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ich die schottischen und walisischen Berge sehen werde, aber da habe ich den Reiz der englischen Landschaft längst zu schätzen gelernt. Ich lerne und lerne, beginne das Fremde zu verstehen, anfängliche Kühle zu schätzen, wenn sie sich schließlich in ernste Freundschaft wandelt, lerne die Klassik und die Moderne kennen, die Literatur, die Musik. Schließlich begegne ich anderen jungen Österreichern, verjagt und entwurzelt wie ich. Uns verbinden die gleichen Gefühle: die Angst um die, die zurückbleiben mußten, und die Sehnsucht, in das Land unserer Geburt zurückzukehren. Wir schließen uns zusammen, finden langsam den verlorenen Halt wieder. Wir wollen unseren Gastgebern unser Land - für sie ja Feindesland — näherbringen mit seiner Musik und seiner Literatur. Und ihnen zeigen, daß wir überzeugt auf ihrer Seite stehen. Wenn wir Öffentlich auftreten, tragen wir Dirndl und Lederhosen... Wir hatten sie alle in unserem Gepäck mitgebracht. Erst viel später, als wir wieder zurückgekehrt waren, verstanden wir, wie diese Tracht, diese für uns österreichischen Symbole, von den Nazis mißbraucht worden waren. Tracht, Steirerhut, Gamsbart und weiße Stutzen, so eng mit dem Begriff Heimatkunst verbunden, führten zur Idyllisierung des Landlebens, zeigten sich für Ideologisierung so anfällig, daß hier die Nazi-Blut-und-Boden-Dichtung anschließen konnte. Mich vorwärtstastend hatte ich eine Wahlheimat gefunden. Wahlheimat? Auch dieses Wort ist falsch. Ich konnte ja gar nicht wählen. England hat mir ein neues Leben geschenkt, so ist es zu meiner Heimat geworden. Es hat mir gezeigt, was Toleranz und Menschenwürde sind. Während englische Städte von deutschen Bombern zerstört wurden, habe ich mich im Einklang gefunden mit dem Mut und der Würde der Menschen meines Gastlandes. Bertolt Brecht: Folgend den Bomberschwärmen komm ich nach Haus. Wo denn liegt sie? Wo die ungeheuren Gebirge von Rauch stehen. Das in den Feuern dort ist sie, die Vaterstadt. Der Kriegsalptraum ist zu Ende. Immerfort hatten wir es als unsere politische Verpflichtung empfunden, in unser Geburtsland zurückzukehren. Wir wollten dabei sein, wenn aus Tod und Zerstörung ein neues, besseres Land erstünde. Wir erlagen der Illusion, als österreichische Bürger in unserem Geburtsland so 20 wie früher mit anderen österreichischen Bürgern leben zu können. Mit dem Arlbergexpress — einziger Zug, der jeden Mittwoch von Paris nach Wien fuhr (wobei man in Paris den Mittwoch abwarten mußte, an dem es noch einen freien Platz gab) — kehre ich zurück. Eine Fahrt wie im Traum und lange Jahre hatte ich ja auch davon geträumt. Im Morgengrauen überschreiten wir die österreichische Grenze. Das Land zeigt sich im Frühnebel, gespenstisch fast, mit seinen riesigen felsigen Bergen, so fremd und ungewohnt, fast bedrohlich nach den rollenden grünen Hügeln Englands. Das wahrhaft Bedrohliche begegnet mir später, als ich erkennen muß, daß das ganze Land in den Gesichtern von Millionen Toten erstarrt ist. Die Fremde ist nicht Heimat geworden, aber die Heimat Fremde. (Alfred Polgar) Niemand hat uns gewollt. Alle hier hatten ihre Pflicht getan, nur wir — pflichtvergessen — hatten uns auf die Seite des Feindes gestellt. Niemand wollte verstehen, daß die Flucht die Rettung vor dem sicheren Tod war, bezeugt von sechs Millionen Toten und dem Tod unserer Eltern. Niemand verstand, daß es nicht Feide waren, die unserem Land Befreiung gebracht, es vor der Auslöschung bewahrt, den Österreichern eine freie Heimat zurückgegeben hatten. Meine Heimat ist es nie wieder geworden. Thomas Bernhard: Kann schon sein, daß Sie sich ein paarmal im Jahr in dieser Stadt wohlfühlen wenn Sie über den Kohlmarkt gehen oder über den Graben oder die Singerstraße hinunter in der Frühlingsluft. Wiewohl ich nun schon wieder seit 50 Jahren hier lebe, haben Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus in mir das Gefühl gelöscht, hierher zu gehören. Mit einem sechsten Sinn höre ich die Untertöne — wie damals, als wir sie noch nicht verstanden. Übertriebene Empfindlichkeit? Das Erlebnis ist noch ganz frisch — vorgestern bin ich von einer Spanienreise zurückgekehrt, die von einem etwa 40jährigen Österreicher geleitet wurde. Von seinen Erläuterungen will ich hier ein paar wiedergeben: Die dreckigen Pollacken ... das Diebsgsindel, die Zigeuner ... Der Jud Columbus ... der österreichische Jud Hundertwasser, dessen Namen man gleich vergessen sollte ... A Wiener Jud war Offizier bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Biirgerkrieg — a zerlumptes Pack ... a jiedischer (so die Aussprache des Herrn) Unterrichtsminister wagt dem Salman Rushdie a Auszeichnung zu geben, der g’hört nur umgebracht, er hat den Islam beleidigt ... Das sind keine Untertöne mehr, das ist mehr als deutlich. Wen kann es wundern, wenn ein bitterer Geschmack zurückbleibt. Wenn ich Heimat denke, dann denke ich England. Wenn ich dort ankomme, bin ich zuhause. Vortrag bei ‚Heimat, schwarzer Vogel flieg“, einer Veranstaltung des Vereins für Kulturwissenschaft und Kulturanalyse, gemeinsam mit der Kulturabteilung der Stadt Wien und Radio Wien, 26.9. 1995, Cafe Bird, Wien VI. Ilse M. Aschner, geboren 1918 in Wien, evangelisch nach den ,,Niirnberger Rassegesetzen“ jüdisch, studierte Germanistik und Kinderpsychologie. 1939 kam sie durch Vermittlung der Quäker als Erzieherin in eine Landpfarre in Yorkshire/England. Ab 1942 lebte sie in Manchester, schloß sich der Jugenorganisation Young Austria an, sang in deren Chor. 1946 kehrte sie nach Wien zurück, wurde Mitglied der Freien Österreichischen Jugend, wollte ihr Studium fortsetzen, wurde aber zur Jugendarbeit nach Salzburg geschickt. Ab 1950 war sie in Linz tätig, dann in Prag, wo ihr Mann Peter Aschner Korrespondent der kommunistischen ,, Volksstimme“ war. Schließlich, wieder in Wien, wurde sie Redakteurin der ‚Stimme der Frau“. 1969 Austritt aus der KPÖ; Mitarbeit im „Neuen Forum“, 1978-88 im Sekretariat der Grazer Autorenversammlung. „Frauen im Hebräerland“ Die Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung und der Else-Lasker-SchülerGesellschaft findet unter dem Titel ,,Frauen im Hebrderland“ (nach einem E. Lasker-Schiiler-Zitat) vom 15.-17. Marz 1996 in Wuppertal statt. Tagungsgebiihr DM 50,- (StudentInnen DM 25,-). Anmeldungen und Anfragen sind zu richten an: Dr. Petra Gallmeister, Neue Friedrichstr.53, D-42105 Wuppertal. Zu Lesungen eingeladen sind u.a. Hanna Blitzer, Ruth Klüger, Lenka Reinerova, Stella Rotenberg, Alice Schwarz-Gardos.