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Hanna Blitzer EUROPA, deine Schönheit tut weh wie die der Geliebten, die einen grausam verraten, eine Stimme klagt über deinen herrlichen Wäldern, taufrischen Wiesen, türkisfarbenen Seen, alle Züge fahren nach Auschwitz, Europa, Messer im Herzen eines Liebenden. Entnommen aus Hanna Blitzers Gedichtband ‚Noch ein Akkord“, Göttingen 1987. Symposium „Deutschsprachige Exillyrik“ in London In London findet vom 5.-7. Juni 1996 erstmals in der Geschichte der germanistischen Exilliteraturforschung ein Symposium zur Exillyrik statt. Referenten werden sein: Axel Goodbody (Landschaften in der Lyrik des Exils und der Inneren Emigration), Hemut Koopmann (über Bertolt Brecht), Klaus Schuhmann (Umrisse einer Poetik der Exillyrik B. Brechts), Frithjof Trapp (Modernität und Zeitgerechtheit in der Exillyrik B.B.s und Walter Mehrings), Albrecht Betz (Hanns Eislers Vertonungen von Exillyrik), Guy Stern (über Max Colpet), Helmut Pfanner (Weinheber und Waldinger. Österreichische Lyriker im Licht und Schatten des Nationalsozialismus), Kerstin Schoor (Entwicklungen jüdischer Lyrik in Deutschland nach 1938), Donald Daviau (Raoul Auernheimers Dichtung im amerikanischen Exil), Claudia Sajak (Friedrich Torbergs ,,Hebriische Melodien“), Johann Holzner (Berthold Viertels „Kalifornien“-Gedichte), Wulf Koepke (über Erich Arendt und Stephan Hermlin), Friedrich Voit (über Karl Wolfskehl), Helmut Müssener (über Nelly Sachs), Andrea Reiter (über Hans Sahls Lyrik), Sonja Hilzinger (über Rose Ausländer), Manfred Durzak (Sprachnot und Sprachkrise im Exilgedicht), Konstantin Kaiser (über Enge und Weite im Gedicht des Exils), Volker Kaukoreit (Erich Fried), Klaus Völker (Max HerrmannNeisse), Deborah Vietor-Engländer (Alfred Kerr), J.M. Ritchie (London-Gedichte von Exillyrikern in Großbritannien), Norbert Oellers (über Else Lasker-Schüler), Wolfgang Emmerich (Exillyrik nach 1945). Das Symposium findet im Austrian Institute, Goethe Institute und Institute for Germanic Studies statt. Anfragen an: Prof. Jörg Thunecke, Department of Modern Languages, The Nottingham Trent University, Clifton Lane, Nottingham NG11 8NS, GB. Fax: +115 948 6668. 18 sie ist geprägt von Berührungsangst. Das Fremde, Exotische fasziniert, und was fasziniert ist noch lange nicht sympathisch sondern eher gefährlich, fremdartig, jedenfalls unzugehörig. Dem Faszinosum gegenüber ist Vorsicht geboten, im besten Fall Neugier, im schlimmsten Fall Abscheu. Aber entspannen wird man sich erst, wenn man unter sich ist. In jedem Fall bleiben die so bewunderten Juden draußen vor der Tür, sie bleiben Fremde, auch wenn sie seit Generationen Staatsbürger sind. Nicht zufällig richten sich gutgemeinte Demonstrationen und Solidaritätskundgebungen stets gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Keine/r hat noch verstehen wollen, daß diese griffige Begriffsbündelung Juden ganz selbstverständlich zu Fremden erklärt. Mitunter wird die Aufzählung um Behinderte, Roma und Obdachlose erweitert. Damit wird gutgemeinter Protest gegen Ausgrenzung selber zur Ausgrenzungsstrategie. Die spezifischen Elemente, die den Antisemitismus von anderen Ressentiments unterscheiden, sind sein Fortbestand selbst ohne die Existenz von Juden und eine geradezu groteske Passion, eine vielschichtige Leidenschaft gemischt aus Angst, Anziehung, Abscheu, Haß und Begehren. Die Feindschaft gegen Ausländer ist leidenschaftsloser, pragmatischer. Antisemitismus ist mit mehr ambivalenter Energie ausgestattet als andere Ressentiments. Nichtsdestoweniger ist er ein Ressentiment, wandlungsfähig und potentiell jederzeit gefährlich. Philosemitismus schützt nicht vor seiner Bedrohlichkeit, er kann jederzeit in sein Gegenteil umschlagen, denn sein Gegenteil ist nur seine verborgene Seite. Wenn die Herde zusammenrückt, kann sie das Fremde, und sei es noch so faszinierend, nicht brauchen. Ein ganz anderes Phänomen, das sich aus anderen Wurzeln speist und unter ganz anderen Bedingungen existiert, ist die Frauenfeindlichkeit. Eine Gleichsetzung scheint mir unzulässig, ein Vergleich problematisch. Das Bild der Frau, wie es sich im Nationalsozialismus zuspitzte, ist zwar ebenfalls aus der christlich-abendländischen Tradition gewachsen und stark vom religiösen Frauenbild geprägt. Die christliche, vor allem die katholische Kirche war es ja, die der Polarisierung in die gute und die dämonisierte Frau Vorschub leistete. Im Unterschied zu den Juden wurde jedoch die Frau nie als solche radikal aus jeder gesellschaftlichen Zugehötigkeit ausgegerenzt. Sie wurde allerdings funktionalisiert, ihr Bewegungs- und Entfaltungsraum wurde drastisch eingegrenzt. Aber es gab immer Frauen, und gar nicht wenige, die diese Einschränkung, diese Knebelung nicht als Ausgrenzung empfanden. Es sind nicht bloß die Manner — und das gilt auch fiir ZeitgenossInnen — die das reaktionär-konservative Frauenbild des Nationalsozialismus als zumutbar empfinden. Zudem besteht ein nicht zu übersehender Unterschied zwischen der Verweigerung des Rechtes auf Leben und der Verweigerung des Rechtes auf Selbstentfaltung außerhalb der Konventionen. Die Spaltung in die gute, deutsche Frau und die dämonische, entartete Frau ist ebenfalls keine gute Erfindung der Nationalsozialisten. Sie wurde in der bürgerlichen Kultur, vor allem der Kunst des 19. Jahrhunderts vorbereitete. Die gefährliche, dämonische, männermordende Frau von Salome (Jüdin) bis Judith (ebenfalls Jüdin) war ein Archetyp in der Kunst und Literatur des 19. Jahrhunderts. Im Nationalsozialismus wurde die ‚‚gute‘“ Frau domestiziert, entsexualisiert und für den Führerstaat durch Gleichsetzung funktionalisiert; für die gefährlich selbsibestimmte Frau gab es im nationalsozialistischen Weltbild keinen Platz mehr, sie wurde ausgerottet, als Individuum und als Typus. Sexualität hatte nur im Zusammenhang mit der Reproduktionsfähigkeit Existenzberechtigung, alle anderen Fähigkeiten wurden der vordringlichen Funktion als Dienerin und Gebärerin untergeordnet. Frauenfeindlich ja, aber nicht tödlich. Die kulturell gezüchteten Haßgefühle auf die Frau wurden auf den Prototyp der „Jüdischen Frau“ übertragen. Sie war die Hexe, das Flintenweib, dämonisch, gefährlich, sexuell verschlingend, faszinierend und erschreckend, Sirene und Medusa. Es fiel ihr die klassische Sündenbockfunktion zu, alles das zu repräsentieren, was die Männergesellschaft von jeher in der Frau gefürchtet hat, alles Fremde, alles Nicht-Domestizierbare. Sie diente der Polarisierung, mit deren Hilfe die gute, „‚deutsche“ Frau zum Idealbild verklärt werden konnte. Aber die Angst und die perverse Faszination, die sich um die imaginierte Sexualität ausgegrenzter Gruppen rankt, ist nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt. Die Jüdin und die Zigeunerin in Europa, die Farbige in den USA sind Beispiele für sexuelle Projektionen auf Minderheiten, die Machtphantasien und Kastrationsängste bündeln. Auch wenn es um die „schöne Jüdin‘“ geht, sind sich Antisemiten und Philosemiten einig.