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Erwin Chvojka Wenn Theodor Kramer den Aussprach tat: „Wo immer ich stehe, ist ein Stück von Österreich!“ ‚so geschah dies nicht in eitler Selbstüberschätzung, sondern zu einem Zeitpunkt, da dieses Land nicht einmal mehr dem Namen nach bestand, in dessen äußerster Not, 1943, in einer deutschsprachigen Sendung der BBC fern im Londoner Exil, in das er vertrieben worden war. „Sehr schwer aber wird es mir seit 1945 gemacht, so zu fühlen“, fügt er in einem Brief im Jahre 1956 hinzu. Und der ,,Geschmack der Bitternis“ will von seinem Werk in diesem Land nicht weichen, auch wenn es seiner nun auf einer Briefmarke gedenkt. So ist zu fragen, ob die Tatsache, daß sich drei Institutionen oder Organisationen, wie die Wiener Urania, das Österreichische P.E.N.-Zentrum und die Theodor Kramer Gesellschaft zu einer Hommage für Theodor Kramer zusammenfinden, vielleicht weniger als Zeichen für seine weitreichende Geltung und vielseitige Anerkennung zu verstehen sei als ein Beweis für die Notwendigkeit einer Zusammenfassung von vielerlei Kräften, um den Bann, der über seinen Tod hinaus trotz aller Editionen noch immer über seinem Werk liegt, gemeinsam zu lösen. Daß es gerade diese drei sind, die sich hier zusammengefunden haben, ist aus der Rolle, die sie in und fiir Kramers Leben und Werk spielen, zu erklären. Am eingängigsten mag dies bei der l'heodor Kramer Gesellschaft, die schon in ihrem Namen Aufgabe und Zielsetzung enthält, gelten. Die Wirksamkeit des Österreichischen P.E.N.-Zentrums für Theodor Kramer ergab sich dort am folgenreichsten, wo es sich selbst in Not und Verbannung befand, im englischen Exil. Die Bedeutung, die die Herausgabe eines Bandes mit „Neuen Gedichten‘ unter dem Titel ,,Verbannt aus Österreich“ für das Selbstwertgefühl Kramers hatte, ist kaum zu überschätzen, genau so wenig wie jene, die sie für die Festigung des Selbstverständnisses der österreichischen Emigration in England hatte. 1983 hat der Wiener Böhlau Verlag dem durch die Herstellung eines anastatischen Neudrucks Rechnung getragen. Und die Wiener Urania? Sie zählt zu jenen Häusern der Wiener Volksbildung, die in der Zwischenkriegszeit ihm und anderen Dichtern Raum und Möglichkeit boten, die Menschen mit ihrem Wort unmittelbar zu erreichen. Das gilt nicht nur für Kramer 18 und nicht nur für dieses Haus. Eine Vorstellung vom damals alltäglichen, bzw. allwöchentlichen Niveau mag die Tatsache geben, daß, eine Woche bevor Theodor Kramer am 9. Mai 1935 an der Volkshochschule Leopoldstadt seine eigenen Dichtungen vorgetragen hat, Robert Musil dort aus seinem ,,Mann ohne Eigenschaften“ las. Doch die Wiener Urania begleitete Kramer ein ganzes Jahrzehnt lang, vom 28. Dezember 1928 an, wo er aus den noch nicht erschienenen Biichern ,, Die Gaunerzinke“ und ,, Wir lagen in Wolhynien im Morast“ las, bis zu seinem erzwungenen Verstummen im Jahr 1938. Zwei bis drei Lesungen im Jahr, und als er infolge seiner Erkrankung im Jahr 1931 nicht selbst lesen konnte, solche, die von ihm selbst zusammengestellt, aber von der Rezitatorin und Schauspielerin Inge Halberstam vorgetragen wurden. Am 14. November 1929 las sie zum ersten Mal im hiesigen Klubsaal. Hunderte Gedichte hat er ihr gewidmet, am 10. Juni 1933 schlossen sie die Ehe. Nicht immer kann uns das, was man von der Verbindung TheodorKramers zur Urania erfährt, erfreulich erscheinen: am 29. März 1934,knappeineinhalbMonatenach der Niederschlagung des Republikanischen Schutzbundes erhält Kramer eine Postkarte von Oskar Maurus Fontana folgenden Inhalts: ,, Vor einigen Tagen sagte man mir, daß Sie gern in der ‘Stunde des Autors’ ....Gedichte gelesenhätten. Leider lag keine Anmeldung von Ihnen vor.“ Da, wie Fontana schreibt, Herr (Rudolf Jeremias) Kreutz vom Grundlsee nicht nach Wien kommen könne, „,... ist also ein Platz frei geworden. Wollen Sie bei uns am 7. April in der Urania, Kleiner Saal, lesen? Es kommen 5 Gedichte in Betracht, die vollkommen unpolitisch sein müssen, schon mit Rücksicht auf unserer Gastgeberin, der Urania, die das zur ausdrücklichen Bedingung gemacht hat ...“ Und Kramer, dem um diese Zeit monatelang kein Gedicht aus der Feder floß, beugte sich diesem Wunsch und kam! ,,RoBkamms letzte Schenke“, ,,Der Alte am Strom","Zum Schlafengehen“, ,,Abschied von einem Genesenen“ und ,,Die Hand“ hat er ausgewählt und gelesen... Auch für diese Schwäche zeugt dieses Haus. Wie sehr wir aber Kramer falsch einschätzen würden, wenn wir diese Schwäche,