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Vladimir Vertlib Wo nur mehr das Lachen bleibt Eine Skizze über den österreichisch-israelisch-rumänischen Schriftsteller Josef Norbert Rudel aus Czernowitz und sein neues Buch Ein älterer, untersetzter Mann, freundlich, durchaus gesprächsbereit, sitzt mir in einem Kaffeehaus in St.Gilgen am Wolfgangsee gegenüber. Herr Josef Norbert Rudel, Jahrgang 1921, Altösterreicher, lebt seit über zwanzig Jahren in Israel, wo er eine deutschsprachige Zeitschrift herausgibt und zahlreiche Bücher in deutscher (österreichischer) Sprache geschrieben hat. Seinen Urlaub verbringt er gerne in Österreich. Die Bezeichung Altösterreicher bedarf in seinem Fall einer etwas eingehenderen Erklärung. Herr Rudel istein deutschsprachiger czernowitzer Jude. Zwar gehörte, als Herr Rudel auf die Welt kam, Czernowitz wie die gesamte Bukowina nicht mehr zu Österreich, sondern zum Königreich Rumänien, doch ‚,... die Leute meiner Generation, also die bis etwa 1925 geborenen, sprachen zuhause alle Deutsch“, versichert mir mein Gesprächspartner, „und auch in der Schule haben die Lehrer besser Deutsch gesprochen als Rumänisch, sogar mein Rumänischprofessor hat die rumänische Grammatik auf deutsch erklärt, das war ihm geläufiger.“ Rudel fühlt sich Österreich mehr verbunden als Rumänien, und das, obwohl er nach dem Krieg mehrere Jahrzehnte in Bukarest gelebt hat und unter dem Namen Rado Nor ein erfolgreicher rumänischer Schriftsteller gewesen ist. „Mein erstes Buch in rumänischer Sprache habe ich mit Wörterbuch geschrieben“, erzählt er mir. Das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich ist nicht Rumänisch, sondern Deutsch seine Muttersprache. Dieses erste rumänische Buch erlebte vier Auflagen, etwa eine Million Exemplare wurden verkauft, »». aber nicht weil es so gut, sondern weil es ein Science-Ficton Buch war, das erste dieser Art in Rumänien“. Es folgten 33 weitere Bücher in rumänischer Sprache und später, in Israel, einige wenige auf Deutsch. Josef Norbert Rudel jedenfalls konnte nie so erfolgreich werden wie Rado Nor, sein Alter Ego, das doch nie ganz, wie mir scheint, sein wahres Ich werden konnte. Vielleicht auch ein typisch jüdisches Schicksal?! „Die Alt-Czernowitzer“, erfahre ich, „fühlen sich noch immer als Österreicher. Ich weiß nicht, ob es nicht heute noch Leute gibt, die das Kaiserbild irgendwo im Speisezimmer hängen haben. Diese Leute idealisieren das alte Czernowitz. In Wirklichkeit hat es zwischen den Nationalitäten immer schon Spannungen gegeben, doch im Vergleich zum militanten Antisemitismus und den Nationalitätenkonflikten späterer Jahre erscheint die Zeit vor 1918 beinahe als Idylle.“ Fünfundzwanzig Jahre später war von der Idylle nichts mehr geblieben. Den Un38 terdrückungsmaßnahmen der faschistischen Machthaber in Bukarest folgte 1940 der Anschluß der Region an die Sowjetunion und der rote Terror. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 und dem abermaligen Einmarsch der mit den Deutschen verbündeten rumänischen Truppen begann das eigentliche Finale eines multikulturellen Raumes. Die jüdische Bevölkerung wurde zum größten Teil nach ,,Transnistrien“, in den von Ruminien besetzten Teil der Ukraine, deportiert und dort ermordet. Die deutsche Bevölkerung war zuvor schon „‚heimgeholt“ worden ins „Reich“. In dem nach dem Krieg wieder an die Sowjetunion zurückgefallenen Gebiet waren es diesmal die Rumänen und die noch verbliebenen Deutschen, die vertrieben wurden. Heute lebt in Czernowitz und in der nördlichen Bukowina eine weitgehend autochtone ukrainische Bevölkerung. Das lästige Nationalitätenproblem war mit vereinten Kräften der Anrainerstaaten ein für allemal aus der Welt geschafft worden. Herr Rudel erwähnt die Kriegszeit in der Kurzautobiographie zu seinem jüngst erschienenen Buch „Von Czernowitz bis Tel Aviv gab’s immer was zum Lachen“ folgendermaßen: „Frühe Jugend: Ghetto, verschiedene Arbeitslager und sonstige solche Erholungsstätten“. Mehr möchte er nicht sagen. Kann man es ihm verübeln, daß er über die furchtbaren Erlebnisse jener Zeit nicht sprechen will oder nicht sprechen kann? Lieber erzählt er von den Jahren, die er in Rumänien verbracht hat und von seiner neuen Heimat Israel. In erster Linie aber bleibt er Czernowitz verbunden und natürlich den „‚Czernowitzern“ , jenen wenigen Jüdischen, deutschsprachigen, eigentlich österreichischen Bewohnern der einst östlichsten Metropole der Monarchie, die den Holocaust überlebt haben. Etwa 10.000 von ihnen leben heute noch, die Hälfte davon in Israel, der Rest über die ganze Welt verstreut. Viele sind in Lateinamerika zu finden, haben es zu Geld und Ansehen gebracht. In Caracas, zum Beispiel, gibt es eine große Kolonie von Czernowitzern. Diese in Lateinamerika lebenden Czernowitzer kommen gerne nach Israel und spenden der von Herrn Rudel redigierten Zeitschrift Geld. Und in der Bukowina selbst? In Czernowitz ist es kaum mehr möglich, zehn jüdische Männer, die für ein Gebet in der Synagoge notwendig sind, zusammenzubekommen. Die wenigen altbukowiner Juden wollen mit den neubukowiner Juden, den inzwischen auch nicht mehr zahlreichen, nach dem Krieg aus anderen Teilen der Sowjetunion in die Bukowina Eingewanderten, nichts zu tun haben. Wie sehr doch der Wunsch, andere auszugrenzen, immer noch die Köpfe beherrscht. Wie dem auch sei, Alt- und Neubukowiner verlassen ihre Heimat Richtung Israel, bald werden die letzten Reste jüdischen Lebens in dieser Region der Vergangenheit angehören. Josef N. Rudel war lange Zeit stellvertretender Leiter des rumänischsprachigen Schriftstellerverbandes und Leiter des deutschsprachigen Schriftstellerverbandes in Israel. Zudem ist er Herausgeber einer Zeitschrift für Bukowiner Juden in Israel. „‚Die Stimme“, so heißt das Blatt, überrascht angenehm durch altmodisches Aussehen und eine antiquierte Sprache. Tatsächlich erinnert es ein wenig an Zeitungen der Zwischenkriegszeit, hat nichts Zeitgeistiges an sich, möchte sich nicht anpassen an die moderne Welt und die vermeintlich hohen aber meist oberflächlichen Ansprüche einer „‚intellektuellen“ Leserschaft. „Bukowina als Vergangenheit, Israel als Gegenwart, Zionismus als Hauptbedingung“ ist das Motto dieses Blattes. Es scheint aber gerade ein Stiick Vergangenheit, ein Stiick alter Heimat, die sich in dieser Zeitschrift spiegeln, wenn nicht inhaltlich, so doch zumindest atmosphärisch. Er sei einer der wenigen ,,Bukowiner“, die noch Deutsch schreiben (können), sagt Herr Rudel. Gegen die Bezeichnung ‚‚Exilliterat‘“ verwehrt er sich entschieden: ‚‚Wir sind Rückkehrer, eigentlich Heimkehrer nach Israel.“ Das ist die offizielle israelische Linie. Ganz überzeugt bin ich nicht. Josef N. Rudels Eltern waren schon seit 1944 in Israel, damals noch Palästina, und er wollte zu ihnen. Die Ubersiedlung (Riickwanderung?) schaffte er erst 1972, nach 25 von den rumänischen Behörden abgelehnten Auswanderungsgesuchen. Aber gerade jenes Land, das ihn so lange nicht gehen lassen wollte, hatte schon einmal versucht, ihn „rückzuwandern“, in die Bukowina nämlich, kurz nach dem Krieg. Als Czernowitzer wäre er sowjetischer Staatsbürger, hieß es damals. (Czernowitz gehörte inzwischen zur „befreundeten“ Sowjetunion.) Um nicht wieder in seine ihm fremd gewordene „Heimat“ abgeschoben zu werden, besorgte sich Josef N. Rudel einen falschen Paß. Es handelte sich dabei um einen sogenannten „schwedischen Schutzpaß“ . Solche Pässe stelltein Ungarn gegen Ende des Krieges die schwedische Botschaft für Juden aus, um sie auf diese Weise vor der Ermordung durch deutsche und ungarische Nazis zu retten. Jetzt wies ein solcher Schutzpaß Herrn Rudel als ungarischen Staatsbürger aus, bewahrte ihn vor einer „Rückführung“ in die Sowjetunion und ermöglichte es ihm, in Bukarest zu bleiben. (Rumänien erschien also doch als das kleinere Übel.) Gibt es eine perfektere Persiflage auf unser Jahrhundert? Doch eine Persiflage regt zum Lachen an, womit wir bei jenem kleinen Büchlein wären, das Herr Rudel vor kurzem veröffentlicht und das weiter oben schon erwähnt wurde: „Von Czernowitz bis Tel Aviv gab’s immer was zum Lachen“. Dieser Erzählband besteht aus drei Teilen, von denen der erste das alte Czernowitz zum Thema hat, der zweite Bukarest, der dritte schließlich spielt in Israel oder handelt von Israelis. Das Autobiographische ist unverkennbar, aber nicht ausschließlich. Auf den ersten Blick harmlos und etwas altbacken wirkend, offenbart sich erst bei eingehenderer Reflexion über das Gelesene jene beklemmende Wahrheit, die dieses Buch vermittelt, und man würdigt das Einfühlungsvermögen, das dem Autor erlaubte, mit scharfem Witz, unsentimental, aber keineswegs pietätlos Alltagsgeschichten aus einer vernichteten Welt zu erzählen. Im Vorwort zum Buch ist von der ,,Quasselstimme“ die Rede, ,,die die alltiglichen Ereignisse aufbewahrt ... mit ihrer oft