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übersät hat. Zwei Tatorte, die für ein Terror- und Vernichtungssystem stehen, an dessen Erklären- und Verstehenwollen bisher alle historischen, psychologischen und soziologischen Theorien gescheitert sind. Die Tatsache des planmäßigen und industriell betriebenen Massenmordes an den europäischen Juden, schreibt Hannah Arendt, müßte die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten eigentlich zwingen, ihre bislang nicht in Frage gestellten Grundannahmen über den Lauf der Welt, über die Rationalität menschlichen Handelns, über Motive, Ideologien und Massenbeeinflussungen von Grund auf neu zu überdenken. Die Wissenschaften haben bisher dieses grundlegende Neudenken ihrer eigenen Prämissen noch kaum vollzogen. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, haben die Wissenschaften, auch die historischen und psychologischen Wissenschaften, weitergestrickt am Netz der Ideologieproduktion, an der Tatsachenverschleierung, an der Unkenntlichmachung der Tatorte und am Vergessenmachen der dort geschehenen Verbrechen. Der Appell von Hannah Ahrendt richtet sich daher auch an uns, an uns WissenschafterInnen von der Universität, an uns GeschichtsforscherInnen und PädagogInnen hier in Kärnten. Denn, so frage ich, wo befindet sich in Kärnten eine Dokumentation der Verbrechen der SS und der Wehrmachtssoldaten in Hitlers Diensten, der Verbrechen der SA oder der Gestapo? Die große öffentliche Dokumentation aber, die auch die »Chronologie der Ereignisse und der Täterschaft« transparent machen würde, fehlt in diesem Lande ebenso, wie der aufgeklärte historische Diskurs über die Nazizeit in Kärnten fehlt. Die öffentliche Dokumentation gibt es inbezug auf den sog. Abwehrkampf von 1918/1919 - z.B. im Museum in Völkermarkt/Velikovec und in zahlreichen Publikationen des Landesarchivs. Aber: Wo ist eine gleichwertige Dokumentation über den antinazistischen Widerstandskampf, wo sind die Asservate, wo sind die Gedächnisstätten für die Nazi-Opfer in Kärnten? Dabei geht es, wohl gemerkt, nicht darum, daß Auschwitz dem jüdischen Gedächnis verloren ginge, daß all die KZs aus der Erinnerung ihrer Opfer verschwinden wür'en, »sondern es geht um die Vergeßlichkeit der (übrigen) Welt«, die das Judentum, die Minderheiten und die »Abweichenden« zunächst einmal definiert und dann zu ihrem Problem gemacht hat (Picard 1993, S.41). Solange Juden, ethnische Gruppen und andere Minderheiten der sog. zivilisierten Welt als Auszugrenzende, als Randständige und Minderwertige gegenüberstehen, »wird sich das Vergessen in den Formen der Leugnung, der Vereinnahmung, des Besserwissens oder des Revisionismus melden. Doch hier ist die Finmaligkeit von Auschwitz, universal verstanden, nach vorne zu begründen: als Frage nach der durchaus möglichen Wiederholbarkeit, sei es nun als antisemitische, antiemanzipatorische Destruktion, als rassistische und Jremdenfeindliche Reaktion oder als ökologisch betriebener Untergang der Welt« (Picard 1993, S. 42). Weil alle NS-Verbrechen schon mehr als 50 Jahre zurück liegen, weil wir in Österreich weder sachkundige Spurensucher noch willige Sammler und Aufbewahrer von Asservaten sind, weil wir ein sehr schlampiges Verhältnis zur Aufklärung über die Nazi-Zeit haben (worüber Simon Wiesenthal mehrere Bücher geschrieben hat, z.B. Wiesenthal 1988), muß bei solchen Gelegenheiten immer wieder an die vielen Tatorte der Nazi-Verbrechen in diesem Lande erinnert werden. Das große und zentrale KZ in Oberösterreich, das 1938 nahe einem Steinbruch eingerichtet wurde und das als »Lager der Stufe III« im KZ Kosmos des Nazi-Reiches bald ebenso berüchtigt war wie Auschwitz, ist gegenwärtig bei der Jugend noch hinlänglich bekannt. Die vielen Nebenlager von Mauthausen aber, die manchmal nur kurze Zeit und mit geringer Belegung existiert haben, die dennoch in ihrer tödlichen Konsequenz vollwertige KZs waren, sind kaum oder garnicht bekannt. Bis vor kurzem war auch in Kärnten nicht bekannt, daß sich eines der 49 Nebenlager des KZ-Mauthausen am Nordeingang des Loibl-Tunnels befand (Zausnig 1995). Mit dem In-Erinnerung-Rufen von Tatorten, von Konzentrationslagern, an denen das »permanente Sterben« (Hannah Arendt) und Vernichten von Menschen organisiert wurden, soll gezeigt werden, daß das KZ-System kein Zufall oder Unfall der Geschichte war, sondern eine flächendeckende, fabrikmäßige Todesmaschine, die planmäßig gespeist und betrieben wurde, die aus sich heraus eine Vielzahl weiterer kleinerer Mordbetriebe hervorbrachte. Man kann