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sche Schmetterlinge oder bunt schillernde Käfer. Auf Eisenbiirger — und auf seine Mitarbeiterinnen Esther Andradi, Sybille Plaschka, Gaby Kiippers, Danuta Sacher, Irmtraud Wojak -trifft dieser Vorwurf nicht zu. Das brennende Interesse der Fragenden rtickt selbst die Erinnerungen der ältesten Gesprächspartner — des über hundertjährigen Mexikaners Gilberto Bosques, der als Generalkonsul in Marseille zahlreichen Deutschen und Österreichern das Leben gerettet hat, der 90-jährigen St. Galler Kinderpsychologin Nelly Meffert und des eine Dekade jüngeren Pieter Siemsen, eines unentwegten Kämpfers gegen deutsche Windmühlen — in die unmittelbare Gegenwart. Das liegt allerdings nicht nur an der Inspiration und Kompetenz der Fragesteller. Gerade Siemsen und Meffert, aber auch der aus Wien vertriebene, in Buenos Aires ansässige Schriftsteller Alfredo Bauer, der einst nach Montevideo geflohene Autor Ernesto Kroch und der argentinische „Chronist mit Meinung“ und mit Tiroler Vorfahren Osvaldo Bayer entsprechen nicht dem Klischeebild des entwurzelten Exilanten. Als Linke haben sie oft geirrt, aber bis heute am Traum einer gerechten Gesellschaft festgehalten. Kroch und die nach Chile emigrierte Musikerin Leni Alexander haben die Erfahrungen von Exil und Gegenexil (Desexilio, nach Mario Benedetti) gleich zweimal machen müssen, in den Dreißigern und vierzig Jahre später, als in ihren Zufluchtsländern die Militärs putschten. Der Kommunist Bauer überlebte die Diktatur in Argentinien, der Anarchist Bayer entkam ihr nach Deutschland. Pieter Siemsen hatte sich Anfang der fünfziger Jahre zur Rückkehr entschlossen. Er siedelte in die DDR über und gestand sich erst in den letzten Jahren des ,,Nomenklaturenstaates mit übersteigertem Personenkult“ ein, daß er seit seiner Rückkehr nach Deutschland „eigentlich an meinem Leben“ vorbeigegangen sei. Diese bittere, aber nicht verbitterte Bilanz ist eine der berührendsten Etappen der inneinander verschlungenen Lebenswege, und es scheint, daß der Herausgeber sich Siemsens Skepsis gegenüber preußischer Lebensart, vor allem aber dessen Neugier auf Lateinamerikaner, die den umgekehrten Weg gegangen sind — ins deutsche Exil —, zu eigen gemacht hat. So spannt er unzählige Fäden zwischen Einst und Jetzt, Amerika und Europa, Politik und Kultur, Männern und Frauen. Manche Grundfragen haben sich, über die Generationen hinweg, verändert, manche sind gleichgeblieben. Auf die Frage, ob es 26 Mirko Jelusich, Franz Nabl und Karl Heinrich Waggerl, keine einzige über Max Mell — die Herrschaften, die in den 50er Jahren als österreichische Staatsdichter im Rahmen der konservativen Restauration galten, waren international kaum präsent. Für Paul Frischenauer waren P.E.N.-Politik und Auftreten in einer größeren Öffentlichkeit der privaten Zurückgezogenheit mit wenigen Freunden (Helmut Qualtinger, Michael Kehlmann, Georg Kreisler und Topsy Küppers) gewichen. Sein Mißtrauen gegenüber der intellektuellen, politischen Elite Österreichs in den späten fünfziger Jahren war groß. Denn viele ihrer Protagonisten hatten die „Zäsuren“ von 1938 bis 1945 ‚ohne Folgen“ überstanden. Was sollte er in einem P.E.N.-Club, in dem 1955 schon wieder zahlreiche — als ‚„‚staatspreiswürdig‘“ erachtete — Mitglieder saßen, die 1933 als NS-Sympathisanten ausgetreten waren, die 1938 im Bekenntnisbuch Hitler hymnisch gefeiert hatten? Paul Frischauer, der einzige Remigrant seiner Familie — seine Eltern waren 1942 in Theresienstadt ermordet worden -, vermochte den Bruch mit der Heimat und die Zerstörung seines sozialen Netzwerkes der Zwischenkriegszeit nicht zu überwinden. Eine seiner Identitäten, nämlich die sprachliche, konnte er freilich als Heimat bewahren. Paul Frischauer starb am 7. Mai 1977 in Wien Trude Krakauer Heimweh nach Vineta I. - VINETA Es ruht eine Stadt auf dem Grunde der See, tief unter den schweigenden Wassern. Flirrt mittags die Luft in der sengenden Glut, dann spielen die Fische im schattigen Grün um Türme und Kuppeln. Scheint abends der Mond und weht von der See landeinwärts der Wind, dann hört man die Glocken. Doch nur in den Tiefen der Nacht und des Traums sinkt Fliederduft leis aus versunkenen Gärten. Dort geh ich allnächtlich durch winklige Gassen, die Steine des Pflasters, die buckligen Zwerge, berühren mit freundlichem Gruß meine Füße. — (Steinhart ist das Brot in der Fremde, drum gib uns, Oh Herr! diese Nacht noch die Steine der Heimat!) —. Es murmeln die Plätze mit schläfrigen Stimmen, die Bäume erwidern mit rissiger Rinde den Druck meiner Hände. Hier rankt sich mein Leben um eiserne Gitter, es singt mit den Putten, es strebt in den Himmel mit ragenden Türmen und adligen Säulen, es beugt seinen Nacken und trägt eure Lasten, ihr Karyatiden, und ruht in der Sonne mit euch, ihr bescheidenen, friedlichen Höfe, denn dies ist der Grund, der es trägt, wie euch alle, hier bleibt es bestehen.