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kommen oder ausgewandert. Behalten Sie es, es hat einen gewissen Wert. Nein, sagte ich. Sie werden nicht sterben und Sie sollen sich von diesem kostbaren Werk nicht trennen. Salzer nahm das Buch und schrieb mit zittriger Hand auf die erste Seite: „Für Frau Konstanze Lang“. Ich war gerührt. Er darf nicht sterben, sagte ich mir. Er wird nicht sterben! Auch Frau Siebenreich war in keiner guten Verfassung. Sie war zwar nicht gerade krank, aber sie tat Dinge, die an eine Verstörung denken ließen. Erst kürzlich hatte sie der Rosl, einem Küchenmädchen, ihren Brillantring geschenkt und sich dafür ein rotes Kattunkleid eingetauscht. Die Rosl war prompt zum Pater Prior gegangen, hatte ihm von dem Handel erzählt und den Ring dem Pater zur Aufbewahrung übergeben. Nach einiger Zeit vermißte die Witwe Siebenreich den Ring und machte ein großes Geschrei, erzählte allen, daß sie bestohlen worden sei und daß man nicht einmal im Kloster seiner Habe sicher wäre. Daß es Diebe hier gäbe. Und war davon auch nicht abzubringen, als ihr der Pater Prior den Ring aushändigte und sie ihn schon wieder an ihrem Finger hatte. Ich sollte sie beruhigen, meinte Pater Amselmus, mit ihr sprechen, ihr allenfalls etwas vorlesen, damit sie wieder verständig werde. Doch ich kam nicht dazu. Draguschas Arbeitswut steigerte sich von Tag zu Tag. Spuren Sie, schrie er mich an. Wenn wir morgen mit den Ausführungen nicht fertig sind, gibt es ein Spektakel. Die SS muß die Unterlagen haben und die machen kurzen Prozeß. Das wissen Sie so gut wie ich. Er will mich einfach kirre machen, sagte ich zum Prälat, bei dem ich mich ausweinte. Halten Sie durch, meinte der Abt, es kann jetzt nicht mehr lang dauern. Aber diese letzten Tage waren das Inferno. Meine Arbeitszeit bei Draguscha war nicht mehr begrenzt. Überstunden dehnten sich bis in die Nacht aus. Alles mußte rasch gehen. Das Essen wurde hinuntergeschluckt und schon saß ich wieder an der Maschine. Der Major hetzte mich. Und auch im Kloster selbst war eine gewisse Unruhe und Aufregung zu verspüren. Kinder wurden krank, bekamen Masern oder Scharlach, im Stall standen zwei Kühe um. Sonderbare Dinge geschahen. Gegenstände, von denen man genau wußte, wo man sie hingetan hatte, waren nicht mehr auffindbar. Draguscha suchte einen wichtigen Brief und er machte mich verrückt mit seinen Nachforschungen. Er wühlte in den 30 Papieren, kehrte das Unterste zuoberst, fand ihn aber nicht. Er beschuldigte mich, ihn verloren zu haben. Zuletzt kam auch noch die SS ins Kloster. Im Hof wurde ein Autodafé gemacht. Sie verbrannten ihre so gehiiteten Akten, da sie keine Zeit mehr hatten, sie in Sicherheit zu bringen. Eine Rauchsäule stieg in den Himmel, die immer höher wurde, bis sie schließlich den Kirchturm überragte. Wir fürchteten, daß es zu einem Brand kommen könnte, da durch das Funkengestöber bereits überall kleine Brandherde züngelten. Als die SS ihr Werk getan hatte, schwirrte sie davon. Sie hatten es eilig, sie wollten unbedingt in den Westen kommen. Hier standen die Russen sozusagen vor den Toren, während im Westen die Amerikaner bereits Fuß gefaßt hatten. Am 8. Mai wurde das Kriegsende verkündet. Jubel über Jubel! Die Leute lachten und weinten, sie tanzten, umarmten und küßten einander. Für den Abend war ein Festmahl angekündigt, zu dem alle, die hier weilten, eingeladen waren. Tische und Bänke wurden in den Klosterhof gestellt und weiße Laken über die rauhen Holzbretter gespannt. Ein kleines Weinfaß wurde herausgerollt und in der Küche für das Mahl gerüstet. Als wir endlich bei Tisch saßen, kam ein Lastwagen und zehn oder zwölf Rotarmisten sprangen aus dem Fahrzeug. Mit vorgehaltenen Gewehren kamen sie auf uns zu. Der Prälat und der Pater Prior waren aufgestanden und den Soldaten entgegengegangen. Deutsche Soldaten, deutsche Soldaten! riefen sie immer wieder. Hier sind keine deutschen Soldaten, sagte der Abt mit Nachdruck. Sie können das Haus durchsuchen. Das taten sie auch. Vom Boden bis zum Keller, alles wurde umgedreht, die Räume durchwühlt, die Zimmer; in die Ställe gingen sie und in der Kirche sahen sie nach. Mit ihrer Gründlichkeit stellten sie uns auf eine harte Probe. Wir hatten Hunger und wollten essen. Ich zuckte zusammen. Wo war Draguscha? Den ganzen Tag hatte ich ihn nicht gesehen. Sollte er sich im Kloster versteckt haben, dann würden die ihn finden. Aber vielleicht war er mit der Waffen-SS in den Westen geflohen. Als die Russen einsahen, daß sie vergeblich gesucht hatten, trollten sie sich. Sie sprangen in ihren Wagen und fuhren davon. Nun konnte das Fest beginnen. Elvira saß neben mir. Sie sah hübsch aus, war gelöst und glücklich. Sie hatte endlich Nachricht von ihrem Mann bekommen. Erich Salzer, an meiner anderen Seite, durfte zwar von den guten Dingen noch nicht essen, aber er war mit dabei. Es wurde gemunkelt, daß von einer totalen Verminung keine Rede sein könne. Nur zwei Zugangsstraßen hatte die SS unpassierbar gemacht, um ihren Akten und Transaktionen Deckung zu geben und sie zu sichern. In den nächsten Tagen fingen die Evakuierten zu packen an. Alle wollten so schnell als möglich wieder nach Hause. Mit meinem Koffer hatte ich wenig Mühe und es hieß Abschied nehmen. Ich wußte nur nicht, wohin ich gehen sollte, da meine kleine Wohnung in der Stadt während der letzten schlimmen Tage völlig zerstört worden war. Und so viel ich auch herumfragte, es war in der Umgebung kein Zimmerchen zu bekommen, da die kleinste Kammer vollgestopft war mit Flüchtlingen, die in Scharen über die Grenze kamen. Es war Friede! Wohl sah ich den blauen Himmel über mir, die bunten Blumen in den Rabatten, doch die Sorgen überwucherten das Glücksgefühl, das ich eigentlich hätte haben sollen. Im Kreuzgang kam mir der Prälat entgegen. Kronegger, der Apotheker der Kreisstadt hat ein Kabinett für Sie, rief er mir schon von weitem zu. Das war eine gute Nachricht! Schön, daß Sie noch eine Weile in unserer Gegend bleiben werden, sagte er, als wir beieinanderstanden. Da kommen Sie uns wohl auch hin und wieder besuchen? Von Herzen” gern, versicherte ich wahrheitsgemäß. Kronegger wird Sie abholen, denn ohne Fahrzeug kämen Sie unbehindert nicht einmal bis ins nächste Dorf. Überhaupt, wissen Sie schon, daß man Draguscha tot am Teufelsberg aufgefunden hat? Ich wußte es nicht. Aber die schwarze EIster, die die ganze Zeit auf meiner Brust saß, war weggeflogen. Es war Frühling, die Sonne schien, ein leichter Wind bewegte die Zweige des Kirschbaumes. Der Krieg war vorbei. Ich holte tief Luft. Es war wunderbar zu leben!