OCR
Markus Erwin Haider Österreich Symposiumsbericht Zu berichten ist über eine internationale Tagung in Salzburg vom 9. bis 11. November 1995, an der 21 Wissenschaftler aus Österreich, Deutschland, Polen, Großbritannien und den USA teilnahmen. Der Veranstalter, die Theodor Kramer Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Institut für Germanistik der Universität Salzburg, hatte die beiden Germanisten Karl Müller (Salzburg) und Johann Holzner (Innsbruck) mit der wissenschaftlichen Leitung betraut, Karl Müller übernahm auch die Organisation am Tagungsort. Zum Rahmenprogramm der Tagung gehörten eine Rede des Schriftstellers Josef Haslinger im ORF-Landesstudio Salzburg und Lesungen im Literaturhaus Eitzenbergerhof mit Texten ‘Innerer Emigranten’. Der Abend wurde von Valerie LorenzSazbo, Catarina Carsten, Renate Welsh, Siglinde Bolbecher, Johann Holzner und Konstantin Kaiser gestaltet. Das Symposium im Bildungsheim St. Virgil verlief in sachlicher und diskussionsfreudiger Atmosphäre zugleich. Da die MdZ Nr. 2/1995 und eine der nächsten Nummern sich inhaltlich auf den Kontext des Symposiums beziehen und eine Veröffentlichung der Vorträge und Ergebnisse als Zwischenwelt (Jahrbuch der Theodor Kramer Gesellschaft) erfolgen wird, möchte ich mich hier auf einige Anmerkungen beschränken. Ziel der Tagung war es, sich jenem Phänomen zu nähern, das auf der Ebene des Lexikons erst seit den 30er Jahren in Deutschland zur Verfügung stand und das als Bezeichnung zu einem literaturwissenschaftlichen Terminus avancierte: Innere Emigration. Termini pflegen mit Schubladen verbunden zu werden; ein Vorgang, der sich hier jedoch vor allem wegen der facettenreichen Vielfalt des Phänomens verbietet. Eine erste Sichtung für den österreichischen Bereich durchzuführen und daran Perspektiven für weitere Arbeit zu entwickeln, das schienen sich Veranstalter und Organisatoren als Aufgabe gestellt zu haben. Sie wurde zweifelsohne erfüllt, und der Verlauf der Tagung wies darüber hinaus. Dies auch deshalb, weil die thematische Vielfalt der Beiträge nicht auf den Bereich der Literatur begrenzt wurde und somit das Spektrum der Vorträge verschiedene Ebenen des Zugangs eröffnete. So interpretierte in einem anderen historischen Zusammenhang Hans Joachim Müller Alejo Carpentiers Werk als verdeckte Kritik an Fidel Castro. Helga Mitterbauer analysierte die Haltung Alfred Kubins und Andrea Stoll die Folgen und Nachwirkungen des Nationalsozialismus auf der Ebene der Sprache in der Nachkriegsliteratur. Eine unerwartete Facette „Innerer Emigration“ eröffnete Uwe Baur, der die Arbeiten des Germanisten Hugo von Kleinmayr im Kontext der österreichischen Germanistik nach 1938 untersuchte. Ein Vormittag war dem Schwerpunkt Theater gewidmet: Evelyn DeutschSchreiner fragte nach Formen der Systemverweigerung in der Theaterarbeit. Exemplarisch im Hinblick auf die Möglichkeit und Ausformung ‚Innerer Emigration“ untersuchte Gerhard Scheit die Dramaturgie Arnold Bronnens und Peter Roessler die Theaterpublizistik vor und nach 1945 an Oskar Maurus Fontana im Vergleich mit Berthold Viertel und Otto Basil. Eine Reihe von Vorträgen galt einzelnen Autoren oder Texten: Alexander LernetHolenia (Roman Rocek), Alma Johanna Koenigs „Der jugendliche Gott“ (Stefan Kaszynski), Albert Paris Giiterslohs ,,Sonne und Mond“ (Jörg Thunecke), Erika Mitterers Verhältnis zum historischen Roman (Herwig Gottwald) und Ödön von Horväths Spätwerk (Klaus Siebenhaar). Einen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz, Innere Emigration auch als Ausdrucksform jener in Deutschland ‚‚neunzehnhunderttraurig‘“ geborenen Generation zu erklären, verfolgte Hubert Orlowski. Welches Verständnis auch immer zugrundegelegt werden mag, der Begriff erwies sich in drei Bereichen ambivalent und es scheint gerade die Ambivalenz zu sein, die das konstituierende Element der Kategorie Innere Emigration bildet: 1. Wie läßt sich das Doppelverhalten zwischen äußerer Anpassung einerseits und quasi innerem Widerstand andererseits beschreiben? Eine angemessene Beurteilung ergibt sich aus der Analyse der je konkreten Situation im Kontext der Beteiligten. Der Satz scheint aus Sicht der sogenannten Nachgeborenen selbstverständlich und banal. Bereits das einleitende Referat des Historikers Oliver Rathkolb wies jedoch auf diese Problematik voraus, insofern die Spanne zwischen Kollaboration und Resistenz zu Differenzierungen ohne Ende führt. In den Diskussionen der Tagung zeigte sich dann aber die unverkennbare und gegenläufige Tendenz, stets dann, wenn Kategorisierungen oder Generalisierungen versucht wurden, die individuelle Betrachtung des Einzelfalles einzufordern. 2. Wie sehen unter Bedingungen, in denen Innere Emigration erzwungen wird, die Produktionsbedingungen der Autoren aus? Jedoch auch Selbstzensur, deren Aspekte Magdalena Michalak-Etzold analysierte, wirkt in ihrer Ambivalenz letztlich herrschaftsstabilisierend. Man steht letztlich vor einem Kontinuum von Verweigerung, je nach Möglichkeit und Vermögen des einzelnen, das sich nicht exakt gliedern und voneinander abgrenzen läßt und vom offenen Widerstand bis eben zur Inneren Emigration reicht. Gerhard Renner analysierte das Selbstverständnis der Schriftsteller, und Murray G. Halls Referat mit dem Titel „Ich bitte um Nachsicht ...“ zeigte Aspekte privater oder halböffentlicher Formen /nnerer Emigration auf. Der auf der Tagung öfter zitierte Reinhold Grimm forderte im ‚„‚Dickicht der inneren Emigration“ eine ,,Gegenhaltung, die erkennbar war‘ ', um den Namen zu verdienen. Ist daher bloßes Verstummen, die Produktion für die eigene Schublade, der nicht-affirmative politisch unverdächtige Text kein Zeugnis Innerer Emigration? Fragen über Fragen. Zudem: Es scheint fast unvermeidlich, sich bereits im Vorfeld auf dem schwierigen Terrain moralischer Wertung, wenn nicht Bewertung zu bewegen, selbst dann, wenn man abseits möglicher Entrüstung um bloßes Verstehen sich bemüht. 3. Der letzte große Problembereich betrifft die oftmals ambivalente Rezeption gleichsam chiffrierter Texte. Der sich einer eindeutigen ideologischen Präzisierung entziehende Wirkungsaspekt wäre hier stärker zu untersuchen. Herwig Gottwald brachte dafür ein exemplarisches Beispiel: Der Roman ,, Der Fiirst der Welt‘ von Erika Mitterer, einer Autorin, die zweifelsohne der Inneren Emigration zuzurechnen ist, war in eine nationalsozialistische Biicherempfehlungsliste aufgenommen worden. Eben dieses Buch aus dem Bestand der KZ-Biicherei des Lagers Dachau konnte gänzlich anders rezipiert, hier wohl besser: dechiffriert werden, und den Häftlingen „Hoffnung vermitteln“, wie der als 25