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Daisy Davidow-Berman Notizen und Erinnerungen Ich bin am 7. Mai 1929 in Wien geboren. Wir lebten in einem Gemeindebau, und weil mein Vater einer der Architekten dieses Projektes war, bekamen wir dort ohne Probleme eine große Wohnung. Unser Haus stand direkt gegenüber diesem wunderschönen Park, dem Augarten (wir wohnten in der Oberen Augartenstraße 12, einem fünfstöckigen Gebäude ohne Aufzug). Die Waschküche befand sich im 5. Stock... Ich hatte viele, viele Freunde und Freundinnen, denn meine Mutter liebte die Gesellschaft und ging sehr gern aus. [...] Obwohl wir ein Dienstmädchen hatten, kochte meine Mutter immer selbst, für uns und unsere Gäste; sie war eine großartige Köchin. Ich weiß noch, daß unsere Wohnung sehr modern eingerichtet war ... in Wien nicht unüblich (nicht so wie das schwerfällige Biedermeier, das damals auch sehr beliebt war). Mein Vater entwarf unsere Möbel ... bei uns gab es viele Einbaumöbel ... wir hatten keine Zentralheizung, sondern einen Ofen mitten im Wohnzimmer ... und es gab auch sehr viele Bücher. Ich war ein Einzelkind. Meine Mutter kochte nicht koscher — wir waren keine strenggläubigen Juden -, aber zu den jüdischen Feiertagen ging die ganze Familie in die Synagoge. Mein Vater war damals in der Sozialistischen Partei sehr aktiv, und er arbeitete für das Jüdische Gemeindezentrum in Wien. Meine Großmutter väterlicherseits lebte jedoch streng koscher — sie hatte auch eine Fleischhauerei, ein Marktstandl, und so war sie eine reiche Frau geworden. Ich verbrachte viel Zeit mit unseren Dienstmädchen. Manchmal ging ich mit ihnen zur Kirche (zur Beichte). Mein Vater wußte nichts davon. Er war etwas zurückhaltender als meine Mutter, alle sagten, sie sei ein ‚„‚Gesellschaftstiger“. Mein Vater war nicht so ein Gesellschaftsmensch wie meine Mutter, weiler sich am liebsten seiner Arbeit widmete. Schließlich fand ich heraus, daß zwischen der Mutter meines Vaters und meiner Mutter eine große Kluft herrschte — ich wußte nicht, warum. Es ging so weit, daß meine Mutter nicht mitging, wenn mein Vater und ich samstags meine Großmutter besuchten. Ein typischer Samstag war für mich mit einem Besuch bei meiner Großmutter verbunden. Auch sie hatte eine große Büchersammlung — am liebsten hatte ich die Bücher über das österreichische Kaiserhaus. Ich verbrachte viele Stunden in ihrer Wohnung und las über Kaiser Franz Joseph. Die Wohnung meiner Großmutter war wunderschön eingerichtet - eines der hervorstechendsten Stücke war ein Flügel. Im Haus meiner Großmutter gab es einen Aufzug, und das war etwas sehr Seltenes. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, bekam ich Scharlach, und ich weiß noch, daß man mich zur Großmutter brachte, um mich auszukurieren. Wir hatten noch eine Bleibe: ein Sommerhäuschen auf dem Lande, cirka eine Stunde von Wien entfernt, in Sauerbrunn. Das Dorf hatte einen großen jüdischen Bevölkerungsanteil, allerdings nur im Sommer - für die jüdische Mittelklasse war es Brauch, ein Sommerhäuschen zu besitzen. Jeden Sommer freute ich mich schon unbändig auf die Zugfahrt, sobald die Schule aus war. Wir blieben bis zum September, feierten die jüdischen Feiertage dort, und bald darauf fuhren wir nach Wien zurück. Mein Vater kam nur am Wochenende nach Sauerbrunn. Meine Mutter hatte dort ein kleines Geschäft aufgebaut, eine Konditorei und einen Eissalon. Normalerweise half ihr jemand die Gäste zu bedienen und das Geschäft zu führen. Es gab einen Hausmeister, der sich in unserer Abwesenheit um das Haus kümmerte ... wir hatten viele Obstbäume, einen großen Hinterhof, Gemüsebeete und einen Deutschen Schäferhund. Oft badete ich draußen im Garten in einer großen Wanne. Ich hatte viele Freunde und war ein richtig wildes Kind. Wie in Wien herrschte auch hier ein ständiges Kommen und Gehen von Freunden und Besuchern ... Erwachsenen und Kindern. Ein Zwischenfall jener Sommertage ist mir ganz besonders gut in Erinnerung geblieben. Ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich war. Aber unser Hausmeister, Die Malerin Daisy Davidow-Berman Vom 7. bis 24. März 1996 waren die Bilder von Daisy Davidow-Berman zum ersten Mal in Wien, im Palais Palffy, zu sehen. Anschließend wurde eine Auswahl der Exponate im Literaturhaus Mattersburg gezeigt, ergänzt durch eine historische Ausstellung mit Fotos und Dokumenten über die 30er Jahre und den „‚Anschlu8“ in dem Kurort Sauerbrunn. Traude Horvath, Leiterin des Literaturhauses, hatte die Malerin 1995 in New York besucht und persönliche Dokumente zur „Arisierung“ in Sauerbrunn von Daisy DavidowBerman erhalten. Dadurch wurde eine sehr anschauliche, regionalgeschichtlich Darlegung des Antisemitismus mit seiner ‘schlichten’ Bereicherungspraxis an einem konkreten Ort mit bekannten Akteuren möglich. Im heutigen Mattersburg wächst wohlgepflegt das Gras in der öffentlichen Parkanlage, die auf dem Gebiet des ehemaligen jüdischen Wohngebietes errichtet wurde, und ein städtisches Hochhaus ragt in die Leere der ehemaligen Judengasse. Wie es dazu gekommen ist, ist ebenso Teil der Heimatgeschichte wie die Erkenntnis, daß Heimat nur dort errungen werden kann, wo in dieser selbst ihr Gewordensein thematisiert wird. Bis zu ihrem 9. Lebensjahr verbrachte Daisy Davidow-Berman die Sommermonate in Sauerbrunn, wo ihre Eltern ein Sommerhaus besaßen und ihre Mutter eine Konditorei betrieb. Für sie ein Ort des Abenteuers und der spielerischen Freiheit. Das abrupte Ende war für das Kind unbegreiflich; verstörte und verstieß es auf eine bittere, einsame Lebenspur. In ihren expressiven Bildern, die in leuchtenden Farben den Erlebnissen und Empfindungen des Kindes nachspüren, versucht Daisy Davidow-Ber9