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Fernweh unter Zwang Zur Vertreibung der weiblichen Kunst und Vernunft am Beispiel von sechs ehemaligen Osterreicherinnen Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahr 1938 lebten in Österreich rund 250.000 Juden und Jüdinnen. 65.000 kamen in Konzentrations- und Vernichtungslagern um; über 130.000 konnten der Ermordung noch entkommen: Sie wurden Exilanten. Künstlerinnen, die bei ihrer Arbeit an die Sprache gebunden waren, hatten nur wenig oder gar keine Möglichkeiten, ihre Karriere im Ausland noch nach der Flucht fortzusetzen. Für Malerinnen, Tänzerinnen, Illustratorinnen, Sängerinnen oder Musikerinnen war dagegen ein Neubeginn leichter. Doch auch jene Frauen, die in der Emigration erfolgreich waren, erlebten die Vertreibung als Schock, als großes, oft traumatisches Ereignis in ihrem Leben. In der Ausstellung „Fernweh unter Zwang“ sind wir den Biographien von sechs Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen nachgegangen, die zum Teil noch heute leben und befragt werden konnten: Lily Bader, Käthe Berl, Trudl Dubsky, Hertha Glaz, Annie Lampl und Fini Littlejohn (Rudiger). Wir interessierten uns für ihre Leben vor und nach der Emigration und für ihre Beziehung zu ihrer alten Heimat. Bei jeder der sechs Frauen sind Narben zurückgeblieben; keine hat ihr Leben ohne Brüche fortsetzen können — im Gegenteil: Einige mußten ganz von vorne anfangen. Doch Österreich bedeutete für sie nicht nur Antisemitismusund Vertreibung, es blieb auch jenes Land, dessen Sprache, Kultur und Landschaft sie sich lebenslang verbunden fühlten. Heute sind die sechs Frauen in ihrem Vaterland so gut wie vergessen. Die Tagung „Frauen im Exil“ bot die Möglichkeit, an sie in Gestalt von lebensgroßen Figurinen zu erinnern, sie in die Tagung selbst visuell einzubeziehen. Lily Bader, Käthe Berl, Trudi Dubsky, Hertha Glaz, Annie Lampl und Fini Littlejohn stehen stellvertretend für Tausende andere vertriebene Frauen, die fliehen und in einem fremden Land ein neues Leben beginnen mußten. Nach 1945 kehrten nur ganz wenige der Vertriebenen nach Österreich zurück. Keine der hier vorgestellten Wienerinnen war darunter. Beim Wiederaufbau fehlte der aufrechte Gang dieser Frauen. Dr. Lily Bader (Stern): promovierte Haushaltshilfe Lily Bader wurde 1894 in Wien geboren. Sie stammte aus einer assimilierten jüdischen Familie. Für Lily besonders prägend war ihre starke Mutter. Diese leitete ein Mädchenpensionat und die bekannte „Stern-Schule“,eine damals sehr fortschrittliche Mädchenschule. . Die Schule wurde 1868 gegründet und erhielt 1903 das Offentlichkeitsrecht. Wie aus dem Schulbericht hervorgeht, stammten die Schülerinnen aus sämtlichen Ländern Europas. Absolventinnen des „Stern-Pensionates“ galten als in weiten Teilen Europas als „gute Partie“. Lily Bader absolvierte zuerst eine staatliche Prüfung zur Klavierlehrerin und gehörte dann zu den ersten Studentinnen an der Wiener Universität. Enttäuscht vom Studium der Literaturwissenschaft, wandte sie sich 1914 als eine der ersten Frauen dem Chemiestudium zu, das sie 1919 mit dem Doktorat abschloß. Sie betrachtete es als etwas Selbstverstandliches, in männliche Forschungsbereiche einzudringen. 1918 heiratete sie den Arzt Edwin Bader. Lily Bader arbeitete zwei Jahre als Assistentin in einem chemischen Labor an der Wiener Staatsgewerbeschule, ab 1920 unterstützte sie ihre Mutter in der Schule. Als die Mutter Regine Stern 1935 starb, übernahm Lily Bader offiziell die Schul- und Pensionatsleitung. 1938 konnte die Familie Bader mir ihren beiden Töchtern zuerst nach England und von dort weiter in die USA flüchten. Um das Überleben der Familie zu sichern, mußte die Akademikerin in England zuerst als „Housemaid“ arbeiten. Auch in den USA konnte sie keine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeit finden. In New York fand sie in der Hudson School eine Anstellung als „Governess, Bookkeeper and Piano-Teacher“. Trotz ihres sozialen Abstieges zeigte sie sich den USA für ihre Rettung aioe wıısume sıvo. LOS ANGELES puane vo- 7159 AND BALA SPRINGS OPFOSITE DESERT Iun : Grafik von Fini Littlejohn