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mer, aus dem Haus. Ich wollte irgendwo anders sein, irgendwo, nur nicht hier. Sie hören mir ja überhaupt nicht zu, bellte Draguscha. Wie hieß der letzte Satz? Da stand von Rosen in der Tür, eine karierte Schirmkappe auf dem Kopf und die kurze Pfeife zwischen den Lippen. Kommen Sie herein, Herr Baron, sagte Draguscha plötzlich freundlich. Rosen war ein geselliger, umgänglicher Mensch. Man sah ihn bald da, bald dort mit den Patres im Gespräch oder mit einem der Küchenmädchen scherzen. Aber mir behagten seine jovialen Umgangsformen nicht. Ich war wütend, wenn er mich, so wir uns irgendwo allein begegneten, an sich zog und mir allerhand dummes Zeug ins Ohr wisperte. Auch befremdete es mich, daß man ihn immer wieder mit Draguscha zusammenstehen sah. Vermutlich gefiel dem Major der sportliche braungebrannte Mann, der keine Furcht vor ihm zeigte, es im Gegenteil riskierte, mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg zu halten. Hin und wieder besuchte Rosen Draguscha im Büro, lümmelte sich in ein Fauteuil, streckte seine Beine aus, und bald waren die beiden in einer lebhaften Debatte. Daß der Gutsbesitzer manchmal zu mir herüberblickte, mich zuweilen auch in das Gespräch einbeziehen wollte, paßte dem Major nicht. Er schickte mich dann aus dem Zimmer, was er auch tat, wenn er mit Gott und der Welt telefonierte. Diese Stipvisiten Rosens waren mir nicht unangenehm, durfte ich doch eine halbe Stunde Pause machen und rasch ein paarmal das Viereck des Kreuzganges ablaufen. Bedrohlich wurde die Situation, als die SS ins Kloster kam. Das sonst so stille Haus wurde plötzlich zum Hexenkessel. Türen wurden laut zugehaut, Glas splitterte, Gebrüll war zu hören und vereinzelt fielen sogar Schüsse. Draguscha verließ das Büro, kam aber bald wieder zurück, hochrot im Gesicht und offenbar in größter Unruhe. Immer wieder nahm er seine Pistole aus dem Halfter, fuchtelte damit herum, visierte ein Ziel an, drückte aber nicht ab. Der Gnom ist zu allem fähig, ging es mir durch den Kopf, und ich fürchtete mich, getraute mich aber nicht wegzulaufen. Erst Stunden später, als Pater Prior uns Geängstigten den Hergang des beklemmenden Vorfalls berichtete, erfuhren wir, was sich zugetragen hatte. An diesem Morgen war ein Trupp SSMänner ins Kloster gekommen, um die Geheimakten abzuholen, die sie vor Wochen in einem Stiftskeller eingelagert hatten. Doch sie fanden die Kiste nicht, obwohl sie alle Verschläge, Schuppen und Vorratskammern absuchten. Es waren brisante Stunden. Sie fluchten und drohten dem Abt und den Mönchen mit dem Kriegsgericht, ja sogar damit, das ganze Haus auszuräuchern. Zuletzt wurde telefoniert und anscheinend wurde der Behälter anderswo aufgefunden und die Lackel zogen ab, ohne jede Entschuldigung. Am Nachmittag fand ich den Prälat völlig erschöpft auf einer der Steinbänke im Kreuzgang sitzen. Sie haben ja gehört, was sich heute hier abgespielt hat, sagte er mit zitternder Stimme. Diese baumlangen, finsteren Kerle mit ihrem rüden Auftreten haben mir Angst gemacht. Er seufzte. Möglicherweise werden sich ähnliche Auftritte wiederholen, da noch einige von ihren Behältern hier aufgestapelt sind. Ja, heute gab es wirklich nur Aufregungen, murmelte der alte Mann. Er bat mich, ihn in die Prälatur zu begleiten. Darf ich Ihnen etwas bringen? frage ich den Abt. Oder soll ich Pater Amseln holen? Nein, es geht schon, meinte er, ich habe mich sehr aufgeregt, es war nicht nur die SS, die das Kloster geradezu auf den Kopf gestellt hat. Und der Abt berichtete mir von dem Buben, den ein Melker im Kuhstall gefunden hatte. Es handelte sich um einen vielleicht fünfzehnjährigen Burschen, der kein Deutsch verstand. Vielleicht ein Pole oder Russe oder das Kind einer Ostarbeiterin. Es muß weggebracht werden, bevor Draguscha von seiner Anwesenheit erfährt. Er würde ihn ganz sicher sofort der Militärpolizei übergeben, und die machen kurzen Prozeß mit angeblichen Spionen. Konrad von Rosen hat sich bereiterklärt, den Flüchtling aus dem Kloster hinauszuschmuggeln und ihn als Arbeiter auf seinem Gut unterzubringen. Rosen hat scheinbar einen guten Draht zur Bezirkshauptmannschaft, überhaupt zu den Nazigrößen. Ja, kann man denn hinaus, worundum alles vermint ist? war meine erstaunte Frage. Der Gutsbesitzer kennt sich aus. Er weiß, wo er fahren darf. Ich möchte mitkommen, rief ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. Der Prälat schüttelte den Kopf. Das ist unmöglich, meinte er. Der Krieg wird in ein paar Tagen zu Ende sein. Nur noch die Heeresgruppe Schörner hält sich hier, aber nicht mehr lang. Was sich dann auf den Straßen abspielen wird, davon machen wir uns keine Vorstellung. Lassen Sie mich fort, bat ich. Mit Rosen werde ich sprechen. Sind Sie vernünftig, Kind! Der Abt strich mir leicht über das Haar. Hier wären Sie nicht gerade geborgen, aber doch irgendwie geschützt. Auf der Straße aber vogelfrei. Bedenken Sie, Europa steht in Flammen. Es herrschen apokalyptische Zustände. Ich weiß, ich weiß. Dennoch, ich glaube es da nicht mehr auszuhalten. Rosen ist verheiratet. Wollen Sie in Germans als Magd arbeiten und von seiner Frau scheel angesehen werden? Besser als hier, in ständiger Lebensgefahr, schluchzte ich. Draguscha wird mich erschießen, er hat es mir schon angedroht. Der Prälat legte begütigend seinen Arm um meine Schulter. Er erschießt Sie nicht, niemanden wird er erschießen. Machen Sie jetzt keinen Fehler, der sich nicht gutmachen läßt. Um Mitternacht fuhr Rosen mit dem Burschen, der im rückwärtigen Teil des Steirerwagens lag, aus dem Stift. Man hatte ihn mit Heu gut verdeckt, die Räder geschmiert und die Hufe des Pferdes mit Fetzen umwickelt. Kein Verdacht durfte aufkommen. Wie gern wäre ich an des Unbekannten Stelle gewesen! Aber die Hiobsbotschaften nahmen kein Ende. Die Ruhrepidemie breitete sich aus und war nicht mehr zu verheimlichen. Fast die Hälfte der Leute, die im Kloster wohnten, waren erkrankt und man mußte damit rechnen, daß die Infektion ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hatte. Pater Amselmus hatte viel zu tun. Der Pater war zwar kein Arzt, doch er verstand sich auf Kräuter. Unser Kurpfuscher, wurde er von seinen Mitbrüdern scherzhaft genannt. Diese Bezeichnung ließ sich der gutmütige Pater gern gefallen. Für Erich Salzer, den Buchhändler aus Dessau, sah es schlecht aus. Ihn hatte die Krankheit heftig gepackt, und da er alt war und von Natur aus schwächlich, befürchtete man das Schlimmste. Ich brachte ihm zu Mittag das Essen und blieb dann auch eine Weile im Krankenzimmer, um ihm das Gefühl zu geben, nicht alleingelassen zu werden. Wahrscheinlich muß: ich sterben, sagte Salzer einmal zu mir. Es macht mir nichts aus. Ich bin alt und das Leben ist vorbei. Meinen Widerspruch nahm er nicht zur Kenntnis. Ich möchte Ihnen ein Andenken geben, sagte er, und kramte aus seiner Nachttischlade ein großes. ledergebundenes Buch und überreichte es mir. Das ist ein Autogrammbuch. Autogramme von Dichtern, Musikern und Künstlern, die nicht mehr da sind. Manche sind gestorben, viele umge29