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Hertha Glaz: in Wien nicht erwünscht, an der Met in New York gefeiert Hertha Glaz wurde 1910 in Wien geboren. Sie wuchs in einer assimilierten jüdischen Familie auf. Nach der Bürgerschule besuchte sie mit 14 Jahren die Musikakademie, wo sie eine ausgezeichnete Ausbildung in Gesang, Klavier und Sprachen erhielt. Zu ihren Lehrern zählte die bekannte Musikerin Rosa Papier, die noch mit Gustav Mahler gearbeitet hatte. Mit 19 Jahren erhielt Hertha Glaz ihr erstes Engagement in Breslau. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mußte sie Deutschland jedoch verlassen und kehrte nach Wien zurück. Hier wurden ihr nur gelegentlich Jobs angeboten. Aufgrund des österreichischen Antisemitismus war es Juden und Jüdinnen bereits vor 1938 kaum möglich, an der Wiener Staatsoper Karriere zu machen. Dennoch hatte Hertha vor 1938 an keine Auswanderung gedacht. \ 1938 wurde die Sängerin von Otto Klemperer, dem bekannten österreichischen Dirigenten, mit der „Salzburg Opera Guild“ in die USA eingeladen. Als Hitler in Österreich einmarschiert war, verweigerte Hertha Glaz die Rückkehr nach Österreich. Es gelang ihr auch, ihre Eltern in die USA zu bringen. Da sie als Sängerin nicht mit Sprachproblemen zu kämpfen hatte, konnte Hertha Glaz — ganz im Unterschied zu vielen anderen Emigrantinnen-in den Vereinigten Staaten ihre Karriere fortsetzen. 1942 debütierte sie an der Metropolitan Opera in New York, wo sie fünfzehn Jahre lang engagiert war. Hertha Glaz trat mit den meisten bekannten amerikanischen Orchestern auf und machte Tourneen bis nach Australien und Neuseeland. Den Sommer verbrachte Hertha Glaz häufig in New Mexico, wo sie sich zu einer begeisterten Reiterin entwickelte. Diese Leidenschaft hat sie offensichtlich von ihrem Vater geerbt, der für kurze Zeit in einem Zirkus aufgetreten war. 1955 heiratete sie Fritz Redlich, den ebenfalls aus Wien vertriebenen Psychiater und späteren Dekan an der renommierten YALEUniversity. Bis vor kurzem unterrichtete die Sängerin an der University of Southern California. Heute treten ihre Studentinnen und Studenten an der Wiener Staatsoper, in München, Berlin oder in Koblenz auf. Annie Lamp! (geb. Wagner): ein langer, dunkler Weg mit lichtem Ausgang Annie Lampl kam 1917 in Wien zur Welt. Sie wuchs in einer sehr assimilierten jüdischen Familie auf. Ihre Eltern standen der sozialdemokratischen Partei nahe. In Wien besuchte sie das Realgymnasium und absolvierte danach die Handelsakademie. Obwohl sie von einem Psychologie-Studium träumte, fügte sie sich dem Wunsch ihres Vater und arbeitete in seinem Holzgeschäft. Annie Lampl war eine begeisterte Sportlerin und gehörte in Wien zu den besten Schwimmerinnen des jüdischen Sportklubs Hakoah. Gemeinsam mit Judith Deutsch und Ruth Langer gewann sie im Staffelschwimmen die österreichische Jugendmeisterschaft. Erst nach der berüchtigten Reichspogromnacht gelang ihr die Ausreise. Bis heute kann sie die Bilder von den brennenden Synagogen und verfolgten Juden nicht mehr vergessen. In den USA heiratete sie Sepp Lampl, einen bekannten Fechter, den sie bereits in Wien kennengelernt hatte. Annie Lampl arbeitete zuerst für eine Hutfabrik, später entwarf und produzierte sie auch eigene Modelle. Als ihre zwei Söhne die Schule besuchten, konnte Annie endlich ihren Traum verwirklichen und sie begann an der Universität in Los Angeles (UCLA) Psychologie zu studieren. Doch plötzlich erkrankte sie an einer sehr seltenen Augenkrankheit und begann allmählich zu erblinden. Mit viel Ausdauer erlernte sie die Blindenschrift, und mit Hilfe eines Tonbandes — Kassetten gab es in den 60er Jahren noch nicht — gelang es ihr nach zehn Jahren, ihr Studium abzuschließen. Hertha Glaz 23