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Paul Virillio in seiner „Bunkerarchäologie“ feststellt, das eroberte territoriale Ensemble in allen Richtungen durchlaufen zu können und dabei möglichst viele Hindernisse zu umgehen. Im Zentrum des Problems des militärischen Raumes steht die Verminderung der Hindernisse und der Schrumpfung der Entfernungen. War für Hitler Anfang 1943 unter Abwägung militärischer Erfordernisse und der damit verbundenen Zuweisung von Bergfachleuten der Bau von Befestigungsanlagen auf den Kanalinseln noch wichtiger als der Bau des Loibl-Paß-Tunnel, so bekam die Fertigstellung des Tunnels mit dem Rückzug der deutschen Wehrmacht vom Balkan eine immense militärische Bedeutung, die Rüstungsminister Speer dazu veranlasste, jeden Versuch, den Bau als nicht kriegswichtig zu stoppen, eine Absage erteilte. Dem Bau komme, so Speer im September 1944 an Gauleiter Rainer, ,,bei der derzeitigen Lage besondere Bedeutung“ zu. Und tatsächlich benützten im Dezember 1944 die ersten Wehrmachtsfahrzeuge den Tunnel. Von Frühsommer 1943 bis zu Kriegsende waren durchgehend Häftlinge bei diesem Bauprojekt, das von der Firma Universale durchgeführt wurde, eingesetzt. Mehrere hundert Häftlinge starben beim Bau des Tunnels. Die Totenbücher verzeichnen über 30 am Loibl ums Leben gekommene Häftlinge, viele davon als „auf der Flucht erschossen“, wie Mord an den Häftlingen in den Totenbüchern getarnt umschrieben wurde. Darüberhinaus wurden aber allein 1944 mehrere hundert ausgehungerte, abgearbeitete und erschöpfte Häftlinge nach Mauthausen zum Sterben rücktransportiert, und im Gegenzug durch neue Häftlinge ersetzt. Noch ein Wort zu den Baufirmen: Die Häftlinge wurden von der SS zur Arbeit im Stollenbau an Baufirmen gegen Entgelt „verliehen“. Firmen wie die Universale Bau AG haben mit der SS viele Seiten lange Verträge geschlossen, über die Höhe der abzuführenden Entgelte ebenso wie über den Prozentsatz der Häftlinge, der als krank akzeptiert wurde. Und sie haben von der Häftlingsarbeit profitiert. Keine einzige Baufirma hat sich nach dem Krieg zu Entschädigungszahlungen bereit gefunden. Sie hatten ja ohnedies, wie die Baufirma Wayss und Freytag in einem ähnlichen Fall gegenüber einem ehemaligen Häftling argumentierte, Gelder an die SS bezahlt. Ob die SS diese weiter an die 38. Häftlinge abführte, entziehe sich, so teilte diese Firma mit, leider ihrer Kenntnis. Vor diesem Hintergrund scheint es mir besonders wichtig, daß die Opfer der Außenlager wie jener am Loibl-Paß nicht dem Vergessen preisgegeben und damit noch einmal Opfer werden. Dies ist, soviel ich weiß, auch ein Anliegen dieser Ausstellung, von der ich mir wünsche, daß sie Dr. Bertrand Perz, geb. 1958 in Linz, Historiker, Vorstandsmitglied der österr. Gesellschaft für Zeitgeschichte, Publikationen u.a.: Das KZ in der Serbenhalle. Zur Kriegsindustrie in Wiener Neustadt, Wien 1988 (gemeinsam mit Florian Freund); Projekt Quarz. Steyr-DaimlerPuch und das Konzentrationslager Melk, Wien 1991; Mitautor von ,, Unser einziger Weg ist Arbeit“. Das Ghetto in Lodz 19401944, Wien 1990. in Bezug auf andere ,,vergessene“ Lager Nachahmung findet. Robert Schindel Dreiundzwanzig Jahre (Eine Chronik) 1 Im windverwehten Planquadrat Galizien Aus dem Dorfe Nimmermehr trieben die Herren Die Juden raus und zu dem Waldesrand Dort die die Gruben selber ausgehoben hatten In die man sie zu Hauf und Tod geschossen Stand ein Soldat als da das Judenvolk Sich ausziehn mußt um dann an ihm vorbei Sich brav an Mammas und an Pappas Leiche Darüber hinzulegen damit ers erschoß und andre Kam eine mit halblangen blonden Haaren An dem Soldat vorüber sah ihn an und dann Begann sie mit beiden schlanken Armen Auf sich zu weisen schwungvoll zeigte sie An sich herunter dem Soldaten ihren nackten Körper Und sagte: Dreiundzwanzig Jahre 2 Es blies ein bißchen Wind am Kopfhaar sah es Der wenig ältere Soldat der Wehrmacht sogar das Schamhaar Flirrte und dann schoß er sie in Bauch 3 Heut ist der Mann uralt und um ihn die Familie groß Und stirbt so bald. Von allen Zahlen weiß er gut Die Dreiundzwanzig denn die Enkelzahl Brachte ihm nach wahrlich Arbeitsamem Leben milden Winter Von Robert Schindel ist zuletzt der Essayband ,, Gott schiitz uns vor den guten Menschen. Jüdisches Gedächtnis — Auskunftsbiiro der Angst“ (Frankfurt: Suhrkamp 1995) erschienen, in dessen Zentrum die von Schindel gehaltenen ,, Wiener Vorlesungen zur Literatur“ stehen. Dort heiBt es: ,,Die Angst erzeugt Namen und Namen. Doch die Angst der Ausgetilgten steht oft auf keinem Grabstein. Die Angst steht als Rauch in den Wolken, und dort muß ich sie benennen, sie liegt in den Tiefen lettischer, polnischer, russischer Wälder, dort muß ein Gedächtnis sie anrufen.“