher“ , beim dritten die „jüdische Hast“ , mitunter als sogenannter Ausrutscher,
mitunter augenzwinckernd als Zitate, an denen Betroffene sich nicht stoßen dürften,
denn schließlich seien diese Redewendungen in die allgemeine Idiomatik eingegangen,
wohl ebenso wie das „‚Essen bis zur Vergasung“ und die „‚Selektion von Bewerbern“.
Wer sich dennoch nicht daran gewöhnen kann, wird verständnislos als überempfindlich
abgetan, bei den Juden, heißt es, müsse man da ein bißchen vorsichtig sein, die seien
hypersensibel. Die Rücksichtnahme bleibt punktuell. Den Vorwurf des Antisemitismus
weist jeder Antisemit, der sich nicht selber als solcher deklariert, empört zurück. Mit
welchem Recht bestimmen Antisemiten oder, allgemeiner gesagt, Nicht-Betroffenene,
wie sich Antisemitismus äußert und wo er anfängt? Sollte man diese Begriffsbestim¬
mung nicht den Betroffenen, den Juden überlassen?
Bei den reformierten Antisemiten, d.h. denen, die die nationalsoziälistische Aus¬
grenzung der Juden bis zu deren Vernichtung nicht leugnen, sich sogar „betroffen“
zeigen, wird der alte Antisemitismus von Schuldgefühlen überlagert, auch wenn sie
Schuld von sich weisen und lieber von Scham und Verantwortung reden. Es gibt
stereotype Sprachregelungen, wenn man sich dieser „unbewältigten Vergangenheit“
nähert, denn mit bloßer Hand will man die Sache doch noch nicht anfassen. Das
schlechte Gewissen ist ein retardierender, ein mildernder Faktor des Antisemitismus,
es bremst ihn und zwingt ihn, sich diplomatischer zu äußern. In diesem milderen Licht
sieht man die Juden zunächst als Opfer, und als Opfer kann man sie auch durchaus
sympathisch finden, vorausgesetzt, sie bleiben ihrer Opferrolle treu. Selbstbewußtsein
gehört nicht zur Opferrolle. Von schlechtem Gewissen und Sympathie aus Mitgefühl
kommt man leicht zu einer heutzutage recht verbreiteten Haltung Juden gegenüber —
zum Philosemitismus. Dabei sind die Übergänge vom Antisemitismus zum Philosemi¬
tismus zu einer neutralen vorurteilsfreien Haltung fließend und mitunter schwer abzu¬
grenzen. Der hier angesprochene Philosemitismus ist als solcher an seinem Zungen¬
schlag erkennbar, der alte antisemitische Klischees mit neuen, positiven Vorzeichen
versieht.
Das sollte auch nicht allzusehr verwundern. Schließlich ist Antisemitismus nicht
eine einmalige Entgleisung sondern ein historisch-kulturelles Phänomen, das fest im
kulturellen Bewußtsein der Österreicher verankert ist. Er ist die Nachtseite der soge¬
nannten christlich-abendländischen Kultur und daher nicht so leicht loszuwerden. Es
dürfte nur sehr wenige Nicht-Juden geben, die bei einiger ehrlicher Selbstkritik noch
nie auf antisemitische Reflexe bei sich selber gestoßen sind.
Der Philosemitismus kommt seinen Opfern, den Juden, hemmungslos, respektlos,
penetrant und selbstherrlich entgegen, voll geheuchelter, jedenfalls übertriebener Be¬
wunderung. Gegen Bewunderung wäre nichts einzuwenden, wenn die bewunderten
Eigenschaften nicht gerade diejenigen wären, die die Antisemiten seit Jahrhunderten
den Juden andichten. Ist der Unterschied zwischen dem Vorwurf des ,,Schachers und
Wuchers“ und der Bewunderung für „jüdische Geschäftstüchtigkeit“ so groß? Aber
es handelt sich ja meistens gar nicht um ehrliche Bewunderung sondern um offen
zugegebene „Faszination“. Juden faszinieren ihre philosemitischen VerehrerInnen.
Aber Faszination setzt weder Vertrautheit noch das Bedürfnis nach Vertrautheit voraus,
Der Vorstand des Londoner Institute of
Germanic Studies hat am 8. November
1995 die Gründung eines Centre for Ger¬
man and Austrian Exile Studies beschlos¬
sen. In ihm vereinigen sich nun die Lon¬
don Research Group for German Exile
Studies und das Research Centre for Ger¬
mans and Austrians in Exile in Great Bri¬
tain at the University of Aberdeen. (Mit
letzterem zusammen hat die Theodor Kra¬
mer Gesellschaft 1995 Zwischenwelt 5.
Literatur und Kultur des Exils in Großbri¬
tannien herausgebracht.) Erster Präsident
ist J.M. Ritchie, dem Komitee gehören
außerdem Charmian Brinson, Richard
Dove, Marian Malet und Jennifer Taylor
an. Ehrenamtlicher Sekretär ist A.B.J.
Grenville. Vom 18.-20. September 1996
soll eine erste Konferenz des neugegrün¬
deten Zentrums stattfinden. 1996 wird als
erste eigene Publikation des Zentrums der
Symposiumsband „England? Aber wo
liegt es?“ erscheinen.
Anfragen an: Centre for German and
Austrian Exile Studies, Institute of Germa¬
nic Studies, University of London, 29
Russell Square, London WCIB SDP. Fax:
0171-4363497.