unfraglichen Komik, die doch auch soviel Tra¬
gik überspielt...‘“ Besser kann man es wohl
nicht umschreiben. Das Lachen über die netten
Witzchen und Anekdoten bleibt einem jeden¬
falls bald im Hals stecken.
Das ‚gute, alte Czernowitz“ (das, wie man
erfährt, gar nicht so gut war, während die be¬
schriebene Zeit gar nicht so alt ist, weil noch
nicht allzu lange her) lebt wieder auf, ,,mit
seinem schlanken Rathausturm, der prunkvol¬
len Erzbischofsresidenz, dem eindrucksvollen
jüdischen Tempel ...“ Die Herrengasse war die
Flaniermeile der Stadt. Herr Gabe hatte ein
beliebtes Frühstückslokal. „Friedmann“ war
ein alteingesessenes, vegetarisches Restaurant
mit Garten. Man aß Krenwürstel mit Senf beim
Wagerl am Ringplatz, „‚neben der Haltestelle“,
wie extra betont wird, oder ,,Kischke“,
fleischgefüllten Rinderdarm. „Man“, also das
lokale Bürgertum, ging in eine private Leihbi¬
bliothek, besuchte den Musikvereinssaal und
hörte zuhause Grammophonplatten. „Man“
wurde aber auch später „ins Ghetto und ins
Lager gesteckt, jenseits des Dnjestrs deportiert
und dort zum größten Teil ausgemerzt.“ Bevor
es so weit ist, gibt es ein Ausgehverbot für
Juden, aus nichtigem Grund landet man im
Gefängnis, aber auch faschistische Polizeibe¬
amte sind bestechlich. Die Protagonisten der
Erzählung ‚‚Ins Gefängnis mit Strawinsky“
kommen (vorerst) mit einem blauen Auge da¬
von und können nachhause gehen. Und sogar
die Lektüre dieser Erzählung läßt einen
schmunzeln und wirkt dadurch nur um so stär¬
ker als manche pathetische Anklage. Der Son¬
derling in der Türkengasse schließlich, in der
gleichnamigen Erzählung liebevoll gezeichnet,
ein von allen belächelter Mathematiknachhilfe¬
lehrer, der von den Kindern am wenigsten ernst
genommen wird, hat den Holocaust nicht über¬
lebt. Er wurde sein Leben lang gedemütigt und
schließlich ermordet. Den Zeitgenossen, den
wenigen Übriggebliebenen, bleibt er vielleicht
in schmerzvoller Erinnerung, als Sinnbild einer
Epoche.
Bukarest nach dem Krieg, die Aufbauzeit des
„real existierenden Sozialismus‘ , die Absurdi¬
täten eines von politischen Funktionären und
hohlen Phrasen dominierten Journalisten- und
Literatenmilieus. Hier erreicht Josef N. Rudels
satirisches Talent seine wahre Meisterschaft.
Der Chefredakteur einer führenden Zeitung hat
einen Wasserkopf, da die ‚zuständigen Stellen
nur sein Kaderdossier, nicht auch seine medizi¬
nische Karteikarte geprüft hatten ...“ Dieselben
zuständigen Stellen „„bewilligten unter ande¬
rem die Veröffentlichung einer Monatsschrift
im Farbdruck, mit der Aufgabe, die Zucht von
Blattläusen in den Reihen der Volksmassen zu
popularisieren und Spitzenleistungen hervor¬
zuheben.“ Die Zeitschrift heißt denn auch Fort¬
schrittliche Blattlaus, demzufolge Blattläuse in
kapitalistischen Ländern reaktionär sein
müßten. Daß das Organ der Generaldirektion
der Milchindustrialisierung des Ministeriums
für Nahrungsmittelversorgung Der proletari¬
sche Yoghurt heißen muß, ergibt sich zwangs¬
läufig von selbst. In der Erzählung ‚Warum
nicht am jüdischen Friedhof?“, vielleicht der
besten des Buches, wächst der Rumäne Gerzan,
später Gerzenstein genannt, in einer Gegend
auf, in der hauptsächlich Juden wohnen. Die
jüdische Kultur und die jiddische Sprache prä¬
gen ihn so stark, daß er schließlich von allen
anderen als Jude angesehen wird und ihn, ob¬
wohl er Nichtjude ist, das typische Schicksal
eines Juden in Rumänien ereilt — von antisemi¬
tischen Studenten verprügelt, von den faschisti¬
schen Machthabern verfolgt, von der Polizei als
Kommunist und ,,Saujude“ beschimpft und
mißhandelt. Und sonderbarerweise nimmt der
rumänische Bauernsohn Gerzan dieses jüdische
Schicksal auf sich, als käme es ihm gar nicht in
den Sinn, sich diesem zu entziehen. Erst als er
stirbt, erinnert man sich seiner ,,wahren“ Her¬
kunft und begräbt ihn am christlich-orthodoxen
Friedhof.
Etwas enttäuschend ist nur der dritte und letzte
Teil des Buches, in dem sich der Autor mit
seiner neuen Heimat Israel ironisch auseinan¬
derzusetzen versucht. Da zeigt sich erst, wie
sehr Josef N. Rudels geistige Heimat das alte
Czernowitz, die Bukowina, die österreichische
Kultur, allenfalls noch Rumänien und, grob
gesprochen, diese gemeinhin etwas schwam¬
mig mit Mitteleuropa umschriebenen Region
geblieben ist. Solange er darüber schreibt, kann
er mit wenigen Sätzen Stimmungen erzeugen,
Personen plastisch schildern, Vergangenes
wiedererstehen lassen. Im ‚„Israelteil“ hinge¬
gen verkommt manchmal der Witz zum harm¬
losen Kalauer und die Pointe zum Klischee. Die
Erzählungen, in kischonscher Manier gehalten,
weisen zwar allemal noch amüsante Passagen
auf und bieten hin und wieder gut gelungene
Gesellschaftssatire, die hohe Qualität der in
Czernowitz oder in Rumänien spielenden Ge¬
schichten erreichen sie nur selten. Bezeichnend
wäre zum Beispiel folgender Witz: ,, Der Unter¬
schied zwischen der Gattin und der Heimat?
Keiner. Beide bemäkelt man, weil man sie
liebt.“ Den Jahrgang des Autors berücksichti¬
gend, mag man ihm ein solches Witzchen ver¬
zeihen.
Josef N. Rudels Geschichtensammlung ein le¬
senswertes Buch, das leider bei einem deutsch¬
sprachigen Verlag in Israel erschienen und so¬
mit in Österreich nur schwer zu bekommen ist.
Es bleibt zu hoffen, daß viele Leserinnen und
Leser dieses Buch direkt beim Verlag bestellen
und die längere Wartezeit in Kauf nehmen wer¬
den.
Ein Sommertag in St. Gilgen am Wolfangsee
neigt sich dem Ende zu. Trotz einer schweren
Erkältung hat mir Herr Rudel stundenlang über
sein Leben in Czernowitz, in Rumänien und in
Israel erzählt. Und unweigerlich immer und
immer wieder über Czernowitz und die Czer¬
nowitzer. Das ist verständlich, heißt es doch in
einer seiner Erzählungen: ‚Die Czernowitzer
sind über die ganze Welt verstreut. Sie sind
überall zu finden, sogar in Patagonien, nur nicht
in Czernowitz. Also worüber sollen sie denn
reden, wenn nicht über Czernowitz?“ Und ich,
glücklicher und dankbarer Zuhörer, muß mich
erst wieder zurecht finden, nachdem ich Herrn
Rudel in sein Hotel begleitet und mich von ihm
verabschiedet habe, muß erst realisieren, daß
ich in St. Gilgen bin und nicht im alten Czerno¬
witz, muß die vielen Bilder, die vor meinen
Augen auftauchen erst verbannen, um sie später
ordnen und verarbeiten zu können.
Josef N. Rudel: Von Czernowitz bis Tel Aviv
gab’s immer was zum Lachen. Tel Aviv: Papy¬
rus-Verlag 1994. 157 S.
Erfreulich und notwendig — so kann man den
Film ,,Emigration, N.Y.“ charakterisieren, der
im Rahmen der Salzburger ,,Diagonale“ An¬
fang Dezember 1995 vorgestellt wurde. In den
Jahren 1938 bis 1941 wurden etwa 130.000
Juden durch die nationalsozialistischen Macht¬
haber aus Osterreich vertrieben. Manchen ge¬
lang die Auswanderung in die USA. Mehr als
fünfzig Jahre später suchte der österreichische
Regisseur Egon Humer einige von ihnen in
New York auf. Die Interviews mit ihnen bilde¬
ten die Basis für einen beachtenswerten Film,
der bald auch im ORF gezeigt werden wird.
Auf eine Annonce in der New Yorker Immi¬
grantenzeitschrift ,, Aufbau“ hatten sich dreißig
Personen gemeldet. Zwanzig wurden inter¬
viewt, aber nur zwölf konnten schließlich für
den Film berücksichtigt werden.
Der Film ,,Emigration, N.Y.“ ist sehr feinfiihlig
gemacht. Der Regisseur hat nicht nur die not¬
wendige Sensibilität bei den Interviews bewie¬
sen, sondern auch die schwierige Aufgabe sou¬
verän bewältigt, eine Gesamtinterviewzeit von
über fünfzig Stunden auf 180 Minuten zu kür¬
zen, ohne daß Brüche und Auslassungen zu
offensichtlich werden. Egon Humer nimmt sei¬
ne Rolle als Interviewer zurück. Er mißbraucht
die Interviews nicht zum Zweck der Selbstdar¬
stellung. Optische und musikalische ‚,Verstär¬
kungen“ des Erzählten werden bewußt sehr
behutsam eingesetzt. In einer an schnelle Bilder
gewöhnten Zeit, in der auch das intellektuelle
Publikum seine anspruchsvollere Konfektions¬
ware schön verpackt erwartet, überrascht der
Regisseur durch seinen Mut zum gesprochenen
Wort und überläßt es den Zusehern bzw. Zuhö¬
rern, sich ihre Bilder selbst zu finden.
Der Regisseur läßt die Interviewpartner
schweigen, sie nach Worten ringen, blendet
hier nicht aus. Gerade diese Pausen, dieses Ab¬
warten macht die Qualität aus, steigert die Wir¬
kung. Ein sonst sehr beherrscht wirkender älte¬
rer Mann bricht in Tränen aus, als die Rede auf
seine im Krieg von den Nazis ermordeten Ver¬
wandten kommt. Eine Frau erzählt von ihren
Erlebnissen während des Novemberpogroms
1938, das sie als Kind in Wien miterleben
mußte, und die Angst ist ihr immer noch ins
Gesicht geschrieben. In einem anderen Fall
stürmt die SA eine Wohnung und verwüstet sie.
Noch Jahrzehnte später geht es für die Betrof¬
fenen an die Grenze des Erträglichen, über die¬
se Erlebnisse zu berichten. Solche Momente
sind jedoch selten in dem Film, der weder Ge¬
fühlsvoyeurismus betreibt, noch Horrormaxi¬
mierung bis zur Abstumpfung anstrebt. Allen
Interviewten ist gemeinsam, daß sie sich der