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stand eher positiv. Das Kloster im Wald
war für sie plötzlich zu einer Insel gewor¬
den, in der sie die schlimme Zeit überste¬
hen konnten, herausgehoben aus dem Un¬
bill und den Querelen des Alltags.

Ich konnte das nicht so sehen. Gefangen¬
schaft war Gefangenschaft. Und ich fühlte
mich beengt, eingepfercht unter all den
andern. Der Komplex war groß. Er hatte
neben dem Haupttrakt noch zwei Seiten¬
trakte. Es gab fünf Höfe, den Kreuzgang,
den Kapitelsaal, viele Stiegen, Treppen,
die zu breiten und langen Gängen führten,
und viele Zimmer und Säle. Dennoch lie¬
fen die Leute bald wie Ameisen durchein¬
ander, sinnlos, kopflos, wie mir schien.
Elvira ließ ihre Buben nicht mehr aus den
Augen. Einer Glucke gleich lief sie hinter
ihnen her und überforderte sie mit ihrer
miitterlichen Liebe.

Erich Salzer, der alte Buchhändler aus
Dessau, war völlig verstört. Er fand sein
Zimmer nicht mehr und irrte zitternd vor
Aufregung durch das ganze Haus. Als man
ihn entdeckte, saß er zusammengesunken
in einem Winkel, und der Pater Gastmei¬
ster bat mich, dem Mann etwas an die Hand
zu gehen. Er ist Jude, sagte der Pater leise
und nun voll Angst wegen Draguschas
Hiersein.

Frau Siebenreich, die Witwe des Generals
Siebenreich, die Exzellenz genannt wurde,
hatte sich am Tag vor Draguschas Kom¬
men im Kloster eingefunden. Sie war in
Begleitung Konrad von Rosens, einem
Gutsbesitzer aus Germans.

Zufällig hatte ich ihre Ankunft gesehen
und mich über die vornehme Kutsche und
das noble Zaumzeug, mit dem die Braunen
angeschirrt waren, gewundert. Doch mehr
noch über das ungleiche Paar.

Der Mann, der die Zügel hielt, war groß
und kräftig, ungefähr 50 Jahre alt. Die
Dame allerdings, die aus dem Wagen stieg,
schien mir einer Gestalt aus dem vorigen
Jahrhundert nicht unähnlich.

In schwarzem Samtkostüm, Handschuhe
an den Händen und einem Lorgnon, das ihr
vor der Brust baumelte. Zuerst glaubte ich,
sie sei von Rosens Mutter, was sich aber
als Irrtum herausstellte.

Die beiden waren zu einer geschäftlichen
Besprechung ins Stift gekommen, erfuhren
aber zu ihrem Ärger, daß der Pater Wald¬
meister, mit dem sie sich verabredet hatten,
zu einer unaufschiebbaren Konferenz in
die Kreisstadt gefahren war und erst am
nächsten Tag zurückerwartet wurde.

Da die Straßen holprig und unsicher wa¬
ren, und man der alten Dame den Weg nach
Hause in der Kutsche nicht gleich wieder
zumuten mochte, sprach von Rosen beim

28.

Prälat vor. Er bat um ein Quartier für Ex¬
zellenz Siebenreich und für sich. Die eine
Nacht wollten sie hier auf des Paters Kom¬
men warten. Doch auch ihnen war die
Rückkehr am nächsten Tag nicht mehr
möglich.

Mitgefangen, mitgehangen, brummte von
Rosen. Der Gutsbesitzer war nicht aus der
Ruhe zu bringen. Er bewegte sich gleich¬
gültig, lässig, als wäre das Klosterleben
schon immer seine Domäne gewesen.
Exzellenz Siebenreich allerdings machte
nicht nur den Pater Gastmeister ganz kon¬
fus, auch uns gab sie manches zum Auflö¬
sen.

Wenn man sie traf, im Stiegenhaus oder auf
einem der Gänge, kam man nicht leicht los
von ihr. Sie beklagte sich über alles: das
schlechte Bett, das fehlende Badezimmer,
und sie war außer sich, daß sie die Toilette
mit dem Buchhändler teilen sollte.

Die Fliegen, jammerte sie, diese Schwärme
von Fliegen! Nicht eine Stunde könne sie
sich am Nachmittag auf das Bett legen. Sie
summen und brummen, daß man kein
Auge zutun kann.

Am Abend saß ich meistens bei meiner
weinenden Kusine und versuchte, sie zu
beruhigen. Elvira kam fast um vor Angst,
da sie schon längere Zeit keine Nachricht
von ihrem an der Ostfront eingerückten
Mann hatte.

Müßig und träge flossen die Stunden da¬
hin. Die Zeit schien still zu stehen. Womit
ich hier meine Tage verbringen werde?
überlegte ich mir. Ob als Zofe bei Exzel¬
lenz Siebenreich, Betreuerin des Buch¬
händlers aus Dessau oder als Kindermäd¬
chen bei Elvira?

Ich mußte mir jedoch nicht lang den Kopf
zerbrechen. Draguscha hatte mich bald in
Beschlag genommen.

Was tun Sie eigentlich hier? fragte er mich.
Sie sollten doch im Kriegseinsatz sein, eine
junge Person wie Sie!

In einer Fabrik oder als Flakhelferin Dienst
tun! Antworten Sie, oder sind Sie stumm?
fuhr er mich an. Dabei spielte er mit seiner
Maschinenpistole, daß mir ganz mulmig
wurde.

Ich habe eine Woche Urlaub, sagte ich,
nachdem ich mich etwas gefaßt hatte.
Urlaub? Wovon? schnarrte er.

Von meinem Studium an der Universität.
Und im Moment mache ich mich in der
Küche nützlich. Das war nicht einmal ge¬
logen!

Schwester Ermintrudis war froh über jede
Hilfe, und zum Gemüseputzen und Kartof¬
felschälen reichten meine Kenntnisse.
Studieren können Sie später, wenn der
Krieg vorbei ist. Und Weiber gibt es hier

genug, um in der Küche zu helfen.

Sie werden in meinem Büro arbeiten, sagte
er. Können Sie Schreibmaschine schrei¬
ben? Also, dann morgen um neun Uhr!
Ich war geschockt. Von nun an Tag für Tag
mit diesem Menschen in einem Raum sein
zu müssen, arbeiten unter seiner Oberho¬
heit, gegängelt, bespitzelt, empfand ich als
Bedrohung.

Mir war zum Heulen. Darüber mußte ich
mit dem Prälat sprechen. Da es mir schon
zur Gewohntheit geworden war, eine kurze
Visite beim Abt zu machen, und ich den
Eindruck hatte, daß es dem geistlichen
Herrn nicht unangenehm war, eine Weile
mit mir zu plaudern, ging ich in die Präla¬
tur.

In den Räumen dort fühlte ich mich sicher
und unbelastet. Immer wieder war ich ver¬
zaubert von den braungoldenen Sälen, den
Kunstschätzen, den alten intarsierten M6¬
bel, den kostbaren Bildern an den Wänden,
den Teppichen. Ab und zu wurde ich vom
Prälat noch eigens auf dieses oder jenes
Stück aufmerksam gemacht. Er erzählte
mir auch manches aus dem Klosterleben,
das früher viel strenger gehandhabt wurde
als heute. Und er gestand mir einmal sogar,
daß er nachts manchmal den englischen
Sender aufdrehe. Dieses Bekenntnis wer¬
tete ich als einen Beweis seines uneinge¬
schränkten Vertrauens mir gegenüber und
ich war ein wenig stolz darauf.

Das Abhören eines Feindsenders stand un¬
ter hohen Strafen, es konnte unter Umstän¬
den sogar den Kopf kosten.

Auf meine Frage, Draguschas Order be¬
treffend, meinte der Abt nach kurzem
Nachdenken, es wäre im Augenblick bes¬
ser, den Anordnungen des Majors Folge zu
leisten. Früher oder später wird auch dieser
Spuk vorbei sein. Vorläufig müssen wir
uns in Geduld üben.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als Dra¬
guschas Weisungen auszuführen. So saß
ich täglich Stunde um Stunde dem macht¬
gierigen Menschen gegenüber und tippte
sein Diktat in die Maschine.

Obwohl hauptsächlich Kode verwendet
wurden, so hörte ich doch manches, was
für meine Ohren nicht bestimmt war.
Kein Wort zu irgend jemand, hatte Dragu¬
scha schon am ersten Tag zu mir gesagt.
Was Sie hier hören haben Sie auch wieder
vergessen. Für Hochverrat gibt es keinen
Pardon, dies muß ich wohl nicht eigens
erwähnen. Und er legte seine Pistole osten¬
tativ neben sich auf den Tisch.

Das Fenster stand offen, der Himmel war
wolkenlos. Ein warmer Luftzug wehte zu
mir herein und strich über meine bloßen
Arme. Ich wollte fort, weg aus dem Zim¬